Auf zu den Sternen

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Es ist der Techtrend des Jahres: Immer mehr deutsche Start-ups entwickeln Geschäftsideen, die im Orbit zum Einsatz kommen. Führend bei der New-Space-Bewegung sind Visionäre aus Berlin.

Es ist der Techtrend des Jahres: Immer mehr deutsche Start-ups entwickeln Geschäftsideen, die im Orbit zum Einsatz kommen. Führend bei der New-Space-Bewegung sind Visionäre aus Berlin.

Text: Philipp Wurm, Foto: 3Dsculptor/Shutterstock

Die Firma, die eine Landefähre für den Mond entwickelt hat, ist in Berlin-Hohenschönhausen zu Hause. Ihre Ingenieure und Software-Entwickler tüfteln dort in den Räumen eines alten Industriekomplexes. Planetary Transportation Systems (PTS) heißt das 2009 gegründete Raumfahrtunternehmen, und in seinen interstellaren Visionen bündeln sich die Hoffnungen zukunftsfroher Techies. „Alina“, so heißt die Untertasse von PTS für den Erdtrabanten. Sie kann 100 Kilogramm Fracht tragen und passt auf Trägerraketen wie die „Falcon 9“, ein Vehikel aus dem Fuhrpark von SpaceX, dem Raumfahrtimperium des Tesla- Gründers Elon Musk. Ein weiteres Produkt aus dem PTS-Kosmos: ein Rover namens „Audi Lunar quattro“, in Zusammenarbeit mit der VW-Tochter gefertigt. Ein Gefährt auf vier Rädern, ausgestattet mit hochauflösenden Kameras und kippbaren Solarmodulen, aber so leicht, dass „Alina“, die Landefähre, gleich zwei dieser Rover schleppen könnte. Robert Böhme, Mitgründer des Unternehmens, verfolgt einen Plan: „Wir streben an, zum Mond, Mars und zu anderen Himmelskörpern zu fliegen.“ Es geht dabei um wissenschaftliche und technologische Erkenntnisse, aber auch um starke, medienwirksame Bilder von einem alten Menschheitstraum – alles Dinge, die sich vermarkten lassen.

Der Ehrgeiz demonstriert einen Trend: Die Raumfahrtbranche in Deutschland ist im Aufwind. 2,7 Milliarden Euro beträgt hierzulande der Umsatz dieses Gewerbes – und dabei sind kleine Firmen mit weniger als 20 Mitarbeitern nicht einmal eingepreist. Berlin ist ein Mittelpunkt dieser Entwicklung, mit mehr als 70 Unternehmen sowie Ausbildungs- und Forschungszentren. Eine treibende Kraft ist dabei die Technische Universität (TU). Keine andere Universität weltweit betreibt so viele Satelliten. Viele Gründer wandeln auf den Spuren der Aerospace-Avantgarde aus den USA. Deren Platzhirsche sind mittlerweile groß im Geschäft. Musks SpaceX zum Beispiel hat im vergangenen Jahr eine eigene Raumkapsel an einer NASA-Mission teilhaben lassen. Das Vehikel flog zur Internationalen Raumstation ISS, mit vier Astronauten an Bord. Anfang Mai sind die Raumfahrer nach sechs Monaten im All auf die Erde zurückgekehrt. Eine Zäsur in der Geschichte von Apollo, Neil Armstrong & Co.: ein kommerzieller Dienstleister als bedeutender Hightech-Lieferant der größten Raumfahrtbehörde der Welt.

Raketenwissenschaft made in Germany gewinnt ebenso an Popularität. „Als Start-up sind wir kostengünstiger und moderner“, sagt Robert Böhme, ursprünglich ein Informatiker aus der Hackerszene, über das Geschäftsmodell seines Unternehmens. Sein Credo atmet den Geist einer Bewegung, die auch „New Space“ oder, jedenfalls hierzulande, „Raumfahrt 4.0“ genannt wird. Junge Pioniere heben Start-up-Kultur, unternehmerisches Kalkül und digitales Know-how in eine Sphäre, die bislang von großen Institutionen dominiert worden ist. Diesseits des Atlantiks etwa von der ESA, der Europäischen Raumfahrtorganisation, oder dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR). Der Einfluss des Silicon Valley auf Gründerinnen und Gründer zeigte sich schon vor mehr als einem Jahrzehnt. Im Jahr 2007 schrieb der Internetkonzern Google den Lunar X Prize aus, dotiert mit 20 Millionen US-Dollar. Die angeforderte Gegenleistung für den Erhalt der Prämie: eine unbemannte Mondlandung mit 500 Meter langer Erkundungstour auf der Oberfläche und Videoübertragung.

Der Wettbewerb wurde zum Zündfunken für die Gründung von PTS, das sich damals Part Time Scientists nannte: ein Team von Nerds, die sich entfalten wollten. Die Quereinsteiger entwickelten sich zu hoffnungsvollen Aspiranten auf den Google-Preis. Audi und Vodafone hatten Sponsorensummen fließen lassen, Technologie war entwickelt worden. Der Internetriese spornte das kleine Start-up an – mit dem Milestone Prize für die bisherige Arbeit, 750 000 Dollar wert. Am Ende scheiterte PTS aber an der Frist. Im Sommer 2019 rutschte das junge Unternehmen in die Insolvenz, wurde jedoch von Zeitfracht, einer deutschen Unternehmensgruppe, die in Logistik und Verkehr groß ist, aus der Misere gerettet. Im Januar 2020 übernahmen dann die PTS-Führungskräfte im Rahmen eines Buy-outs die Firma. Noch heute besteht eine Kooperation mit Zeitfracht; die Firma agiert unter anderem als Investor. Planetary Transportation Systems setzt nicht nur auf privatwirtschaftliche Raumfahrt, sondern inzwischen auch auf die öffentliche Hand – jene staatliche Industrie, die berühmte Medienspektakel hervorgebracht hat, einst im Fernsehen, heute in Onlinestreams. Darunter die Mondlandung im Jahr 1969 inklusive des symbolischen Hissens der US-Flagge. Oder zuletzt, in diesem Frühjahr, die MarsText expedition des NASA-Rovers „Perseverance“, der von der karstigen Oberfläche des Roten Planeten Proben sammelt, die zur Erde gebracht werden sollen.

PTS könnte derweil auch Spezialtechnik für eine Trägerrakete entwickeln, die ein europäisches Prestigeprojekt ist. Es geht um die „Ariane 6“ , jenes Geschoss, das die ESA im internationalen Buhlen um Medienaufmerksamkeit und wissenschaftliche Meriten ins Rennen schickt. Das Generalunternehmen für die Fertigung dieser Trägerrakete ist das Joint Venture Airbus Safran Launchers, 2017 in ArianeGroup umbenannt. Der Jungfernflug ist aufs Jahr 2022 datiert. Dann soll „Ariane 6“ vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana, nur knapp 600 Kilometer vom Äquator entfernt, ins All starten. PTS hat sich darum beworben, das elektronische System und den zentralen Computer für die sogenannte Kickstage beizusteuern, eine Ergänzung zur Oberstufe der Rakete. Mit diesem Appendix sollen Satelliten in ihre Umlaufbahn befördert werden. Es wäre eine Sternstunde. Die Europäische Union hat das Potenzial der kommerziellen Anbieter in der Raumfahrt erkannt. Sie hat zwei Fördertöpfe für kleine und mittlere Unternehmen angelegt: „Orbital Venture“ und „Primo Space“ heißen sie und enthalten zusammen 300 Millionen Euro – Tröge für die hiesige Gründerszene, der in der Regel nicht so viel Geld von Investoren zufließt wie den Machern der amerikanischen Raumfahrtbranche.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gilt „Rocket Science“ unter manchen Spekulanten als aussichtsreiche Wette auf die Zukunft. Die Investmentgesellschaft ARK zum Beispiel, ein Finanzdienstleiter mit Sitz in New York, hat jüngst einen aufsehenerregenden Fonds aufgesetzt. Der „Space Exploration & Innovation ETF“ hortet Wertpapiere von Raumfahrtunternehmen aus den USA und der restlichen Welt. Wer beobachten will, wie Nanotechnologie für ein kreatives Portfolio sorgt, muss sich in den Süden Deutschlands begeben. Im MTZ München, einem Gründerzentrum im Stadtteil Moosach der bayerischen Hauptstadt, ist Ororatech zu Hause. „Durch die mit der Massenproduktion von Smartphones einhergehende Miniaturisierung wurden diese Nanosatelliten erst möglich“, sagt Elektroingenieur Thomas Grübler, einer der vier Gründer. Und spielt damit auf das klitzekleine Format der Satelliten an, die das Start-up herstellt: nicht größer als 10 mal 10 mal 30 Zentimeter. Die Nanosatelliten sind ausgestattet mit kleinen Infrarotsensoren, die Geschehnisse an der Erdoberfläche registrieren können. Sie sollen eine Dienstleistung ergänzen, die Ororatech schon jetzt anbietet. Das Unternehmen erstattet Bericht über auflodernde Waldbrände oder identifiziert gefährdete Gebiete. Und das mittels Wärmebildern aus Satellitennetzen. Zu den Kunden gehören Forstbetriebe wie Arauco in Chile, deren Mitarbeiter dort Bäume abholzen. Wenn die Feuermelder im Orbit losschlagen, hebt in dem südamerikanischen Land ein Löschflugzeug ab. Ein weiterer Abnehmer ist Tasmania Parks & Wildlife Service in Australien, eine Behörde, die down under 19 Nationalparks und 800 Reservate betreut. Seit diesem Jahr sind in der Bekämpfung von Waldbränden auch Nanosatelliten aus eigener Produktion im Einsatz. Entstanden ist Ororatech aus dem Spin-off eines Projekts an der Technischen Universität München. Ein denkbares Geschäftsfeld in der Zukunft sei auch die Landwirtschaft, sagt Mitgründer

Thomas Grübler. „Unsere Satelliten können beispielsweise messen, wie viel Wasser verdunstet. Damit lässt sich berechnen, wie viel gegossen wurde, und so lassen sich Rückschlüsse auf den Wasserverbrauch ziehen“, sagt er. Diese Fähigkeit könnte helfen, auf Feldern und Äckern einen sparsamen Umgang mit Wasser zu kultivieren. Auch in Berlin gibt es in der risikofreudigen New-Space-Branche Firmen, die sich um eher Bodenständige Angelegenheiten kümmern. Das Start-up LiveEO aus Berlin-Kreuzberg unterstützt die Energie- und Verkehrsbranche. Von Satelliten aus werden Stromleitungen, Pipelines und Bahnnetze beobachtet. Ein Kunde des Unternehmens ist die Deutsche Bahn mit ihrem Streckennetz von mehr als 33 000 Kilometern. Mittels künstlicher Intelligenz erhebt die junge Firma aus ihrem Datenmaterial zum Beispiel eine Karte über die Vegetation am Rand von Gleisen. So können Bäume, die anfällig gegenüber Stürmen sind, ausgemacht werden. Eine Sicherheitsmaßnahme in Zeiten von Wetterextremen, die der Klimawandel verursacht. LiveEO zeigt damit eine wichtige Facette der Raumfahrt 4.0: Sie kann einen Beitrag zur Lösung irdischer Probleme leisten.

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