Aus der Küche in die Achterbahn

Aus der Küche in die Achterbahn


Katharina Schulze und Constantin Gaul haben sich auf die Achterbahnfahrt des Gründens begeben – gleich zweimal. Besonders schätzen sie dabei die Zusammenarbeit als Geschwister.

Katharina Schulze und Constantin Gaul haben sich auf die Achterbahnfahrt des Gründens begeben – gleich zweimal. Besonders schätzen sie dabei die Zusammenarbeit als Geschwister.

Text: Marcus Müller, Foto: Valerie Schmidt

In der Küche entstehen die besten Ideen. Der Zufall machte dort die Geschwister Katharina Schulze und Constantin Gaul zu Geschäftspartnern. Gut acht Jahre zuvor hatte Schulze „recht fix und mit einer großen Portion jugendlichem Leichtsinn“ ein Start-up gegründet, erzählt sie fröhlich. Es ging um einen Onlineshop für Bett- und Schlafprodukte – E-Commerce. Doch nach zwei Wochen, mitten in der Anfangseuphorie, sprang der ITler der jungen Unternehmerin ab. Für ein digitales Geschäft eine Katastrophe. „Irgendwann standen wir zusammen in der Küche, ich habe meinem Bruder davon erzählt, und er fragte, ob er mir helfen könne“, so Schulze. Und tatsächlich passte es perfekt: Gaul hat einen Master in Technischer Informatik und arbeitete zu der Zeit als Freiberufler. „Ich hatte zwar noch nie E-Commerce gemacht, aber als ich mir das angesehen habe, fand ich doch schnell ein Verständnis dafür“, erklärt er. Gut zwei Monate später ging der Shop online, nach weiteren zwei Monaten wurde Gaul offizieller Teilhaber.

Rückblickend war die Gründung für die beiden gebürtigen Berliner der richtige Schritt – und ein typischer, da heute viele Gründerinnen und Gründer sehr jung sind. Schulze war damals noch nicht ganz 22 Jahre alt, ihr Bruder 28. Sie studierte Journalismus und Unternehmenskommunikation und fand in einer PR-Agentur ihren ersten festen Job. „Mich hat es doch sehr schnell zur eigenen Gründung gezogen“, erinnert sie sich. Sie wünschte sich Unabhängigkeit und wollte ihr „eigenes Ding“ machen. „Viel arbeiten, Überstunden machen ohne Ende, wenig Geld verdienen – das kann ich auch im eigenen Unternehmen“, sagt sie lachend. Ihrem Bruder ging es ähnlich. Gaul hatte seinen ersten Job als ITler in einem Start-up mit kleinem internationalen Team, viel Transparenz und kurzen Wegen zu den Gründern. „Doch schon an der Uni war mir Autonomie enorm wichtig. Dinge frei gestalten, die eigene Kreativität umsetzen, das geht als Angestellter eben nur bedingt.“ Für einige Jahre arbeitete er als Freelancer, um „zu gucken, wie es ist, wenn man auf eigene Rechnung arbeitet, sich Projekte suchen und quasi alles selbst machen muss“. Das sei ein guter „erster Step“ gewesen. „Da war der Weg zum Gründerdasein eigentlich auch nicht mehr weit“, sagt Gaul.

Das Abenteuer und die Freiheiten, die ein eigenes Unternehmen bietet, können aber auch ein echter Rummelplatz sein. Gar nicht so sehr wegen des Alters, meint Schulze: „Ich habe nie so richtig verstanden, warum es mutig sein soll, so jung zu gründen. Mit Anfang 20 hat man ja noch keine großartigen Verpflichtungen. Für richtig Erwachsene ist das doch viel mutiger.“ Also stiegen die Geschwister mit ihrem Start-up für Bett- und Schlafprodukte in die, wie sie es nennen, „Achterbahn des Gründens“ – die auch schnell ein paar scharfe Kurven bereithielt.

So trafen sie sich mit Bettenfachhändlern, um Datensätze und Computersysteme auszutauschen. Doch statt eines Laptops wuchteten die Geschäftspartner dicke Papierkataloge auf den Tisch. „Mit einigen dieser Firmen haben wir den digitalen Prozess erst gemeinsam ins Rollen gebracht“, sagt Schulze rückblickend. „Wir haben da schon Aufsehen erregt.“

Doch reichte das Aufsehen nicht für genügend Marge. „Im E-Commerce wird man entweder schnell groß und kann dann durch Skalierungseffekte die Gewinnspanne erhöhen. Oder man dümpelt so vor sich hin“, sagt Gaul. Das wollten beide nicht. Schulze spricht offen über dieses Tal ihrer Achterbahnfahrt: „Ich habe kein Problem mit dem Wort Misserfolg. Es ist schade, dass das immer noch häufig so negativ gesehen wird. Aber wenn wir nicht scheitern, dann werden wir auch nicht besser.“ Durchaus schweren Herzens entschieden sich beide damals für die Geschäftsaufgabe.

Jedoch reifte mit den Erfahrungen des ersten Start-ups bereits die Idee für ein anderes. Auch dieses Projekt wollten die Geschwister zusammen als Geschäftspartner stemmen, denn sie sehen darin einen klaren Vorteil: „Wir verstehen uns eigentlich blind. Das ist das Gute an Geschwistern, du kennst dich. Es gibt keine Menschen, die man länger kennt“, sagt Schulze. Auch in unserem Interview entwickeln sich die Antworten zu einem Pingpong zwischen den beiden. „Das geht zum Teil so weit, dass es für andere schwierig wird, unseren manchmal kryptischen Artikulationen zu folgen, sodass die dritte Person im Raum überhaupt keine Ahnung hat, worum es gerade geht“, sagt Gaul grinsend.

Im Prinzip haben Schulze und Gaul auf dieser Basis des gegenseitigen Verstehens ihr zweites Start-up entwickelt. Die vor rund zwei Jahren gegründete avy health GmbH ist ein Beratungs- und Softwareunternehmen im Bereich Human Relations. Es hilft den Führungskräften von Unternehmen im Digital- und Techsektor, Beziehungen innerhalb des Betriebs zu verbessern. Durch intensivere Kommunikation soll die Bindung zwischen Mitarbeitenden, besonders Fachkräften, gestärkt werden. Dafür bringen die jungen Gründer nicht nur das nötige technische Wissen mit, sondern auch einen frischen Blick auf die Arbeitswelt.

Als Beratungsdienstleister analysieren sie zusammen mit der Personalabteilung, den Führungskräften und Mitarbeitenden die „aktuellen Pain Points“, so Schulze. Sie verstehen sich als Sparringspartner und entwickeln Info- und Weiterbildungsangebote mit Coachings oder Workshops, fast immer gehören Softwarelösungen dazu. Für Letztere begleiten sie auch die Implementierung und die Nutzung. „Oft werden solche Tools eingekauft, dann aber nicht genutzt“, sagt Gaul, „das funktioniert natürlich nicht.“

Zurück zum Gesprächs-Pingpong. „Das kannst du eigentlich ganz cool erzählen, weil das zusätzlich zu unserer eigenen Arbeitseinstellung auch aus deinem Freundeskreis kam“, sagt Schulze zu ihrem Bruder. Gaul erzählt daraufhin, dass es gerade im IT-Bereich eine hohe Unzufriedenheit gebe. „Ich habe im Freundeskreis nur eine Person, die sagt, sie sei mit ihrem Job total zufrieden.“ Auf der anderen Seite ist es dank des hohen Bedarfs an diesen Fachkräften sehr leicht, den Arbeitsplatz zu wechseln. Dadurch drohen den Unternehmen eine hohe Fluktuation, gestörte Arbeitsprozesse und letztlich enorme Kosten. „Es geht uns Jüngeren nicht mehr ausschließlich um das Gehalt. Es geht auch darum, dass man in einem guten Team arbeitet, wertgeschätzt wird und den Sinn sieht“, so Gaul. „Wer diesen Mehrwert hat, lässt sich nicht so leicht abwerben.“ Den Ball nimmt Schulze auf: „Wir haben die Vision, dass wir Unternehmenskulturen schaffen, für die Mitarbeitende morgens gern aufstehen. Um das hinzubekommen, benötigen Führungskräfte emotionale Intelligenz und Kompetenz. Auch die muss gelernt sein, und das vermitteln wir.“

Konkret berät avy health Firmen zu verschiedenen Aspekten der Unternehmenskultur. Dabei geht es um Werte und wie diese eingebracht werden können, um Kommunikation im gesamten Betrieb oder in Teams, um Konfliktmanagement. Die beiden Geschwister haben fünf Mitarbeitende und ein Netz aus ungefähr 20 Psychotherapeutinnen und -therapeuten in ganz Deutschland. Parallel zur Beratung setzen sie auf Lernvideos und Umfragetools. Gerade kontinuierliche und anonyme Umfragen mit einem digitalen Tool, beispielsweise zu der Zusammenarbeit oder Zufriedenheit in einem Team, können dabei helfen, bestehende Konflikte schneller zu erkennen. Der 34-jährige Constantin Gaul ist dabei fürs Digitale zuständig, kümmert sich aber auch um die Finanzen. Katharina Schulze, 28, sieht ihren Schwerpunkt in der internen und externen Kommunikation. Aber die Strategien entwickeln sie gemeinsam. Was beide gleichermaßen reizt, sind Energie, Geschwindigkeit und die Freiheit, das gemeinsame Start-up zu managen und voranzutreiben. „Viele Prozesse gibt es bei uns noch gar nicht so wie bei bestehenden oder großen Unternehmen. Wir müssen sie also erst mal selbst etablieren und schauen, wo man den größten Mehrwert schaffen kann“, erläutert Gaul.

Und zu seinem Nicken ergänzt seine Schwester: „Für uns selbst gilt, was wir in Unternehmen vermitteln wollen: morgens gern zur Arbeit zu gehen. Wir haben kürzlich beide festgestellt, dass es eigentlich keinen Tag gab, an dem das nicht so war, seit wir avy gemeinsam machen“, sagt sie. Sie hantieren dabei mit keinem großen Budget, rund 150000 Euro haben sie über Business Angels und eine öffentliche Förderung an Kapital generieren können. „Wir machen mit der Beratung Umsatz und sind vorläufig nicht auf großes Venture Capital angewiesen, weil wir nicht sofort eine Produktidee umsetzen wollen“, sagt Schulze.

Allerdings ist ihr Fantasie-Unternehmensname avy durchaus so gewählt, dass er einmal für einen Beratungsassistenten herhalten könnte. Perspektivisch wollen Schulze und Gaul neben der auf die jeweiligen Unternehmen zugeschnittene Beratungstätigkeit auch digitale Produkte zu deren Unterstützung anbieten. Diese sollen dann als Abo- oder Lizenzmodell funktionieren. „Wir erlauben uns zurzeit noch den Luxus, einfach viel auszuprobieren“, sagt Schulze.

Beide sehen es auch für die Zukunft als Vorteil, dass sie als Geschwister zusammenarbeiten. „Wir beraten Unternehmen dazu, wie Erwartungshaltungen zu erfüllen sind und wie man das kommuniziert. Wir wollen beide weiterkommen im Leben, und deshalb klären wir auch offen und bewusst, wie das Weiterkommen für uns aussehen soll“, sagt Schulze. Und Gaul ergänzt: „Manche Gründerinnen und Gründer wollen ja nach einer gewissen gemeinsamen Zeit andere Wege gehen. Wir wollen aber auch als Familie weiter zusammenbleiben und uns verstehen.“

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 37. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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