Brücken der Kunst

Brücken der Kunst


Dass Kunst Menschen verbindet und dabei hilft, die Welt ein wenig besser zu verstehen, hat Rebecca Raue schon früh gespürt. Mit Ephra bringt sie seit 2018 Kunst und Kinder zusammen – in Projekten, Workshops, Führungen und mit immer neuen Ideen.

Dass Kunst Menschen verbindet und dabei hilft, die Welt ein wenig besser zu verstehen, hat Rebecca Raue schon früh gespürt. Mit Ephra bringt sie seit 2018 Kunst und Kinder zusammen – in Projekten, Workshops, Führungen und mit immer neuen Ideen.

Text: Tanja Breukelchen, Foto: Christina von Messling

Kunst an den Wänden. Opernsängerinnen und Schauspieler als Gäste der Eltern, die prominente Juristen sind. Gespräche bei Tisch. Über Kunst, wie sie uns berührt. Dann dieses Bild an der Wand am Treppenabsatz. „Eine winzig kleine Zeichnung von Thomas Schmidt, kaum größer als ein DIN-A4-Blatt. Ein kleiner Mensch auf einem Strich. Vor ihm geht eine Röhre in die Erde, an deren Ende eine Kugel liegt. Darüber steht: ,Gebt mir eine feste Angel, und ich werde den Punkt aus der Erde heben.‘ Darüber habe ich oft nachgedacht“, erinnert sich Rebecca Raue. „Wie will er das mit einer Angel schaffen? Und was ist das für ein Punkt?“

Die Kindheit in einem kunstaffinen Elternhaus hat sie geprägt. Die Bilder werden zu ihren Freunden. Sie spricht mit ihnen, vertraut sich ihnen an. Abstrakte Expressionisten wie Cy Twombly und Mark Rothko berühren sie zutiefst. Mit acht Jahren sagt Rebecca Raue, sie wolle Künstlerin werden. Mit 14 dann ein viel konkreterer Wunsch: „Mit Kindern ein Haus bauen, in dem Kunst ausgestellt ist – für Kinder.“ Nach dem Abitur gerät das erst einmal in Vergessenheit. Zunächst nimmt Rebecca Raue Schauspielunterricht, später studiert sie Kunst, erst bei Georg Baselitz, dann als Meisterschülerin von Rebecca Horn.

Rebecca Raue macht Kunst, aber es soll noch ein paar Jahre dauern, bis sie sich als Künstlerin fühlt. Genau wie sie kurz darauf von „Ich habe Kinder“ zu „Ich bin Mutter“ ein bisschen Zeit braucht, um sich einzufinden zwischen Kunst und Kindern, zwischen Atelier und dem eigenen Zuhause: „Als meine Kinder klein waren, war dieses absolute Hineingleiten in die Kunst, grenzenlos Künstlerin zu sein, dieses Fließenlassen nicht mehr möglich. Dafür entstand die Qualität, klar und konsequent zu arbeiten“, erinnert sie sich. Und noch etwas wurde ihr klar: „Nach der Geburt meines Sohnes habe ich im Wochenbett auf mein Leben geguckt und mich gefragt, wo ich hinmöchte. Immer mehr kam da die Idee von dem Haus voller Kunst für Kinder zurück. Und diese Vision wurde konkreter.“

Heute ist Rebecca Raues Tochter 17 Jahre alt, der Sohn 13. Längst kann sie wieder eintauchen in die Kunst, hat den Kopf frei: „Ich liebe es, im Trubel eines Cafés zu sitzen, Menschen zu beobachten und ganz bei mir zu sein. Da entstehen Gedanken, Fragestellungen, innere Räume – das ist häufig der Anfang vom Malen.“ Und die Vision von damals? Die wuchs. Rebecca Raue initiierte Projekte, über die Kinder einen Zugang zur Kunst bekommen und Brücken gebaut werden, denn „die Sicht der Kinder kann auch Erwachsenen helfen, Kunst besser zu verstehen, sie öffnet für uns Welten und schafft andere Erzählebenen und neue Perspektiven auf das Leben“.

Aus zahlreichen Projekten wie Atelierbesuchen, Workshops, Filmen und Kooperationen mit Schulen entstand 2018 „Ephra – Kinder. Zukunft. Kunst“. Der Name geht auf Rebecca Raues Urgroßmutter, eine Großmutter ihres Vaters, zurück. „Ich kannte diese Frau nicht. Und ich habe auch erst mit zwölf Jahren erfahren, dass der Mann, den ich Opi nenne, nicht mein leiblicher Großvater ist. Diesen habe ich nämlich erst später kennengelernt, er musste wegen seiner jüdischen Herkunft während der Zeit des Nationalsozialismus untertauchen. Als mein Vater sich auf die Suche nach ihm machte und ihn schließlich fand, hat sich mir ein ganz neuer Kosmos eröffnet. Es war ein Gefühl, als wäre ich endlich zu Hause in meiner Familie.“ Zu dieser Familie gehörte ihre Urgroßmutter, die 1889 geborene Marion Ephraimson, die Raue zwar nie kennengelernt hat, mit der sie sich aber intensiv beschäftigte: „Sie war Berlinerin und Schauspielerin, und der Mann war Maler. Sie war im KZ Theresienstadt, überlebte jedoch. Nach ihr habe ich Ephra benannt, das hebräische Wort bedeutet so viel wie ‚beidseitig fruchtbar‘, denn das ist Kunst ja auch: in beide Richtungen sichtbar.“

So sind es eben nicht nur die Kinder und Jugendlichen, die von den Ephra-Projekten profitieren, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler, denen die zuweilen überraschenden und unverkopften Fragen der Kinder eine neue Sicht auf die eigenen Arbeiten geben. Rebecca Raue geht immer wieder das Herz auf, wenn sie Reaktionen wie die eines Viertklässlers hört: „Er sagte, er glaube, er werde auch einmal Künstler, denn die Kunst sei so voller Geheimnisse.“ Ihr werde dann bewusst, wie viel Kunst verändern könne. Eine Chance, die Rebecca Raue nutzt, unter anderem mit Projekten wie „Masculinities“, bei dem Jugendliche zusammen mit dem Gropius-Bau ein Poster zum Thema „Männlichkeit(en)“ entwickelten, und zwar mit den Aktivisten und Kunstschaffenden Fikri Anıl Altıntas¸, Linus Giese, Rosa von Praunheim und Anne Lehmann. Mit dem Filmprojekt „Die Mauer ist jetzt unsichtbar“ zum Thema „30 Jahre friedliche Revolution“. Oder mit Workshops über Islam, Populismus und Flucht. Sie erzählt, wie es sie gepackt hat, als sie zum ersten Mal in die Realität einer Berliner Brennpunktschule „hineinstolperte und so unglaublich wütend und verzweifelt“ war: „Ich dachte, wie kann es sich ein Land wie Deutschland leisten, Bildung so wenig stattfinden zu lassen und so viele Kinder in Situationen zu bringen, in denen sie nicht gehört und nicht gesehen werden, in denen sie sprachlos sind? In einer Klasse waren zehn Kinder, die bereits Vorstrafen hatten. Das Wort Jude war ein normales Schimpfwort auf dem Gang. Die Kinder wussten in der fünften Klasse nicht, wo Deutschland auf der Weltkarte liegt.“

Erschüttert von der Orientierungslosigkeit suchte Rebecca Raue den Dialog und stellte fest, „dass die Kunstwelt Räume öffnen und gegenseitige Berührungen herstellen kann: für Kinder, die neugierig sind, aber auch für Künstlerinnen und Künstler, für deren Arbeit es wichtig ist, andere Lebenswelten kennenzulernen“. Rebecca Raues Traum? Der scheint mit dem eigenen Leben als Künstlerin und als Geschäftsführerin von Ephra fast erfüllt. Allerdings: „Noch sind wir mit den Kindern unterwegs, haben unterschiedliche Projekte. Mein Traum ist noch immer ein Haus. Ein Haus der Kunst für Kinder.“

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 36. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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