Claudia Große-Leege: Die Saiten zum Klingen bringen

Claudia Große-Leege: Die Saiten zum Klingen bringen


Claudia Große-Leege ist die neue Geschäftsführerin des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Sie will den Dreiklang aus Netzwerk, sozialem Engagement und politischem Dialog stärken und die Arbeit des VBKI auf die gesamte Metropolregion ausweiten.

Claudia Große-Leege ist die neue Geschäftsführerin des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Sie will den Dreiklang aus Netzwerk, sozialem Engagement und politischem Dialog stärken und die Arbeit des VBKI auf die gesamte Metropolregion ausweiten.

Text: Christoph Horn, Foto: Ériver Hijano

Schwungvoll stellt sie das Rad ab und wuschelt sich kurz durch die blonden Haare. Claudia Große-Leege ist im 141-jährigen Bestehen des VBKI nicht nur die erste Frau an der Spitze des Vereins, sondern auch die erste Geschäftsführerin, die täglich mit dem Rad zur Arbeit kommt. Sie brauche das, sagt sie, 20 Kilometer am Tag, mindestens, einmal durch den Tiergarten und zurück. Früher sei sie morgens und bei – fast – jedem Wetter im Schlachtensee geschwommen, das sei zeitlich nicht mehr drin. Aber das Fahrradfahren. In Bewegung sein, Natur erleben, immer frischen Wind um die Nase: Das seien Energiequellen, sagt die gebürtige Bremerin, das mache sie aus. Genau wie die Lust auf neue Herausforderungen. Claudia Große-Leege folgt auf Udo Marin, der sich nach 20 Jahren aus der Gescäftsführung zurückgezogen hat. Die vergangenen Wochen hätten sie in einer „Büro- WG“ verbracht, um den Übergang möglichst fließend zu gestalten. „Während sein Terminkalender immer leerer wurde, war es bei mir genau umgekehrt“, erinnert sich Große-Leege. Es sei eine äußerst unterhaltsame Zeit gewesen, meint die neue Chefin des VBKI, abgesehen davon habe sie so am besten an das Netzwerk ihres Vorgängers anknüpfen können. Sie sagt bewusst anknüpfen, denn Claudia Große-Leege ist angetreten, um den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller weiterzuentwickeln.

Der Tatsache, dass mit ihr nun eine Frau die Richtung des VBKI vorgeben wird, misst sie keine große Bedeutung bei, das wird im Gespräch schnell deutlich. Und so, wie sie darüber spricht, klingt das Statement ebenso pragmatisch wie optimistisch. Als Quotenfrau sehe sie sich nicht, für sie sei ihre jetzige Position „völlig normal“ – was so viel heißen mag wie: Hier ist einfach die richtige Person am Platz. Auch wenn die neue Chefin gern ruhige Töne anschlägt, an Selbstbewusstsein fehlt es ihr nicht. Gut so, denn Claudia Große-Leege hat sich viel vorgenommen. Sie will den VBKI-Dreiklang aus Netzwerk, sozialem Engagement und politischem Dialog stärken und den Verein für jüngere Mitglieder noch interessanter machen. „Bei uns trifft man die richtigen Leute, mit denen man über die Themen der Stadt sprechen kann, die sich gern für Berlin engagieren, die Dinge bewegen wollen. Und wir haben die Entscheider am Tisch. Mit mehr als 2300 Mitgliedern ist der VBKI nicht nur ein großes, sondern vor allem ein einflussreiches Netzwerk. Das alles ist viel zu wenig bekannt“, sagt Große-Leege. „Und wir wollen noch jünger, bunter, weiblicher werden. Berlin ist die Gründerstadt Nummer eins in Deutschland und liegt auch im internationalen Ranking in der Spitzengruppe. Der VBKI ist die geeignete Plattform zur Vernetzung zwischen Start-ups und Old Economy, zwischen Berlin und Brandenburg, Ost und West.“

Große-Leege fühlt sich tief verbunden mit Berlin. Seit mehr als 20 Jahren lebt die Mutter von Zwillingen in der deutschen Hauptstadt; nirgendwo sonst habe sie langer gewohnt. Nach dem BWL-Studium an der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster, das sie als Diplom-Kauffrau abschließt, zieht es sie nach München, später nach Heidelberg, bevor es an die Spree geht. Hier gründet Claudia Große-Leege in der Elternzeit ein eigenes Unternehmen. Ihre Plattform Schulengel, die 2008 an den Start ging und im Folgejahr bereits verkauft wurde, ist ein bis heute erfolgreiches Social-Start-up. Auf diese Erfahrung als Unternehmerin sollten fünf Jahre bei C/O Berlin folgen, wo sie sich intensiv mit der Kulturszene auseinandersetzte und dabei bereits das Engagement des VBKI-Kulturausschusses kennenlernte. Ihre Zeit als Unternehmerin möchte sie dennoch nicht missen, und sie appelliert, diesen Weg zu wählen: „Unternehmertum bedeutet Gestaltungsfreiraum und Risiko – und dass man eine Vision mit ganz besonderer Leidenschaft umsetzt.“ Sie wünsche sich, dass noch viel mehr Frauen gründen, „gerade in den MINT-Berufen liegt so viel Potenzial“. Claudia Große-Leege muss es wissen; bevor sie dem Ruf des VBKI folgte, war sie sieben Jahre lang als Geschäftsführerin für den Verband deutscher Unternehmerinnen tätig. Von dort bringt die leidenschaftliche Netzwerkerin auch die Erfahrung politischer Interessenvertretung mit – auf Bundesebene wie im G-20-Dialogprozess – sowie ihre Überzeugung für die Rolle der Vereinsgeschäftsführung: Große-Leege ist eine Frau, die sich gern zurücknimmt, aufmerksam zuhört, Interessen bündelt und dabei stets alle Fäden in der Hand hält – um im entscheidenden Moment die „Saiten zum Klingen zu bringen“, wie sie es nennt.

Genau das macht sie nun im VBKI; am 1 . Oktober 2020 wurde sie dort in die Geschäftsführung berufen. In ihrer Agenda zeigt sie Perspektiven auf. So möchte Claudia Große-Leege mit dem Netzwerken „nicht an den Toren der Stadt haltmachen“, denn die Stadt sei „längst wirtschaftlich und gesellschaftlich über die Landesgrenzen gewachsen“. Berlin-Brandenburg müsse sich als Metropolregion „in einem globalen Kontext“ begreifen, der VBKI werde sich stark für das Zusammenwirken und das Selbstverständnis als eine gemeinsame Wirtschaftsregion einsetzen. Zweiter Punkt auf ihrer Liste sei die Digitalisierung – die Pandemie fordere eine Transformation des Netzwerks. „Digitale Formate haben sich bewährt und werden auch nach der Pandemie Teil des Veranstaltungsprogramms bleiben. Und drittens soll der VBKI ein Spiegelbild der gesamten Stadt sein, im Osten wie im Westen mit der berlintypischen Internationalität und Wirtschaftsstruktur, zum Beispiel der Start-up-Kultur.“ Darüber hinaus werde das laufende Jahr durch die anstehende Bundestagswahl und die Wahl des Abgeordnetenhauses besonders „wichtig für einen Verein, der sich als eine Stimme der Stadt versteht“. Sie sage bewusst „Stimme der Stadt, nicht der Wirtschaft, weil wir Interessen vertreten, die über die Wirtschaftsinteressen hinausgehen. Wir stehen für bürgerschaftliches Engagement, setzen uns für Bildung, Kultur und Gesundheit ebenso ein wie für den Wirtschaftsstandort Berlin. Das reflektiert sich auch in den zahlreichen gesellschaftlichen Initiativen des Vereins wie etwa den Lesepaten.“

Selbstverständlich prüfe man bei den Parteien, die sich für die Regierung bewerben, auch die wirtschaftspolitische Kompetenz. Denn damit werde die Grundlage für die Entwicklung der Stadt für alle Bürger geschaffen. Dass sie die Bedeutung Berlins im nationalen und internationalen Kontext über all die Jahre habe wachsen sehen, sei ihr sehr wichtig, sagt Claudia Große-Leege, und das kompensiere auch die gelegentliche Sehnsucht der Norddeutschen nach „Meer und weiten Feldern“ vor der Tür. „Ich fühle mich hier sehr, sehr wohl“, sagt die Geschäftsführerin. Sie wünscht sich ein liberales und freies Berlin und denkt mit Wehmut an die Zeiten, als man ohne Anmeldung und Sicherheitscheck einfach in den Bundestag gehen konnte. „Das war für mich das Sinnbild einer Demokratie, die auch im Physischen unmittelbar zugänglich war. Zweifelsohne müssen wir unsere Demokratie vor Angriffen schützen. So traurig das auch ist.“ Der ikonische Bau sei einer ihrer Lieblingsorte, genau wie die Abhöranlage auf dem Teufelsberg oder der Kreuzberg im gleichnamigen Bezirk. „Neuberlinern“ empfehle sie, diese Orte zu besuchen, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen, ebenso eine Bootsfahrt auf dem Wannsee, einen Spaziergang über den Ku’damm oder einen Ausflug zum Fernsehturm am Alexanderplatz. Und – natürlich – eine Mitgliedschaft im VBKI. Das bürgerschaftliche Engagement sei ein wesentlicher Grund für sie gewesen, vor einigen Jahren selbst Mitglied im VBKI zu werden. Sich einbringen zu können wie bei den Lesepaten, aber vor allem auch als Mitglied einen Teil dazu beitragen zu können, dass in Projekten Kultur ausgezeichnet werde wie beim Galerienpreis oder dass Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund in den Berliner Arbeitsmarkt vermittelt würden wie bei „Einstieg zum Aufstieg“: Das hat Claudia Große-Leege als bewegend und überzeugend zugleich empfunden.

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