Da geht mehr

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Nachhaltigkeit und Digitalisierung – diese beiden Megathemen beeinflussen heute fast jede Unternehmensentscheidung. Das Gute ist: Die Trends können klug miteinander verknüpft werden. Doch dafür braucht es neben Ideen und Technologie eine gehörige Portion Mut.

Nachhaltigkeit und Digitalisierung – diese beiden Megathemen beeinflussen heute fast jede Unternehmensentscheidung. Das Gute ist: Die Trends können klug miteinander verknüpft werden. Doch dafür braucht es neben Ideen und Technologie eine gehörige Portion Mut.

Text: Manuel Heckel, Foto: Nitinai Photomemory/Monami Studio/Shutterstock

Aus Lkw-Planen werden schicke Handtaschen: Das ist die ehrgeizige Vision einer Berliner Designerin. Noch sind es Einzelstücke, doch das Potenzial des Pilotprojekts ist groß. Das Material stammt von einem Textiltechnik-Unternehmen aus Baden-Württemberg, das in großer Stückzahl Verkleidungen für Auflieger (Lkw- Anhänger) herstellt. Bislang musste der Mittelständler jede Menge Verschnitt entsorgen. Das Berliner Start-up Normcut bildet nun im doppelten Sinn die Schnittstelle zwischen Produktionsabfällen und nachhaltigen Accessoires: Eine Softwarelösung berechnet genau, wie viele Reste in der Produktion übrig bleiben – und wie sie sich von anderen Firmen nutzen lassen könnten. In diesem Fall entsteht aus Müll Mode: „Aus den Verschnitten ließen sich 120 Taschen pro Woche machen“, sagt Johannes Heereman, Gründer von Normcut. Die Vernetzung soll sich für alle drei Beteiligten lohnen: Normcut macht seinen Umsatz mit den verkauften Materialien, die Designerin kommt günstiger an die begehrten Textilien – und der Lkw-Planen-Zuschneider spart Entsorgungskosten. Guten Gewissens lässt sich Geld sparen oder verdienen. „Bei uns gehen Wirtschaftlichkeit und Ökologie wirklich Hand in Hand“, sagt Heereman stolz.

Der Druck auf die Unternehmen steigt

Das Beispiel zeigt, wie sich zwei Megatrends miteinander verbinden lassen. Digitalisierung und Nachhaltigkeit treiben heute bereits fast jede Unternehmensentscheidung. Die Kunden fordern zunehmend, dass Bestellungen und Service online abgewickelt werden können, und der Wettbewerbsdruck sorgt dafür, dass auch interne Prozesse digital aufgestellt werden. Währenddessen verstärken sich die Fragen der Abnehmerinnen und Investoren zur Nachhaltigkeit: Lässt sich die Produktverpackung nicht ressourcenschonender gestalten? Und wäre eine höhere Energieeffizienz nicht viel besser für Image und Bilanz? 78 Prozent der Verbraucher achten mittlerweile beim Einkauf auf Faktoren wie eine plastikfreie Verpackung, einen kleinen CO2‑Fußabdruck, faire Arbeitsbedingungen oder das Tierwohl. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey aus diesem Jahr. Viel zu tun für Firmen. „Der Trend wird bleiben, und Entscheider sollten jetzt ihre Strategie mutig auf Nachhaltigkeit ausrichten“, sagte Sebastian Gatzer bei der Vorstellung der Studie. Der McKinsey-Partner ist Experte für Nachhaltigkeit im Konsumgütersektor. „Es geht nicht mehr darum, Risiken zu minimieren, sondern um Differenzierung und Wachstum.“ Das Gute ist: Häufig sind die Herausforderungen eng miteinander verknüpft. Im vergangenen Jahr zeigte eine repräsentative Umfrage der Plattform Nachhaltig.Digital, dass drei Viertel der befragten Mittelständler in der Digitalisierung eine Chance für mehr Nachhaltigkeit im eigenen Betrieb sehen. Das größte Potenzial steckt laut Umfrage in einem effizienteren Einsatz von Ressourcen, transparenteren Lieferketten sowie einem geringeren Energieverbrauch. „Digitalisierung kann durch innovative Werkzeuge zum Motor für mehr Nachhaltigkeit werden“, sagt Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die zu den Förderern von Nachhaltig.Digital gehört.

Großer Respekt vor dem Umbau

Die Herausforderung: Viele Unternehmen sehen durchaus die langfristigen Vorteile einer solchen Transformation. Doch was sie kurzfristig erwartet, sind vor allem Probleme. Ein Umbau kostet viel Geld und Kraft. Software muss eingekauft, Strategien wollen überdacht, Mitarbeiter einbezogen werden. „Die Firmen sagen: Wir stehen vor einem großen Berg – und wir wissen nicht, wie wir da hochkommen sollen“, sagt Steffi Kirchberger. Die Diplom- Kauffrau hat jahrelange Konzernerfahrung, unter anderem bei der Deutschen Post oder dem Versandhändler Zalando. Seit 2018 leitet sie die Berliner Beratungsagentur Jaro Services und hilft Unternehmen, Nachhaltigkeit und Digitalisierung besser zu verankern. Für Kirchberger kein kompaktes Dreimonatsprojekt: „Mit der Nachhaltigkeit ist es wie mit der Digitalisierung“, sagt sie, „man ist nie fertig damit, die Veränderungen hören nicht auf.“

Gerade diese Veränderungen machen jedoch viele neugierig und wecken das Interesse an einem Austausch. In zahlreichen Netzwerken treffen sich Firmen und Organisationen, um Vorbilder zu finden und Fehler zu vermeiden. Nachhaltig.Digital listet etwa allein in und um Berlin herum 18 „Good Practices“ – vom Startup Normcut über den kirchlichen Kompensationsfonds Klima-Kollekte bis zur Hochschule für Technik und Wirtschaft. Das Jaro-Institut, der Verein hinter der gleichnamigen Beratungsagentur, führt in seiner Datenbank 50 nachhaltig engagierte Unternehmen auf. Die meisten dieser Organisationen und Firmen fokussieren bestimmte Probleme. Und gehen so die großen Wege in kleinen Schritten an. Ein kluges Vorgehen, findet Beraterin Kirchberger: „Zerlegen Sie Ihr Vorhaben in einzelne, erreichbare Ziele, feiern Sie die Erfolge, und nehmen Sie die nächsten Ziele in Angriff!“ So könnten sich Unternehmen je nach wirtschaftlicher Lage und Dringlichkeit den Herausforderungen nähern. Dabei beginnen die Veränderungen manchmal eher am Rande des eigentlichen Geschäfts. Kirchberger berichtet von kleinen Programmen, die bei der Dienstreisebuchung helfen können. Auf einen Blick sehen die Mitarbeiterinnen in der App, welchen CO2 -Ausstoß ihre nächste Fahrt verursachen wird. „Solche Bausteine können helfen, das Bewusstsein für diese Themen zu wecken“, sagt Kirchberger.

Vom Rand der Firma hin zum Kern des Geschäftsmodells

Start-ups wie Planetly oder Klimametrix helfen etablierten Firmen, ihren CO2 –Ausstoß überhaupt erst einmal zu berechnen – ein wichtiger erster Schritt, um herauszufinden, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann. Auch an anderen Punkten abseits des Kerngeschäfts lässt sich einfacher einsteigen. Zur Dienstwagenflotte könnten sich beispielsweise Elektrofahrzeuge gesellen. Und statt eines Autos pro Mitarbeiter bietet sich ein Fahrzeugpool an, der mit Softwareunterstützung gesteuert wird. Einen Schritt weiter sind Unternehmen, die bereits Teile ihrer Lieferkette dank digitaler Optimierung etwas nachhaltiger gestalten. Die Nachfrage hier sei groß, beobachten Jonas Boland und Matthias Geiß. Sie haben zu Beginn dieses Jahres in Berlin das Start-up Packmatic gegründet. Es unterstützt Produzentinnen bei der Suche nach passenden Lieferanten für Verpackungsmaterial. Traditionell haben Firmen dafür seit Jahren ihre vertrauten Zulieferer, zeitraubende Kommunikationsketten inklusive. Doch aktuell steigt der Druck, etwas an der Ummantelung der Produkte zu ändern – und das nicht aus reinen Designgründen: „Mehr als die Hälfte unserer Projekte haben einen Nachhaltigkeitsbezug“, sagt Boland. Über die Plattform des Start-ups können Unternehmen digital ihre Wünsche und Vorgaben definieren, nach denen ihnen Packmatic die passenden Verpackungsmittelhersteller empfiehlt. Einem Tierfutterproduzenten etwa half das Startup bei der Umstellung von Kunststoffpackungen auf vollständig recycelbares Material – stolze eine Million Beutel. Schließlich kann Software sogar helfen, den Kern des Geschäftsmodells zu verändern. Egal ob Markisenhersteller, Leichtbaufirmen, Laminatproduzenten oder sogar die Luftfahrtbranche – Normcut-Gründer Heereman spürt, wie intensiv viele Mittelständler nach Lösungen suchen. „Ich werde bei meinen Anrufen direkt zum richtigen Ansprechpartner durchgestellt“, berichtet er. Danach könne es allerdings zäh werden, weil sich die Unternehmen vor der Umstellung der Prozesse fürchten. Doch viele hätten mittlerweile entdeckt: Der Umbau mag zwar Kosten verursachen. Er schafft aber auch neue Chancen.

Früher Start zahlt sich aus

Die Anforderungen an Unternehmen, für mehr Transparenz bei Energieverbrauch oder Sozialstandards entlang der Produktionskette zu sorgen, könnten sich in Zukunft durch Gesetze erhöhen. Wer dann schon digital und nachhaltig gut aufgestellt ist, ist im Vorteil. Eine solche Ausrichtung kann helfen, junge Fachkräfte für sich zu begeistern. Und nicht zuletzt wird in den kommenden Jahren der Anteil der Verbraucher, die nach Unternehmen mit einem glaubwürdigen grünen Siegel suchen, steigen. Das Unternehmen Greenboatsolutions ist eines von vielen Beispielen dafür: Die jungen Gründer suchten ursprünglich nach Elektro- statt Benzinmotoren für ihr selbst gebautes Floß, mit dem sie über Berliner Seen und Kanäle schippern wollten. Aus diesem Vorhaben ist mittlerweile ein Onlineshop für elektrische Antriebe entstanden – mit Kunden aus ganz Deutschland. „Der Megatrend zur Nachhaltigkeit ist in den Köpfen“, sagt Mitgründer Johann Gocht.

Klar ist aber auch, dass in etablierten Firmen nicht alle Maschinen direkt umgerüstet werden können, nicht jeder Prozess gleich auf grün und digital geschaltet werden kann. Je größer die Organisation, desto vorsichtiger tasten sich die meisten Firmen vor. Am Anfang steht häufig ein Pilotprojekt, oder eine Abteilung probt ein neues, nachhaltiges Verfahren. Dieses Vorgehen hat mehrere Gründe. Gerade größere Unternehmen fürchten, dass ihre sorgsam ausbalancierten Prozesse aus dem Takt geraten, wenn zu viel Neues parallel in die Organisation einzieht. Die Transformation geschieht in der Regel im laufenden Betrieb – der Schalter lässt sich nicht plötzlich in Richtung nachhaltig und digital umlegen. Deshalb testen viele etablierte Unternehmen die Zusammenarbeit mit jungen Techfirmen aus. Start-ups werden so zu Starthelfern. Solche Kooperationen helfen auch aus einer anderen Klemme: Mittelständler fürchten die Kosten von Transformationsprozessen, vor allem aber fehlen ihnen die passenden Fachkräfte. Bei einer Umfrage des Mittelstand-Digital-Zentrums Berlin aus diesem Jahr zeigte sich: 47 Prozent der Firmen sehen die fehlenden Kompetenzen ihrer Mitarbeiter als Hürde bei der Digitalisierung. Schulungen sind ein guter Ansatz, grundsätzliches Umdenken hingegen braucht Zeit. Das Ziel: „Es ist klar, dass auch die Nachhaltigkeit eine Dimension werden muss, an die wir immer denken müssen“, sagt Beraterin Kirchberger. „Je länger wir sie jetzt ignorieren und nicht handeln, desto schwerwiegender werden die Maßnahmen sein, die ergriffen werden müssen.“

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