Die andere Ebene

Die andere Ebene


Als Leiterin der JUNGEN AKADEMIE betreut Clara Herrmann das „Artist in Residence“-Programm der Akademie der Künste am Pariser Platz. Ihre Vision: einen Raum zu formen, der sich bedingungslos auf die Projekte und Themen der Kunstschaffenden einlässt.

Als Leiterin der JUNGEN AKADEMIE betreut Clara Herrmann das „Artist in Residence“-Programm der Akademie der Künste am Pariser Platz. Ihre Vision: einen Raum zu formen, der sich bedingungslos auf die Projekte und Themen der Kunstschaffenden einlässt.

Text: Michael Fuchs, Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Wenn Clara Herrmann über Kunst redet, dann spricht sie von „Austausch“ und „Impulsen“, von Netzwerken und Gemeinschaften und davon, wie Werke Diskussionen „prägen können“. Sie spricht, ohne dies explizit zu sagen, von Künstlerinnen und Künstlern als gesellschaftlicher Kraft, einer sechsten Gewalt sozusagen – als Energie, die alle geografischen, politischen und psychologischen Grenzen zu überwinden vermag.

Kunst so zu sehen ist ihre Überzeugung – und ihr Job: Clara Herrmann ist Leiterin der jungen akademie, die junge Kunstschaffende aus der ganzen Welt zusammenbringt, vor allem in Berlin. Dabei ist die junge akademie so etwas wie die Nachwuchsförderung der Akademie der Künste am Pariser Platz. Im Rahmen eines „Artist in Residence“-Programms werden dreimonatige Arbeits- und Aufenthaltsstipendien an jeweils zwei Kandidaten je Sektion – Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur, Darstellende Kunst, Film- und Medienkunst – vergeben. Ausgewählt werden die Stipendiatinnen und Stipendiaten von den Mitgliedern der Akademie, die eingeladenen Künstlerinnen können Ateliers im Gebäudekomplex am Hanseatenweg nutzen. „Die Farben, das Design, die riesigen Fenster – Architekt Werner Düttmann hat die Räume wirklich menschenfreundlich angelegt“, sagt Clara Herrmann. „Hier kann jede Künstlerin, jeder Künstler in größtmöglicher Freiheit arbeiten.“ Tatsächlich sind inzwischen wieder Fellows in der Stadt.

Die 38-jährige Kuratorin und Kulturmanagerin leitet die junge akademie seit zwei Jahren, eine – auch angesichts der Coronakrise – relativ kurze Zeit. Lang genug aber, um erste Akzente im Spannungsfeld zwischen Kunst und Gesellschaft zu setzen. Dabei sei ihr das Wichtigste, die junge akademie zu öffnen. „Für Berlin, für weitere Netzwerke, für Themen, für andere Künstler.“ Und das auch über das Kernprogramm hinaus – etwa mit dem „Mensch-Maschine-Stipendium“, das die junge akademie gemeinsam mit der E.ON Stiftung ausschreibt und das bis Ende 2022 noch zweimal vergeben wird. Dabei geht es um die Frage, wie sich das Verhältnis von Mensch und Maschine mit der Digitalisierung entwickelt, um neue Arten der Interaktion etwa mit künstlicher Intelligenz. Dahinter stecke der Ansatz der „künstlerischen Forschung“, so Clara Herrmann: „Hier ergeben sich neue Chancen, Expertinnen, Experten und Künstlerinnen in die Diskussion zu holen.“ Und diese wiederum in die Gesellschaft zu tragen, weil die Akademie der Künste eben eine „gewichtige Stimme hat“.

Dass das Programm in diesem Jahr wieder anlaufen konnte, war beinahe eine Überraschung. „Erstaunlicherweise hat sich der internationale Austausch sehr gut erholt“, so Clara Herrmann. Ein Grund dafür sei, dass die junge akademie inzwischen nicht nur zu den Botschaften und Ausländerbehörden gute Kontakte hat, sondern auch zur Bundespolizei. „Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin am Flughafen trotz Visum Probleme bei der Einreise hat, hilft die Kontaktaufnahme zur Behörde im Vorfeld.“ Um Kunst möglich zu machen, muss man manchmal pragmatisch handeln. Denn Clara Herrmann sieht sich auch als Dienstleisterin für die Stipendiaten – und das über die drei Monate in Berlin hinaus. „Wir wollen den Aufenthalt der Künstlerinnen bestmöglich unterstützen, aber sie danach nicht aus den Augen verlieren. Mir ist die Nachhaltigkeit unseres Programms besonders wichtig.“ Die Leiterin der jungen akademie ist überzeugt: Neben der Kunstproduktion können die Stipendiatinnen helfen, internationale Gemeinschaften zu bilden.

Sie selbst kommt aus einer Familie im Raum Stuttgart, in der Kunst eine Rolle spielte. Und auch wenn sie anfangs einen anderen Weg einschlagen wollte, kam sie wieder in der Kunst an. Doch erst nachdem sie Literatur- und Rechtswissenschaften in Konstanz, Berlin und London studiert hatte und auf dem Weg in eine wissenschaftliche Laufbahn war. „Mir wurde allerdings schnell bewusst, dass mir etwas fehlte“, sagt Clara Herrmann, „diese andere Ebene: die Poesie, die Ambivalenzen und Störfaktoren. Und diese Offenheit.“ Der Kontakt, der Austausch mit der Kunst – ohne ging es eben doch nicht. „Man kann sich wohl seiner Wurzeln nicht erwehren.“ Sie studierte Kunst- und Kulturmanagement in Frankfurt (Oder), arbeitete „im Medienbereich“, etwa im Lektorat von Zeit Online. An der internationalen Künstlerresidenz Akademie Schloss Solitude in Stuttgart kam sie zum ersten Mal mit dem Thema der „Artist in Residence“-Programme in Kontakt. „Das erste Jahr dort hat mich stark geprägt“, sagt Clara Herrmann, „im Sinne der radikalen Offenheit für jede Form der Kunst. Und dass sich eine Institution bedingungslos auf die Künstlerinnen und ihre Projekte und Themen einlässt.“ 2015 gründete sie gemeinsam mit dem damaligen Leiter der Akademie, Jean-Baptiste Joly, das Programm „Digital Solitude“, das sich besonders „der Verschränkung des physischen und digitalen Raums“ widmet.

Weil sie diese Erfahrung in einer Künstlerresidenz weitergeben möchte, hat sie ein Stipendium für Kunstkoordination und –kuration ins Leben gerufen, das dieses Jahr zum ersten Mal ausgeschrieben wird. Neben Nachwuchskünstlern fördert die Akademie damit auch ihr kreatives Umfeld. Die Weberbank, die der jungen akademie sehr verbunden ist, beteiligte sich als Mitglied des Freundeskreises der Akademie der Künste mit einer Spende an der Förderung des Programms. „Wir müssen junge Leute als die Künstlerinnen ihrer Generation ausbilden.“ Und nirgends gehe das wohl besser als in Residenzprogrammen. „Entscheidend ist oft, dass sich die richtigen Personen treffen“, sagt Clara Herrmann. „So ist es in der Kunst schon seit Jahrhunderten.“ Und so sei es, sagt sie, immer wieder auch in ihrer eigenen Laufbahn gewesen. Am 1. Februar 2019 wurde Clara Herrmann Leiterin der jungen akademie, die seit 2002 besteht. „Ein ziemlicher Neustart“, sagt sie, trotz ihrer Erfahrung in der Branche – unter dem Dach einer 325 Jahre alten Institution zu wirken ist dann doch eine andere Herausforderung. Eines ihrer nächsten Projekte: die Werkpräsentation der Stipendiatinnen, die Ende März 2022 am Hanseatenweg stattfinden soll. „Mit Lesungen, Konzerten, Installationen, Screenings und Performances haben wir eine immense interdisziplinäre Vielfalt.“ Dieser Jahrgang, sagt Clara Herrmann, sei sehr politisch, beschäftige sich viel mit dem eigenen gesellschaftlichen Kontext. So wie die Filmemacherin Nida Mehboob aus Pakistan mit dem Projekt „Survival Guide for Ahmadis“. „Das ist eine aus religiösen Gründen unterdrückte Gemeinschaft, auf die sie aufmerksam machen möchte.“ Die irische Architektin Jennifer O’Donnell hat sich mit den Zeugnissen von Opfern der irischen „Magdalene Laundries“ im 19. Jahrhundert beschäftigt, katholischen Besserungsanstalten für „gefallene Frauen“, die aufs Schlimmste ausgebeutet wurden. „Es geht darum, wie diese Orte und Gebäude die Erinnerung an die Ereignisse in sich tragen und die Frauen eine Stimme erhalten über Zeichnungen der Architektin.“ Der brasilianische Künstler Cássio Diniz Santiago arbeitet an einer Soloperformance mit dem Ziel, eine neue Grammatik für Kunst und Leben zu entwickeln, die marginalisierte Stimmen nicht ausschließt. Der weltweite Rechtsruck beschäftigt viele. „Aber auch die leisen Stimmen sind wichtig“, sagt Clara Herrmann.

Wenn sie von den Stipendiaten spricht, dann hört man sie in ihrer Stimme, diese Begeisterung für die Kraft der Kunst und ihrer Protagonistinnen. Sie kann es, das klingt in ihren Sätzen mit, kaum erwarten, der Kunst und den Kunstschaffenden nach all den Widrigkeiten wieder zur Freiheit zu verhelfen, sie sichtbarer denn je zu machen – und dabei zu unterstützen, wirklich jede erdenkliche Grenze zu überwinden.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 34. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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