Die legendären Hansa Studios

Die legendären Hansa Studios


Es sind ohne Frage die berühmtesten deutschen Tonstudios: Die Hansa Studios wurden zur Legende, als David Bowie in den Siebzigerjahren nach West-Berlin kam, um hier seine Musik aufzunehmen.

Es sind ohne Frage die berühmtesten deutschen Tonstudios: Die Hansa Studios wurden zur Legende, als David Bowie in den Siebzigerjahren nach West-Berlin kam, um hier seine Musik aufzunehmen.

Text: Sabine von Wegen, Foto: laif

David Bowie und sein Produzent Tony Visconti blicken aus dem offenen Fenster in Richtung Osten, wo keine 200 Meter entfernt die Vopos entlang der Berliner Mauer patrouillieren. Neben ihnen steht Toningenieur Eduard Meyer. „Hast du Angst vor den Grenzern?“, wollen Bowie und Visconti wissen. Meyer sieht sie listig an. Dann greift er nach der von der Decke hängenden Lampe und fuchtelt damit wild in Richtung Mauer – das ist seine Art, diese Frage zu beantworten. Panisch suchen Bowie und Visconti Deckung hinter dem Mischpult. „Bitte, tu das nicht, Edu!“, rufen sie. Wir schreiben das Jahr 1976. Im zweiten Stock der Hansa Studios in der Köthener Straße 38 in Kreuzberg arbeitet Bowie an „Low“, es ist das erste Album der „Berliner Trilogie“, in den nächsten Jahren folgen die beiden weiteren: „Heroes“ mit dem berühmten gleichnamigen Titelsong und „Lodger“.

West-Berlin 1976 – urbane Enklave mit Subkultur

Zu dieser Zeit hat sich West-Berlin bereits lauschig in seinem Inseldasein eingerichtet. Weltweit kursieren Geschichten über eine urbane Enklave mitten in Ostdeutschland, in der es weder Wehrpflicht noch Sperrstunde gibt – und in der die Subkultur blüht. Vor allem auf Künstler übt die Stadt deswegen eine magische Anziehungskraft aus. Auch Superstar David Bowie hat von diesem Ort gehört. Gründe, seiner US-amerikanischen Wahlheimat für eine Weile den Rücken zuzukehren, hat der Sänger genug. Neben dem exzessiven Lebenswandel, der langsam an ihm zu zehren beginnt, verläuft auch die Zusammenarbeit mit dem französischen Tonstudio Château d’Hérouville nicht zu seiner Zufriedenheit. Angeblich schmeckt ihm das Essen nicht, das Personal hält er für geschwätzig – Bowie bricht die Aufnahmen für „Low“ ab, noch ehe sie richtig begonnen haben. Von seinen Musikerfreunden der deutschen Elektronikband Tangerine Dream hat er von den Hansa Studios in Berlin gehört. Dort, so entscheidet Bowie, soll die Produktion des Albums fortgesetzt werden.

Die Mauer erschafft einen eigenen Sound

Durch die exponierte Lage direkt an der Berliner Mauer umgab die Hansa Studios zu jener Zeit eine bizarre Aura. Zwar befand man sich auf westlichem Territorium, die militärisch hoch aufgerüstete Grenzanlage des Ostens hatte man jedoch, keinen Steinwurf entfernt, direkt vor der Nase. Dieses Szenario aus sicherer Entfernung beobachten zu können ergab ein Spannungsverhältnis, das die kreative Atmosphäre in den Studios stark beeinflusste. Tony Visconti ist bis heute der Überzeugung, dass sich diese Stimmung spürbar in die Musik einschrieb: „Die Gefahr hat den Sound erschaffen. Die Musik, die hier später, ohne die permanente Bedrohung, entstand, klang anders“, erzählt er in einem Interview.

Mit Bowie beginnt eine neue Ära

Bis Mitte der Siebzigerjahre wurden in den Hansa Studios ausschließlich einheimische Künstler produziert. Drafi Deutscher, Juliane Werding, Roland Kaiser oder Udo Jürgens gaben sich hier die Klinke in die Hand. Die Eigentümer Peter und Thomas Meisel betrieben zudem einen Musikverlag und das Schallplattenlabel Hansa Records. Damit waren die beiden Brüder nicht nur für die Aufnahmen verantwortlich, sondern sie konnten die Musik auch selbst auf Tonträgern veröffentlichen und vermarkten. Hansa Records dominierte mit seinen Schlagern sämtliche Hitparaden der Bundesrepublik Deutschland. Und dann kam Bowie. Mit seiner Ankunft waren die Tage beschaulicher Deutsch-Pop-Produktion gezählt.

Eine Akustik, die Musiker begeistert

Neben Brian Eno und Iggy Pop, die mit Bowie anreisten, nahmen hier in den folgenden Jahrzehnten Depeche Mode, U2, R.E.M., The Pixies, Nick Cave & The Bad Seeds, Siouxsie and the Banshees, ZZ Top und unzählige weitere internationale Musiker ihre Platten auf. Und bis heute kann man sich hier nicht über mangelnde Studiobuchungen durch Künstler von Rang beklagen. Doch Bowies Name allein hätte die Hansa Studios nicht berühmt gemacht, wäre da nicht auch eine ganz spezielle Akustik gewesen, die von den Künstlern geschätzt wurde. Tonstudios waren längst nicht mehr nur reine Aufnahmeräume. Produzenten wie Sam Phillips, der Entdecker von Elvis Presley, oder Phil Spector, der den berühmten „Wall of Sound“-Effekt kreierte, hatten mit neuen Aufnahmetechniken den Klang von Popmusik maßgeblich beeinflusst.

Das Studio wird zum Musikinstrument

Die Arbeit im Studio war zum kreativen Prozess geworden, das Studio zum Musikinstrument, mit jeweils ganz individuellen raumakustischen Eigenschaften. So haben auch die Hansa Studios einen typischen Sound, der bis heute konserviert wird. Man nimmt dabei den etwas in die Jahre gekommenen Look des Interieurs in Kauf, denn eine Neuverkleidung von Decken und Wänden könnte gravierende Änderungen im Klang hervorrufen. Auch die analogen Geräte wurden nicht vollständig durch digitale ersetzt. Ihre kostspielige Restaurierung wurde in den letzten Jahren Stück für Stück vorangetrieben. Heute kann man zum Beispiel im Studio 1 einen Vintage-Klang wie vor 40 Jahren erzeugen. Der berühmteste Raum der Hansa Studios ist aber der Meistersaal. Neben einer beeindruckenden Akustik wirkte er auch wegen seiner neoklassizistischen Pracht inspirierend auf viele Künstler: Hier nahmen zum Beispiel U2 und R.E.M. Teile ihrer Alben „Achtung Baby“ und „Collapse Into Now“ auf; und die Band The Kooks drehte hier einige Musikvideos zu Songs ihres Albums „Listen“.

Kultstudios im Originalzustand

Der Berliner Musikexperte Thilo Schmied führt regelmäßig Besuchergruppen durch die Räumlichkeiten. Über den Meistersaal kann er viele Geschichten erzählen. Zum Beispiel die, dass Martin Gore von Depeche Mode hier einst nackt die Ballade „Somebody“ einsang oder Bowie den Raum „big hall by the wall“ taufte. Über die Bedeutung der Hansa Studios ist sich Schmied sicher: „Das sind ohne Frage die berühmtesten deutschen Tonstudios, hier waren sie wirklich alle, und immer noch kommen Musiker und Fans aus aller Welt, um hier zu arbeiten oder sich die heiligen Räume einmal anzuschauen.“ Und die Musiker, die heute für Aufnahmen in die Hansa Studios kommen, sind keine Unbekannten. Sie schätzen den wohlgehüteten Originalzustand, den sie an diesem Ort vorfinden.

Schwierige Zeiten, großartige Musik

So verrät ein Blick auf die hauseigene Website, dass 2014 Pharrell Williams hier arbeitete und die britische Band Travis im selben Jahr Dauergast war. Seit einigen Jahren versperrt ein schmuckloses Wohnhaus die Sicht auf den ehemaligen Mauerstreifen, auf den Bowie, Visconti und Meyer damals schauten. Gut, dass großartige Musik selbst in schwierigen Zeiten entstehen kann und dass sie uns bleibt, auch wenn der Geist von damals längst verschwunden ist. So wie der Song „Heroes“, der bis heute einer der größten Hits von David Bowie ist.

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