Dr. Constanze und Olfert Landt: Dem Virus auf der Spur

Dr. Constanze und Olfert Landt: Dem Virus auf der Spur


Der erste Coronatest kam aus Berlin. Das Biotechnologieunternehmen TIB Molbiol von Dr. Constanze und Olfert Landt ist seit 30 Jahren Experte für den Nachweis von Krankheitserregern. Oft ist die Schöneberger Firma dabei schneller als die Konkurrenz.

Der erste Coronatest kam aus Berlin. Das Biotechnologieunternehmen TIB Molbiol von Dr. Constanze und Olfert Landt ist seit 30 Jahren Experte für den Nachweis von Krankheitserregern. Oft ist die Schöneberger Firma dabei schneller als die Konkurrenz.

Text Marcus Müller, Foto Lena Giovanazzi, Erscheinungsdatum 27. Oktober 2020

Während in Deutschland die Geschäfte noch die Weihnachtsumsätze bilanzierten und die Bundeskanzlerin routinemäßig die Sternsinger empfing, starb im chinesischen Wuhan nach offiziellen Angaben der erste Mensch an einem neuartigen Virus. Rund 8000 Kilometer davon entfernt schreckte das in Berlin den Biochemiker Landt auf. Erreger unbekannt. Landt tippte auf ein Grippevirus, Christian Drosten auf Corona. Stündlich wurden die Datenbanken abgefragt. Als endlich die Gensequenz veröffentlicht wurde, schritten die Charité-Virologen und Landt zur Tat. Der Entwurf für einen neuen Test dauert nur ein, zwei Stunden. Sportlicher Ehrgeiz inklusive: „Bei etwas Neuem ist es aufregend zu gucken, wie schnell man ist, und man misst sich auch mit allen anderen in der Welt“, so Landt. In einem bald 100 Jahre alten Backsteinbau in einem Industriegebiet in Schöneberg setzte sich Landt an die Arbeit, konzipierte ein synthetisches Gen als Kontrolle – es gab in Europa ja noch kein Virus zum Ausprobieren – und gab alle Komponenten in die Synthese. Nach gut einer Nacht waren die Bausteine fertig. Was dann kam, war einerseits Routine. Andererseits im Kleinen aber auch Abbild eines globalen Ausnahmezustands. Landt komplettierte in seiner Firma TIB Molbiol innerhalb von drei Tagen den wohl ersten Test für das neue Coronavirus weltweit. Ungefragt schickte er ihn der Pharmafirma Roche nach Hongkong zur Weiterverteilung, an seinen Kontakt in der taiwanischen Gesundheitsbehörde und an Referenzinstitute in Europa. Sie sollten den Test ausprobieren. Das war Mitte Januar, noch bevor das Virus in Europa zum ersten Mal nachgewiesen wurde. Landt lag richtig. Innerhalb kürzester Zeit riefen die ersten Virologen an und bestellten. Bald rissen Interessenten aus aller Welt Landt die Testkits buchstäblich aus der Hand, Botschafter fuhren mit dem Auto vor, um ein paar Kits für ihr Heimatland zu holen. Denn inzwischen wurden weltweit Reisen beschränkt, Grenzen geschlossen, Menschen lernten das Wort Lockdown und die Folgen kennen. Dazu gehörten auch blockierte Frachtwege. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) orderte auf einen Schlag mehrere Tausend Testkits. Landts Firma tauchte sogar im Twitter-Kanal des US Präsidenten auf, fand ein Journalist heraus.

Ein halbes Jahr später. Hände waschen, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz, Gespräch nur bei geöffnetem Fenster. Von draußen wehen spätsommerliche Septemberhitze und das Rumpeln von Lkw herein. Olfert Landt sitzt mit seiner Frau Constanze auf einem geschwungenen schwarzen Ledersofa in seinem Büro. Hinter ihnen hängt ein in kräftigen schwarz-weiß-grauen Strichen gemaltes Bild, das den Schriftsteller Günter Grass mit Pfeife und den Hamburger Zeichner Horst Janssen zeigt. Ein original Olfert Landt von 1995. Heute malt er nicht mehr. Seine Frau Constanze, Doktorin der Biologie, hat ihn noch mehr für die Oper begeistert. Die Landts reden ruhig, fast entspannt über die vergangenen Monate Ausnahmezustand, der ihnen 16-Stunden-Arbeitstage bescherte, die Wochenenden inklusive. „Wir hatten doch gerade sechs Tage Urlaub“, sagt sie lächelnd. „Die ersten freien Tage in diesem Jahr“, ergänzt er. Ist aber auch schon wieder zwei Wochen her. In mehr als 60 Länder hat TIB Molbiol von Februar bis Mitte September gut 35 Millionen Corona-Testkits geliefert. Genau weiß Olfert Landt das nicht: „Müsste ich im Computer nachschauen.“ Constanze Landt nickt. „Die Forschung und Produktion, das ist seins. Einkauf, Versand, Export, Personal, das Bürokratische mache ich“, sagt sie. „Bei mir sind fünf ungerade, bei ihm gerade.“ Olfert Landt grinst über seinen Becher Kaffee: „Nein“, wirft er ein. „Doch, das kann man schon so sagen“, bleibt Constanze Landt beharrlich und grinst ebenfalls.

Die Jagd nach Viren war schon früh Olfert Landts Ansporn. Als 24-Jähriger machte sich der Biochemiker 1990 mit einem Kommilitonen selbstständig. Eigentlich wollte er an der Freien Universität Berlin promovieren. Er befasste sich mit Protein-Engineering und Polymerase Kettenreaktion (PCR). Dafür brauchte er Primer, kurze synthetische DNA-Stücke. Da entdeckten die beiden Jungunternehmer – das Wort Start-up gab es damals noch gar nicht – eine Marktlücke. „Plötzlich hatten wir sehr viele Freunde“, erinnert er sich, immer mehr Wissenschaftler, Institute, Labore wollten ihr Material. Denn mit der PCR kann man auch Erbkrankheiten oder Virusinfektionen erkennen, doch Primer waren teuer, man bekam sie damals nur aus Amerika. Die beiden kauften einen sogenannten DNA-Synthesizer. Ein Versuch auf Pump: 34 800 D-Mark kostete das Gerät, daran erinnert sich Landt noch genau. Der Hersteller akzeptierte, dass sie es erst drei Monate später bezahlten. Den Synthesizer bezahlten sie zur Hälfte mit dem Erlös der ersten Aufträge, den Rest liehen sie von den Eltern.

Landt wurde endgültig Unternehmer. „Wir merkten schnell, dass diese Dienstleistung offensichtlich ein Geschäft war“, erzählt er. „Wir waren schneller, die Produkte besser und günstiger, die Maschine lief Tag und Nacht.“ Rechnungen, geschrieben auf einem Atari Computer, ratterten aus einem Nadeldrucker. Etiketten schnitten sie per Hand mit der Schere zurecht. Aufgeklebt mit Tesafilm. Ohnehin haderte Landt ein wenig mit der Welt der Akademiker. „Ich bin in die Forschung gegangen, weil ich dachte, dass sie rational ist, gerecht, nachprüfbar.“ Ganz so empfand er es aber nicht. „Es gibt dort auch personenbezogene Entscheidungen, wenn Geld verteilt wird, bei Publikationen“, sagt Landt. Trauert er dem verpassten Doktortitel nach? „Ich wollte damals Professor werden“, sagt er. „Jetzt ist es anders gekommen.“ Großes Bedauern zeigt sein Gesicht nicht. Was am Erfolg seiner Firma liegen mag, von Beginn an habe er immer schwarze Zahlen geschrieben, berichtet er. Aber auch an den schnellen Ergebnissen: „Wenn man forscht, kann es fünf Jahre dauern, bis etwas herauskommt, wenn überhaupt etwas herauskommt“, sagt Landt. „Wenn man etwas herstellt, ist es am nächsten Tag fertig, plus Dankeschön und Lob für die Arbeit. Das ist eine viel größere Motivation als ein Nobelpreis in 50 Jahren.“

Einen Rückschlag gab es 1994. Sein Partner plünderte die Firmenkasse, wie Olfert Landt sagt, er musste ihm die halbe Firma abkaufen und daher „unter null“ neu anfangen. Erfolgreich: TIB Molbiol ist ein Hidden Champion, der weitgehend auf Akquise und Werbung verzichtet. Ab der Jahrhundertwende wuchs das Unternehmen massiv mit dem Einzug der sogenannten Realtime-PCR in die Diagnostik. Mit der Methode lassen sich Grippe-, Noro- oder Aidsviren in Echtzeit nachweisen. Beim Ausbruch von Ehec, Vogelgrippe oder der Schweinegrippe hatte Landt schon mal sofort den richtigen Test parat. „Unsere Kunden wissen, dass wir superschnell und gleichbleibend besser sind als Mitbewerber“, erklärt Constanze Landt. Den backsteinernen Hauptsitz kauften die Landts 2003 und renovierten ihn zwei Jahre lang. Sehr zur Freude der beiden Kinder, sagt sie, die in den Sandbergen vor der Baustelle spielten. Die Firma hat dort heute rund 30 Mitarbeiter sowie Niederlassungen in den USA, Italien, Spanien, Polen, Kolumbien und Australien. Jahresumsatz 2019: 18 Millionen Euro. Dieses Jahr erwarten sie wegen des Coronatests ein Mehrfaches. „Aber wir waren nie geldorientiert“, sagt Olfert Landt. Die WHO bekommt die Testkits zum halben Preis, und etliche Kits wurden verschenkt. „Seit ich in der Firma bin, ist kein Preis erhöht worden“, wirft Constanze Landt ein. Das war vor 18 Jahren.

Auf einer Messe begegneten sie sich. Die Diagnostikfirma, in der die Biologin arbeitete, war Kunde von TIB Molbiol. „Der Gesprächspartner von Olfert war nicht da“, erinnert sich Constanze Landt, „deshalb haben wir uns kennengelernt.“ Nach ihrer Hochzeit 1997 und der Geburt ihrer Tochter und ihres Sohnes pendelte sie weiter ins Ruhrgebiet. Fünf Tage Bochum, zehn Tage Berlin. „Mir war mein Job dort lieb und teuer“, sagt sie. Nach fünf Jahren kam sie ganz nach Berlin und kümmert sich seitdem ums Administrative von TIB Molbiol. Mit den Kenntnissen eines BWL-Fernstudiums. „Ich habe darin zwar keinen Abschluss, aber das Wissen reicht ja. Und in der Firma hat es ein bisschen gefehlt“, sagt sie. Ihr Mann stimmt zu: „Im ersten Jahr hat sie eine Million ausstehende Rechnungen reingeholt.“ Ein eingespieltes Team, mit oder ohne Ausnahmezustand. Alles auf eine Karte setzen sie auch in Zukunft nicht. „Das wäre unklug. Eine Pandemie eines solchen Ausmaßes erlebt man nur einmal in einer Generation“, sagt Olfert Landt. Danach benötigt die Welt weiter die anderen Produkte der Firma.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 32. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

Diesen Artikel empfehlen