Ein Coup für die Kunst

Die MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie 2004 hat bis heute nichts von ihrer Strahlkraft verloren. Mit dem Erbe ihres finanziellen Erfolgs ist die Stiftung der Freunde der Nationalgalerie e.V. betraut – und begeistert seit Jahren mit hochkarätigen Leihgaben für den Hamburger Bahnhof.

„Das Museum of Modern Art in New York plante einen Umbau, die Ausstellung sollte währenddessen auf drei andere Museen aufgeteilt werden“, erinnert sich H.-G. Jan Oelmann, Mitglied im Vorstand der Freunde der Nationalgalerie e. V. Das Vorhaben brachte den damaligen Schatzmeister und seine Vorstandskollegen auf eine Idee, die sich als brillanter Zug erweisen sollte: „Der damalige Vorsitzende Peter Raue und ich sind nach New York geflogen und haben ein Angebot gemacht – die Ausstellung während des Umbaus auszulagern, nach Berlin. In die Neue Nationalgalerie.“ Zweieinhalb Jahre Vorlauf habe das Projekt gehabt, sagt Oelmann, genügend Zeit also, um sich um die Finanzierung und die Ausstellung als solche Gedanken zu machen.

Doch so einfach wie gedacht läuft es nicht. Ein lukratives Sponsoring-Geschäft mit einer deutschen Airline löst sich in Luft auf, Grund: die Irakkrise. Versicherungen fordern neue Sicherheitsstandards, Jan Oelmann und seine Mitstreiter gehen deshalb unkonventionelle Wege: Über Amsterdam und auf geheimen Routen gelangen Exponate von Weltruf nach Berlin. Später spielt den Ausstellungsmachern doch die Politik zu, als der amerikanische und der deutsche Außen­minister die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernehmen, was die Freunde der Nationalgalerie von einem Großteil der Versicherungsprämien entlastet. Und dann geht es los, am 20. Februar 2004. Bereits am dritten Tag sind 20 000 Kataloge verkauft, insgesamt werden während der sechsmonatigen Ausstellungsdauer 125 000 Exem­plare abgesetzt. Als ebenfalls sehr lukrativ erweist sich der MoMA-Shop in der Neuen Nationalgalerie, in dem ausschließlich selbst entwickelte und „zwischen Frankfurt und Hongkong produzierte“ Kunst-Gadgets verkauft werden. Mit mehr als 700 000 Euro wird der Erlös des Shops zum wirtschaftlichen Erfolg der Schau „Das MoMA in Berlin“ beitragen. Und es menschelt in der Hauptstadt: In den Warte­schlangen vor der Nationalgalerie entstehen Freundschaften, mehr als eine Million Besucher und Besucherinnen aus aller Welt pilgern nach Berlin – ein unvorstellbarer Rekord, gelten 200 000 Neugierige in ­einer Aus­stellung doch als ambitioniertes Ziel, selbst für die deutsche Kunst­metropole. Zum guten Schluss können sich die Freunde der National­galerie über einen Gewinn in Höhe von siebeneinhalb Millionen Euro freuen. Und nun?

Plötzlich sei man ein wohlhabender Verein gewesen, sagt Jan Oelmann, ständig bedrängt von Organisationen, die sich eine Zusammenarbeit – sprich finanzielle Unterstützung – wünschten. Zudem habe man sich mit den Erwartungen aus den eigenen Reihen auseinandersetzen müssen: „Gern hätten viele das Geld in den Ankauf eines bedeutenden Werks investiert, aber dem haben wir strikt widersprochen.“ Und sich damit durchgesetzt: Als Konsequenz gründen die Freunde der Nationalgalerie 2005 die „Stiftung des Vereins der Freunde der Nationalgalerie für zeitgenössische Kunst“, einen „privatwirtschaft­lichen Sammler“. Das Stiftungskapital beträgt sechs Millionen Euro – ein Glücksfall für die Kunstmetropole Berlin und für den Hamburger Bahnhof, der von den Ankäufen der Stiftung profitiert. Die Wahl des Museums ist wohl kalkuliert: „Wir wurden als Verein viel dafür kritisiert, dass wir uns zu wenig um die Galerie­szene und um die zeitgenössische Kunst kümmern – mit der Stiftung tun wir nun genau das.“

Die Arbeit der Stiftung der Freunde der Nationalgalerie stützt sich auf drei Säulen: Neben dem Vorstand mit Jan Oelmann, Dr. Katharina von Chlebowski und André Odier kümmern sich eine Anlagekommission um wirtschaftliche Angelegenheiten und eine Ankaufskommis­sion um inhaltliche Themen. Letztere sei die wichtigste Institution, sagt Oelmann: „Das Dreierteam der Ankaufskommission setzt sich aus einem Mitglied des Hamburger Bahnhofs, einem aus dem Freundeskreis der Nationalgalerie und einer weiteren Person zusammen, die von den beiden Erstgenannten bestimmt wird.“ Das könne zum Beispiel die Direktorin eines ausländischen Museums sein oder ein Professor einer Kunsthochschule. „Wer die oder der Dritte im Bunde wird, ist eine Frage des künstlerischen Fokus“, sagt Stiftungsvorstand ­Oelmann. Zwei Jahre lang arbeitet ein Dreierteam zusammen, bis es vom nächsten abgelöst wird. Das soll eine möglichst große Vielfalt an Schwerpunkten und Themen gewährleisten.

Für die Ankäufe stehen dem Team, das noch bis 2023 mit dem Thema „Ostasien“ arbeitet, alle Möglichkeiten offen – von Galerien über Messen bis zu persönlichen Kontakten in die Kunstszene. Die erworbenen Stücke werden dem Anlagevermögen der Stiftung hinzugefügt und dem Hamburger Bahnhof als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Ein Coup für die Kunst – dessen Details Stiftung und Verein gern mit Interessierten teilen. Wer wissen möchte, was die Stiftung der Freunde der Nationalgalerie seit 2005 für ihre Sammlung erstanden hat, dem empfiehlt Jan Oelmann den Besuch der Ausstellung „Under Construction“, die noch bis zum 15. Januar 2023 im Hamburger Bahnhof zu ­sehen ist: 90 Prozent der Exponate stammen aus dem Anlagevermögen der Stiftung.

Text: Christoph Horn
Foto: © Daniel Steegmann Mangrané / Photo by Thomas Bruns
Datum: Oktober 2022

Das könnte Sie interessieren:

Auf ein offenes Wort:

Wie gewinnt man heute Mitarbeitende?

Was kommt nach Beton?

Auf der Suche nach alternativen Baustoffen

Expertin für Veränderung

Wie sich Fränzi Kühne für ein neues Unternehmerinnentum engagiert

i