Exil ein Gesicht geben

Exil ein Gesicht geben


Am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg entsteht ein Ort, der Vertreibung und Leben in der Fremde sichtbar machen will – das Exilmuseum Berlin. Die Eröffnung ist für 2025 geplant, zu sehen gibt es jedoch schon einiges: Die Ausstellung Zu/Flucht rund um die Portikus schlägt die Brücke zwischen Exil gestern und Exil heute.

Am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg entsteht ein Ort, der Vertreibung und Leben in der Fremde sichtbar machen will – das Exilmuseum Berlin. Die Eröffnung ist für 2025 geplant, zu sehen gibt es jedoch schon einiges: Die Ausstellung Zu/Flucht rund um die Portikus schlägt die Brücke zwischen Exil gestern und Exil heute.

Text: Redaktion BBE, Foto: © Dorte Mandrup/MIR www.mir.no

Es gibt Geschichten, da fügt sich ein Teil selbstverständlich an den anderen, bis das große Ganze entsteht. Im Fall des Exilmuseums Berlin ist es ein Buch des bekannten Fotografen Stefan Moses, das eine Lawine bürgerlichen Engagements auslösen sollte. Die Texte zu dem Band „Deutschlands Emigranten“ stammen von Dr. Christoph Stölzl, dem Gründungsdirektor des Historischen Museums Berlin und Präsidenten der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. „Auch wenn ich mich schon lange mit den Schicksalen von Emigranten befasste, war dieses Buch eine Initialzündung für mich“, erinnert sich Bernd Schultz, Kunsthändler und Mitbegründer des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach. Er lässt das Buch nachdrucken und versendet die 2500 Exemplare als Jahreswechselgruß an Geschäftspartner und Wegbegleiter in aller Welt. Die Resonanz sei außergewöhnlich gewesen, sagt Schultz, und habe die Idee beflügelt, das Projekt endlich in Gang zu setzen. Denn neu ist die Idee nicht: Bereits 2011 hat sich die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in einem Brief an die Bundeskanzlerin für ein Exilmuseum als Ort des Greifbarmachens von Vertreibung eingesetzt. Als sich Bernd Schultz 2017 aus dem operativen Geschäft zurückzieht, nimmt er Kontakt zu Christoph Stölzl auf, der seine wissenschaftliche und museologische Kompetenz in das Projekt einbringt. Stölzl wiederum hat im Jahr zuvor mit der Kuratorin Cornelia Vossen eine sehr erfolgreiche Ausstellung für die Stiftung Brandenburger Tor konzipiert, die mangels Objekten sehr viel mit Multimedia arbeitete – Vossens Spezialgebiet. Auch André Schmitz, den ehemaligen Berliner Staatssekretär für Kultur, gewinnt Schultz für das Projekt. Aus dieser bürgerschaftlichen Initiative heraus erfolgt 2018 die Gründung der Stiftung Exilmuseum Berlin unter der Schirmherrschaft Herta Müllers und des Bundespräsidenten a. D. Joachim Gauck.

Seit drei Jahren nun treibt ein erfahrenes Team am Berliner Ludwigkirchplatz die Realisierung des neuen Museums voran, das sich bislang ausschließlich durch private Gelder finanziert. „Der Resonanzboden in der Gesellschaft für das Exilmuseum ist besonders erwähnenswert“, sagt Bernd Schultz, „das erfahren wir kontinuierlich durch Briefe und Spenden zwischen 100 Euro und einer Million.“ Entstehen wird der Museumsbau auf dem Schotterplatz des Anhalter Bahnhofs, der 1959 gesprengt wurde. Allein ein Teil des Portals blieb stehen – Symbol für die unmenschliche Politik der Vertreibung und Mahnmal zugleich. „Einen Unort“ nennt Christoph Stölzl dieses Areal, der „Jammer dieses Platzes“ sei anrührend, „ob man nun an die Soldaten im Ersten Weltkrieg denkt, die von hier aus direkt an die Front gebracht wurden, an die Deportationen, die am Anhalter Bahnhof ihren Ausgang nahmen, an die vielen, die nach 1933 von hier aus ins Ausland flüchteten, an die Abschiedsszenen, die sich hier abgespielt haben“. Das Exilmuseum solle sich mit alldem auseinandersetzen, sagt der Historiker, schließlich sei das Thema aktuell wie nie: „Die großen Flucht- und Migrationsbewegungen unserer Zeit haben eine neue Sensibilisierung für Vertreibung und Exil geweckt“, so Christoph Stölzl, „500 000 Menschen flohen ab 1933 aus dem nationalsozialistischen Machtbereich vor Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt.“ Das Museum wolle das Exil nach 1933 exemplarisch in den Mittelpunkt stellen, „um uns darüber nachdenken zu lassen, was durch die Vertreibung zerstört und verloren – aber auch, was durch das Überleben dieser Menschen gerettet wurde“.

Also sind es die Geschichten von Menschen – berühmten wie nicht so bekannten –, denen das Exilmuseum ein Denkmal setzen möchte, darunter vielen, die strahlende Karrieren hingelegt und die Welt unsagbar bereichert haben wie Billy Wilder, Paul Klee und Albert Einstein. Den Architekturwettbewerb für den Neubau konnte die dänische Stararchitektin Dorte Mandrup für sich entscheiden. Die geschwungene, an eine Brücke erinnernde Fassade rückt die Portalruine in den Mittelpunkt und öffnet das Museum ebenerdig, einem Bahnhof gleich. „Die Gestalt des Baus erinnert sowohl an das Weltumspannende als auch an das Unsichere des Exilschicksals“, beschreibt Christoph Stölzl seine Eindrücke. Die Brücke zum Exil in heutiger Zeit schlägt das Museum schon jetzt. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin entstand das Projekt Zu/Flucht. Die Open-Air-Ausstellung widmet sich dem historischen Exil 1933 bis 1945 und zeigt bis zum 31. Oktober die Exponate in ehemaligen Wohncontainern für Geflüchtete im Land Berlin. Exil hat eben viele Gesichter.

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