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Krise, welche Krise? Lesen Sie den Kommentar von Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank, zu den Folgen des Coronavirus für die Finanzmärkte vom 24. Juli 2020.

Krise, welche Krise? Lesen Sie den Kommentar von Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank, zu den Folgen des Coronavirus für die Finanzmärkte vom 24. Juli 2020.

Text: Daniel Schär, Leiter Portfoliomanager Weberbank
Beitragsfoto: NakNakNak / Pixabay

Krise, welche Krise? Viele Aktienindizes haben die Verluste seit Jahresbeginn komplett ausgeglichen und nehmen nun neue Höchststände ins Visier. Unterstützung für die Rallye kommt von den Staatschefs der Eurozone, die sich auf ein Aufbauprogramm von historischer Dimension geeinigt haben. Zeitgleich erreichen jedoch die Infektionszahlen weltweit einen neuen Rekordwert. Wie das zusammenpasst und wie wir die Situation einschätzen, lesen Sie in dieser Ausgabe von Finanzmarkt aktuell.

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Think Big in Brüssel

Nach einem zähen Verhandlungsmarathon haben sich die EU-Staatschefs im Kampf gegen die Corona-Krise auf das größte Finanzpaket in ihrer Geschichte geeinigt. Die erzielte Vereinbarung sieht vor, dass besonders hart von der Pandemie betroffenen EU-Staaten mit einem 750 Mrd. Euro schweren Aufbaufonds wieder auf die Beine geholfen werden soll. 390 Mrd. Euro davon werden als Zuschüsse gezahlt, 360 Mrd. Euro als Kredite. Zusätzlich einigte man sich auf einen Haushaltsrahmen von 1.074 Mrd. Euro für die Jahre 2021 bis 2027. Mit den Mitteln sollen ebenso die Zukunftsthemen Digitalisierung und Klimaschutz gefördert werden. Um die historische Dimension dieser Einigung zu verdeutlichen, sei auf den Marshallplan verwiesen, der von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wiederaufbau Europas initiiert wurde. Er hatte damals ein Volumen von ca. 13 Milliarden USD, was nach heutiger Rechnung einen Gegenwert von ca. 130 Milliarden USD ausmachen würde. Unklar ist derweil noch die genaue Ausgestaltung der Finanzierung. Gemeinschaftliche Corona Anleihen der europäischen Kommission, wie jetzt geplant, sind ein Schritt in Richtung Transfer- und Fiskalunion und in ein neues Regime. Bisher wurde dieser Weg von den Nordländern der Eurozone ausgeschlossen. Auch EU-weite Steuern auf Plastik und CO2 sowie auf Digital- und Finanztransaktionen, wie sie jetzt zur Finanzierung erhoben werden sollen, sind Neuland. Bisher wurden Steuern ausschließlich auf nationaler Ebene erhoben. Nachdem der Weg geebnet zu sein scheint, schlägt der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer auch gleich eine europaweite PKW-Maut vor. Die Politik scheint eine Richtungsentscheidung getroffen zu haben; es bleibt zu hoffen, dass es die Richtige war. Dem Euro verhilft die europäische Einigung zu neuer Stärke, und er konnte die technisch wichtige Marke von 1,15 gegenüber dem US-Dollar überwinden. Der Risikoabschlag, der auf der Gemeinschaftswährung lastete, scheint in der bisherigen Form nicht mehr gerechtfertigt. Die bessere Entwicklung könnte ausländische Anleger ermuntern, ihre Engagements in der zuletzt deutlich untergewichteten Eurozone aufzustocken.

Anlagenotstand begünstigt Sachwerte

Auch jenseits des Atlantiks wird um neue Milliardenhilfen gerungen. Zum Ende des Monats laufen in den USA die Hilfsprogramme zur Aufstockung der Arbeitslosenhilfe aus. Demokraten und Republikaner sind sich grundsätzlich einig, dass bei aktuell 17 Millionen Arbeitslosen weitere Hilfen notwendig sind. Die Frage wird sein, ob im startenden Wahlkampf, der mit einer zunehmenden Verhärtung der Fronten einhergeht, eine Einigung erzielt werden kann und wie hoch das neue Hilfspaket ausfallen wird. Die Schätzungen liegen zwischen einer und drei Billion Dollar. Das Haushaltsdefizit wird damit in diesem Jahr wahrscheinlich bei rekordverdächtigen 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen und die Gesamtverschuldung der USA auf ca. 120 Prozent des BIP ansteigen. Die Staaten häufen somit weiter neue Schuldenberge an, die dann von den Notenbanken aufgekauft werden. Der Spielraum für Zinsanstiege wird dadurch weltweit immer kleiner und der Anlagenotstand immer größer. Durch die Entwicklungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise sind auch die Amerikaner endgültig im Niedrigzinsumfeld angekommen. Die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen sind im letzten Jahr von ca. 2 Prozent auf aktuell nur noch 0,6 Prozent gefallen. Das treibt die Anleger weltweit in Sachanlagen wie Immobilien, Aktien, aber auch Gold. Das Edelmetall verzeichnet eine Rekordnachfrage von Finanzinvestoren und notiert nahe der Höchststände. Gold generiert zwar keine laufenden Erträge, es kann aber im Gegensatz zum Papiergeld nicht unbegrenzt geschaffen werden. Das Marktumfeld sollte mittelfristig weiteres Potential ermöglichen.

Niedrigzins stützt Aktienbewertung

Die weltweiten COVID-19-Infektionszahlen erreichen einen neuen Höchststand, und sowohl deutsche als auch amerikanische Aktien notieren seit Jahresbeginn im Plus bzw. nur wenige Prozentpunkte unter ihren Allzeithochs. Das klang vor wenigen Monaten noch paradox, ist jedoch aktuell bei detaillierter Betrachtung nicht so abwegig. Erstens haben die Regierungen und Zentralbanken mit ihren Maßnahmen ein beispielloses Sicherheitsnetz geknüpft, das die Wirtschaft stabilisiert. Zweitens sind wesentliche Fortschritte im Umgang mit der Pandemie erzielt worden. Alle sind nun aufmerksam und gedanklich auf den Ernstfall vorbereitet. Infektionen werden durch systematisches Testen früher erkannt und können somit regional eingedämmt werden. Drittens sind wesentliche Fortschritte in der Erforschung von Medikamenten und Impfstoffen gemacht worden. Viertens deutet sich in vielen Ländern eine wirtschaftliche Erholung an, in China sogar dynamischer als erwartet. Fünftens und zu guter Letzt gibt es kaum noch sinnvolle Alternativen zur Anlage in Aktien. Kritisch kann man sicherlich auf die Bewertung der Aktienmärkte schauen, die durch die fulminante Rallye der letzten Monate, bei zeitgleich einbrechenden Unternehmensgewinnen, in neue Sphären entrückt ist. So liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis internationaler Aktien mit 21 auf einem Niveau, das wir zuletzt vor 20 Jahren zu Hochzeiten der Technologieblase gesehen haben. Historisch ist nach Rezessionsphasen ein Anstieg der Bewertungen durchaus üblich, da die Aktien die Erholung der Wirtschaft im Vorfeld antizipieren. Wir haben diesmal nur zusätzlich eine Niveauverschiebung aufgrund des Niedrigzinsumfeldes. Aktienkurse spiegeln die diskontierten Unternehmensgewinne der Zukunft wieder. Sinkt der Zins dauerhaft, sollten die Kurse der Aktien und damit die Bewertungen ansteigen. Die kommenden Monate werden deshalb aber sicher nicht zu einer Kurseinbahnstraße werden. Der US-Wahlkampf, der wieder aufflammende Konflikt zwischen den USA und China, der zum Jahresende anstehende BREXIT und die Gefahr einer zweiten großen Infektionswelle bergen jede Menge Unwägbarkeiten.


Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank Actiengesellschaft

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