Die Gartenstadt – ein städtebauliches Ideal

Die Gartenstadt – ein städtebauliches Ideal


Landflucht und steigende Mieten, dazu verheerende hygienische Zustände in den Ballungsgebieten: Es waren die unangenehmen Begleiterscheinungen der Industrialisierung, die den Engländer Ebenezer Howard auf die Idee einer städtebaulichen Reform brachten.

Text: Anke Bracht, Foto: Bildagentur-online/Schoening/Alamy Stock Foto

Landflucht und steigende Mieten, dazu verheerende hygienische Zustände in den Ballungsgebieten: Es waren die unangenehmen Begleiterscheinungen der Industrialisierung, die den Engländer Ebenezer Howard auf die Idee einer städtebaulichen Reform brachten. Sein Werk „Garden-Cities of To-Morrow“ von 1898 beschreibt die Vision einer Stadt im Grünen, in der bis zu 30.000 Bewohner ihren Lebensraum haben. In Howards Modell bildet ein Park mit Verwaltungsgebäuden den Mittelpunkt der Gartenstadt, um den herum sich Einfamilienhäuser gruppieren; „arme“ und „reiche“ Viertel gibt es nicht. Sternförmig angelegte Straßen führen vom Zentrum in die äußeren Bereiche, wo sich Arbeits- und Erholungsstätten sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen befinden. Verwaltungs- und versorgungstechnisch ist die Gartenstadt selbständig und gewährt ihren Einwohnern Zugang zu Arbeit, Bildung und Kultur. Sie ist also keine Vorstadt oder Erweiterung einer Stadt in den Grüngürtel hinein, sondern ein in sich geschlossenes soziales System. Dieses Konzept stringent umzusetzen, ist Howard allerdings nur zweimal gelungen – mit Letchworth bei London (1903) und Welwyn Garden City (1919). Einer der Gründe hierfür mag seine Doktrin für die Finanzierung jeder neuen Gartenstadt gewesen sein, denn oberstes Prinzip war der Verzicht auf Privateigentum an Grund und Boden. Vielmehr sollte die gesamte Fläche der Gemeinschaft, also allen Bürgern gehören. Howards Finanzierungsmodell sah vor, dass Treuhänder privates Kapital zur Verfügung stellten, um Land zu kaufen. Die späteren Bewohner sollten für die von ihnen bebauten Grundstücke an die Treuhänder Pacht zahlen. Diese Vorgehensweise erwies sich jedoch als wenig praktikabel und die „Gartenstadt nach englischem Vorbild“ blieb ein Ideal. Allerdings eines, das auch die Deutschen zu inspirieren wusste.

Die Berliner Gartenstadt Frohnau – eine Hommage an Howards Vision

Auch hierzulande wurden im Zuge der „Gartenstadtbewegung“ Versuche unternommen, die schöne Vorstellung von der perfekten Stadt im Grünen zu verwirklichen. Die beiden ersten Projekte waren die fast zeitgleich angelegten Orte Hellerau bei Dresden und Frohnau bei Berlin. Die Gründung von Frohnau geht auf die Initiative von Guido Graf Henckel von Donnersmark zurück. Der Adelige, nach einem Besuch in England von dem Prinzip der Gartenstadt fasziniert, kauft im Jahr 1907 3.000 Morgen (ca. 750 ha) Wald in der Stolper Heide und überschreibt das Land der „Berliner Terrain-Centrale“ – zu Bedingungen, die eine Stadt im Grünen möglich machen sollen. Eine lockere Bebauung mit Einfamilienhäusern im Landhausstil zählt ebenso zu von Donnersmarcks Vorgaben wie Straßen, die von Kastanien, Linden und Eichen gesäumt werden. Tatsächlich ist der Baumbestand von Frohnau bis heute Aushängeschild für den Artenreichtum: von Ahorn bis Zierkirsche ist hier alles vertreten. Die zwischen 1908 und 1910 erstellte Gartenstadt orientiert sich zwar vom Grundriss her an der Vision Howards – den Mittelpunkt bilden zwei Plätze, um die herum die Wohnhäuser liegen – nicht aber am Grundgedanken, den Ballungsraum der Innenstadt zu entlasten und Wohnraum für Tagelöhner und Arbeiter zu schaffen. Vielmehr entstehen auf dem Areal im heutigen Norden Reinickendorfs Villen mit großzügig angelegten Gärten, die Künstler, Intellektuelle und wohlhabende Bürger anziehen. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges werden nur wenige Gebäude fertiggestellt; der Großteil wird in der Zeit zwischen den Weltkriegen errichtet. Vollkommen unbebaut bleibt der nördliche Bereich der Gartenstadt. Spaziergänger, die dort durch den Wald streifen, können dies auf ausgebauten Straßen tun – den Zeitzeugen einer unvollendeten Stadt. Im Rahmen der Internationalen Gartenausstellung (IGA) zeigt eine Ausstellung im Museum Reinickendorf noch bis zum 16. November 2017 anhand historischer Karten und Fotografien die Entstehungsgeschichte der Berliner Gartenstadt Frohnau.

https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/aktuelles/pressemitteilungen/2017/pressemitteilung.627954.php

Die Weberbank vor Ort in Frohnau. Hier mehr erfahren

Diesen Artikel empfehlen