Grüner wird’s nicht

Grüner wird’s nicht


Natur und Umwelt schützen: Der Berliner Mittelstand hat die Nachhaltigkeit entdeckt.

Natur und Umwelt schützen: Der Berliner Mittelstand hat die Nachhaltigkeit entdeckt. Unternehmer wie Olaf Höhn, dessen „Florida Eis“ Kultstatus genießt oder Techfirmen wie der Aufzugbauer Otis machten ihre Firmen zu ökologischen Vorzeigeprojekten und gelten als Pioniere der Green Economy.

Text: Philipp Wurm , Foto: Florida Eis

Das Unternehmen, das ein Glücksfall für die Umwelt ist, sitzt im unscheinbaren Berliner Stadtteil Staaken, nahe einer durchschnittsdeutschen Wohnsiedlung mit Giebelhäuschen und Carports. Der Firmenpark könnte die Kulisse in einem Werbefilm für den Weltklimagipfel abgeben: Da ist zum Beispiel die Fabrik, die von Solarzellen Energie bezieht, die sich übers Dach auf einer Fläche von 4000 Quadratmetern erstrecken. Oder die Windräder im Umland, die in den blauen Frühlingshimmel ragen. Im Untergrund des Gebäudes ist Schotter aus Glasschaum verstreut, der Wärme speichert, sodass eine Fußbodenheizung obsolet ist. Und oben wird mit Pellets geheizt. Das sind nur ein paar Details, die diesen mittelständischen Betrieb am westlichen Rand der Stadt so vorbildlich machen, dass sich Bundesumweltministerin Barbara Henricks mittlerweile mit dem Chef trifft, um über die Verantwortung von Gewerbetreibenden in Zeiten von Klimawandel und schwindenden Ressourcen zu diskutieren.

Florida Eis – ökologisches Pionierprojekt

Der umschwärmte Entrepreneur heißt Olaf Höhn – ein 67-Jähriger, der vor ein paar Jahren erkannt hat, dass Kaufmannsgeist mehr bedeutet, als bloß der Logik betriebswirtschaftlicher Kennzahlen zu folgen. Weshalb er seine Firma, eine lokale Institution, in der Weimarer Republik gegründet, zum ökologischen Pionierprojekt machte. Sieben Millionen Euro hat ihn die Metamorphose gekostet, aufgebracht aus seinem Privatvermögen. Seitdem steht auf dem Betriebsgelände eine neue Fabrikationsstätte, die keine fossilen Energien anzapft wie noch die Vorgängermanufaktur, sondern „Naturstrom“. „Ich bin heilfroh über diese Entscheidung“, sagt Höhn. Auf 14 Produktionsstraßen kreiert er ein Retroprodukt, das zum unkonventionellen Image passt: Florida Eis, jene Berliner Süßspeise aus dem Supermarkt, die ein bisschen schmeckt wie früher in den ersten italienischen Eisdielen die Kugeln im Becher. Vielleicht weil sich in der Creme kein Bindemittel findet, auch keine Laktose und kein Gluten. Das wäre in jedem Nachhaltigkeitsbericht eine Spitzenmeldung!

Berliner Techfirmen setzen auf Nachhaltigkeit

Und Höhn ist nicht der einzige Mittelständler, der sein grünes Gewissen entdeckt. Auch viele erfolgreiche Techfirmen setzen auf Nachhaltigkeit. Zum Beispiel die Otis GmbH aus Tegel, die energieeffiziente Aufzüge anfertigt, die von Gurten anstatt von schweren Stahlseilen getragen werden. Dazu kommen Player aus dem Lifestyle- Segment, etwa Möbelfabrikanten, die Holz nur von Tischlern aus dem Umland beziehen. Oder Modelabel, die Stoffe verarbeiten, bei deren Produktion keine Chemie eingesetzt wurde, und die ihre Näherinnen fair bezahlen. Ebenso produktiv sind die Maschinenräume der Green Economy, jenes Wirtschaftszweigs, der die Herstellung umweltfreundlicher Produkte zum Kerngeschäft erkoren hat. Hier werden Geothermie-Anlagen entwickelt, Batterien für E-Autos oder Apps, die Familienväter zum Stromsparen animieren. 8200 Unternehmen tummeln sich in dieser Berliner Wachstumsbranche und beschäftigen insgesamt knapp 80 000 Mitarbeiter.

Erfolgskurs dank peniblen Energiemanagements

Alles in allem herrscht eine Aufbruchsstimmung, die auch den Planspielen auf der politischen Bühne Auftrieb geben könnte. Bis 2050 soll die Hauptstadt CO2-neutral sein – so lautet das Ziel, das der Senat im vergangenen Juli ausrief. Dass immer mehr Unternehmer helfen wollen, diese Sisyphusaufgabe zu meistern, ist ein Indikator für den Bewusstseinswandel in der Welt der BWLer. Aber wie verträgt sich das Nachhaltigkeitscredo eigentlich mit dem obersten Gebot aller Geschäftsleute – dem Streben nach Profit? Ein Blick in die Finanzbücher von Florida Eis dürfte jeden Homo oeconomicus dahinschmelzen lassen: Dort sind Gewinne eingetragen. „Die Vorgabe ist, dass sie am Ende des Jahres sechsstellig sein sollen“, so Höhn. Der Visionär begründet den Erfolgskurs mit seinem peniblen Energiemanagement: Er spart fast 90 000 Euro pro Kilowattstunde Strom, weil er keine Fußbodenheizung verlegen ließ. Auch entfallen etliche Tankfüllungen für seine Lkw-Flotte, weil die Laster nicht mit spritfressenden Kompressoren gekühlt werden, sondern mit einem speziellen Gel. „Am meisten hat jedoch das positive Erscheinungsbild des Unternehmens in der Öffentlichkeit zum Wachstum beigetragen“, sagt Höhn.

Kultobjekt aus der Kühltruhe

Die Nachhaltigkeitswende als PR-Coup. Die Geschichte vom Traditionsunternehmen, das ins postfossile Zeitalter aufbricht mit einem Produkt, das für jeden Lebensmittelhändler eine Zierde ist, vom Bioladen bis zur Rewe-Filiale – das kommt an, besonders bei den Medien. Um Florida Eis entstand ein großer Hype, ob im „Tagesspiegel“ oder im Deutschlandradio. Diese Gratiswerbung hat dazu geführt, dass immer mehr Einzelhändler auf das Eis aufmerksam wurden und es in ihr Sortiment aufnahmen. Und die Endkunden erkennen das Kultobjekt in der Kühltruhe sofort wieder. Alles günstige Faktoren für Margen, Gewinne und die Rentabilität. Natürlich kann nicht jedes mittelständische Unternehmen seine grüne Genese als glamouröse Soap verkaufen. Nicht alle Firmen sind alteingesessene „local heroes“, und die wenigsten produzieren Dolce-Vita-Artikel wie Eis, das zwangsläufig Urlaubsgefühle weckt. In der Regel sind die Waren alltagsgrau. Dass solche Unternehmen aber auch von umweltfreundlichen Produktionsprozessen profitieren können, zeigt das Beispiel einer Firma mit Sitz in Wedding.

Berlin denkt und fühlt grün

Laserline, eine Druckerei mit über 200 Mitarbeitern, stanzt seit 2006 Broschüren und Briefbogen in einem CO2-neutralen Prozess. Die Bilanz: Zwischen 2014 und 2016 konnten so über 22 000 Tonnen des Treibhausgases kompensiert werden. Das Papier, das Laserline verwendet, stammt von Bäumen, die nachhaltig wirtschaftende Förster gefällt haben. Damit nicht genug: Kunden können zu Baumpaten werden; in einem Friedrichshagener Wald wurden bereits über 1000 Triebe gepflanzt, darunter viele Buchen. Produktmanager Ronny Zenk sagt: „Mit unserem nachhaltigen Image wollen wir in einem schwierigen und unübersichtlichen Marktumfeld auffallen und Kunden gewinnen, die ähnlich ticken.“ Er sei überzeugt, dass sich Nachhaltigkeit langfristig auszahle. Zu den Kunden gehört übrigens auch Florida Eis. Die vier Eiscafés des Medienlieblings vom Stadtrand versorgt die Druckerei mit Speisekarten, auf denen Spaghetti-Eis und andere Klassiker angepriesen werden. Wer in Berlin grün denkt und fühlt, findet früher oder später zueinander.

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