KI: mit Algorithmen die Welt verbessern

KI: mit Algorithmen die Welt verbessern


Ob Klima, Energie oder Mobilität: Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, neue oder bestehende Abläufe viel nachhaltiger zu machen. Unternehmen und Forscher haben reichlich Ideen – aber nicht immer die notwendigen Daten.

Ob Klima, Energie oder Mobilität: Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, neue oder bestehende Abläufe viel nachhaltiger zu machen. Unternehmen und Forscher haben reichlich Ideen – aber nicht immer die notwendigen Daten.

Text: Manuel Heckel, Foto: [M]imageBROKER.com/Shutterstock

Es geht nicht um den einen Flügelschlag, der die Welt verändert – sondern um ganz viele: Das vom Bundesumweltministerium geförderte Projekt KInsecta hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Zählung von Insekten zu vereinfachen. Denn wer weiß, wie viele und welche der kleinen Tierchen auf einer Wiese oder einer Lichtung umherschwirren, der weiß auch, wie es der Natur an dieser Stelle geht. Doch bislang erfordert das eine aufwendige Falle und viel manuelle Arbeit, weil die gefangenen Insekten regelmäßig von geschulten Freiwilligen gezählt werden müssen.

KInsecta hingegen setzt auf Technologie: Die Projektmitarbeiter basteln an einem System aus Sensoren und Software, das möglichst kostengünstig zusammengesetzt werden kann. Dank Machine-Learning-Algorithmen soll das Programm in Zukunft automatisiert anhand eines Fotos und der Frequenz des jeweiligen Flügelschlags erkennen, welche Insekten vor Ort zu finden sind. „Das Ziel ist, dass jeder vor seiner Haustür messen kann, wie es um die Insektenvielfalt bestellt ist“, sagt Nicole Wettmarshausen, Sprecherin der Initiative. Hinzu kommt, dass die Daten natürlich auch wissenschaftlich verwertet und somit in einen größeren Kontext gesetzt werden. Zu Hause ist KInsecta im schwäbischen Reutlingen, doch das technische Know-how für künstliche Intelligenz (KI) und Sensorik kommt von der Berliner Hochschule für Technik.

KI als Allzweckwaffe für mehr Nachhaltigkeit

Algorithmen für die Natur einzusetzen mag ungewöhnlich wirken, aber nur auf den ersten Blick. Denn spezialisierte Software besitzt großes Potenzial, Nachhaltigkeitsbemühungen auf der Welt voranzutreiben. Vor knapp zwei Jahren kamen Wissenschaftler aus Stockholm und Berlin zu dem Schluss, dass künstliche Intelligenz einen positiven Einfluss auf zahlreiche der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen haben kann. Die Programme können helfen, den Energieverbrauch zu senken, der Landwirtschaft mehr Ertrag zu bescheren, den Verkehr besser zu steuern – oder eine Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, in der Ressourcen möglichst lange wiederverwendet werden.

Der große Vorteil: Der KI ist es egal, für welche Aufgabe sie eingesetzt wird, und ihre grundlegenden Eigenschaften überzeugen. Die Technologie eignet sich gut, um zum Beispiel Muster oder Auffälligkeiten aus Datenmassen herauszufiltern. So ermöglicht sie es, bislang aufwendige manuelle Prozesse, etwa das Zählen von Insekten, zu automatisieren. Sie kann Möglichkeiten vorschlagen, auf die der Nutzer am Computer oder Smartphone wahrscheinlich nur mit viel Aufwand, Glück oder gar nicht gekommen wäre. Unternehmen setzen auf KI, um ihre Produktion oder die Liefer-ketten effizienter zu gestalten. Doch die Algorithmen können auch grundsätzlichere Aufgaben erfüllen, sagt Oliver Zielinski.

Der Meeresphysiker leitet das Kompetenzzentrum KI für Umwelt und Nachhaltigkeit des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI4planet). „Wir müssen umstellen auf neue Ansätze in unserem Wirtschaftssystem“, sagt Zielinski. „Das ist eine komplexe Aufgabe – und für komplexe Aufgaben eignet sich KI immer gut.“

Großes Interesse an neuen Wegen

Nicht nur deshalb steigt die Zahl der Wissenschaftler, Unternehmen und Organisationen, die auf KI als Nachhaltigkeitshelfer setzen. Erstens sorgen schärfere gesetzliche Vorgaben dafür, dass Umweltaspekte bei neuen oder alten Prozessen mitbedacht werden müssen. Zweitens fördern Geldgeber zunehmend Initiativen, die nicht nur eine finanzielle Rendite bringen, sondern auch einen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft haben. Und drittens fordern sowohl Kunden als auch Mitarbeiter, dass sich Firmen intensiver mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. „Es gibt eine Menge Interesse, ressourcenschonender zu arbeiten“, fasst Zielinski zusammen.

Häufig kommt die Software dabei an zentraler Stelle zum Einsatz, wenn es um innovative Ideen geht. Mal wird sie gebraucht, um die benötigten Ressourcen bereits im Vorfeld exakt zu berechnen und so Transporte zu begrenzen oder Ergebnisse zu verbessern. Ein andermal dient die KI dazu, eine Produktion möglichst flexibel umstellen zu können, sodass am Ende weniger Überschuss produziert wird. Und schließlich hilft KI, Erkenntnisse zu generieren, die es vorher nicht gab – wie bei KInsecta: Nur wer weiß, wo welche Insekten zu finden sind, kann auf Veränderungen reagieren.

Saubere Daten oft noch Mangelware

Doch so groß das Potenzial von KI auch sein mag, auf dem Weg zu nachhaltigen Anwendungen lauern jede Menge Stolpersteine. „Es ist immer eine Herausforderung, Daten in der richtigen Qualität zu bekommen“, sagt Wissenschaftler Zielinski. „Gerade im Umweltbereich haben wir oft nicht viele Informationen.“ Die Insektenbeobachter aus Reutlingen und Berlin etwa mussten Spezialisten hinzuziehen, die der KI in einigen Fällen beibrachten, welche Spezies sich hinter den Flügelschlägen verbirgt. „Um die KI zu trainieren, brauchten wir stellenweise zunächst Menschen mit Artenkenntnis“, sagt Wettmarshausen. Die gute Nachricht: Auch mit „hybrider KI“, also einer Mischung aus Softwarekraft und menschlichem Input, lassen sich valide Ergebnisse erzielen.

Manche Probleme sind dagegen viel grundlegender. „Künstliche Intelligenz setzt eine IT-Infrastruktur voraus, die bei vielen kleinen Unternehmen nicht gegeben ist“, sagt Zielinski. Zudem erfordert der Einsatz der Technologie häufig eine Fachkenntnis, die Mangelware ist – Datenwissenschaftler und KI-Entwickler werden händeringend gesucht. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, die nachhaltigen Anwendungen zu skalieren, also schneller in die Breite zu bringen. Übergreifende Initiativen wie „Climate Change AI“ bieten Plattformen, auf denen sich engagierte Forscher und Unternehmen vernetzen können. KInsecta fungiert als Open-Source-Projekt – die Erkenntnisse und der Programmcode können kostenfrei verwendet und weiterbearbeitet werden.

Grenzenlose Möglichkeiten, begrenzter Energieverbrauch

Zur KI gesellen sich Start-ups, die sich als Begleiter auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit positionieren. „Wenn Wissen fehlt, können Unternehmen nicht beginnen“, sagt Helen Tacke, Mitgründerin des Start-ups Cozero. Das 2020 gegründete Berliner Unternehmen ermöglicht es Firmen, ihre CO-Emissionen zu berechnen. Als Motivationshelfer dient dabei der „Return on Climate Investment“, der anzeigt, wie viele Emissionen sich je eingesetztem Euro einsparen lassen. Zudem bündelt das etwa 30-köpfige Team die Informationen über Reduktionsmaßnahmen – und nutzt KI, um den Anwendern die für ihre Industrie passenden Lösungen vorzuschlagen. Nachhaltigkeit-as-a-Service, gewissermaßen.

Die Beispiele zeigen: Nach und nach dürfte sich KI als Nachhaltigkeitsermöglicher in zahlreichen Bereichen etablieren. Grenzen sind der Technologie dabei wenige gesetzt. KInsecta will im nächsten Schritt zusätzliche Sensoren in sein Gerät integrieren, um die Insekten zweifelsfrei bestimmen zu können. Gleichzeitig empfehlen jedoch Forscher, auch auf die Nachhaltigkeit der KI selbst zu achten. Je flächendeckender die Algorithmen zum Einsatz kommen, desto höher ist der Energieverbrauch für Datengenerierung, -übertragung und -berechnung. „Wir müssen abwägen, ob wir die siebte Kommastelle auch noch berechnen müssen oder ob ein Ergebnis bereits ausreichend genau ist“, sagt DFKI-Wissenschaftler Zielinski. Auch hier gibt es einen Ausweg: geteilte Plattformen. Wenn die Algorithmen gleichzeitig von verschiedenen Initiativen trainiert und genutzt werden, können sich die Ergebnisse verbessern, und der Energieverbrauch verringert sich. Gemeinsam ist auch die KI stärker.

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