Länger gut leben

Länger gut leben


Vorstandschefin und Ärztin: Dr. Alexandra Schröder-Wrusch weiß, wie wir unsere Lebensqualität bis ins Alter erhalten – und warum die oft unterschätzte Arbeitsmedizin dabei eine wichtige Rolle spielen könnte.

Vorstandschefin und Ärztin: Dr. Alexandra Schröder-Wrusch weiß, wie wir unsere Lebensqualität bis ins Alter erhalten – und warum die oft unterschätzte Arbeitsmedizin dabei eine wichtige Rolle spielen könnte.

Text: Michael Fuchs, Foto: Steffen Roth

Eine halbe Stunde, die viel bewirken kann: „Wenn Sie sich täglich 30 Minuten lang bewegen, erhalten Sie Ihre Lebensqualität länger“, sagt Dr. Alexandra Schröder-Wrusch. Aber damit meine sie nicht, mal eben vom Schreibtisch zur Couch zu gehen und zurück, sondern Bewegung, die im besten Fall zu einem passt. Der Schlüssel dazu ist personalisierte Gesundheitsberatung. Ein strammer Spaziergang, Jogging, Kraftübungen mit dem eigenen Körpergewicht, aber auch Dehnübungen und Gleichgewichtstraining helfen dabei, unsere gesunde Lebensspanne, also die Zeit ohne gesundheitliche Einschränkungen, zu verlängern. „Durch unsere Ernährung und unser Verhalten, die meist wenige, aber wirksame Stellschrauben bieten, können wir beeinflussen, ob gewisse Krankheiten erst später im Leben oder gar nicht auftreten und mögliche genetische Vorbelastungen aushebeln.“ Bewegung, zwei Liter Wasser täglich, regelmäßige ausgewogene Mahlzeiten, weniger Fleisch. „Das ist dann auch noch gut fürs Klima.“ Klingt ganz einfach.

Wenn es das nur wäre. Schröder-Wrusch lächelt. „Unser Verhalten zu ändern fällt uns grundsätzlich schwer. Die Frage ist also: Wie schaffe ich das?“ Sie ist Vorstandssprecherin der ias Stiftung und Vorstandsvorsitzende der ias AG, die mit 1300 Mitarbeitenden, darunter vielen Medizinern, an 110 Standorten in Deutschland jährlich mehr als 100 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Und sie ist Ärztin. „Wir wissen doch alle, dass wir uns gesund ernähren, nicht rauchen und mehr Sport treiben sollten. Aber es gibt Phasen im Leben, in denen sind wir für solche Veränderungen wenig empfänglich, und andere, in denen es wieder ganz anders aussieht.“ Zum Beispiel: Wird ein Mann zum ersten Mal Vater, hat er oft eine ganz neue Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören. Jetzt wäre ein wenig Unterstützung nötig, etwa durch den Hausarzt. Nur verbringt man in diesem Lebensabschnitt, etwa zwischen 25 und 40 Jahren, eher selten Zeit beim Arzt. „Diese Momente zu erfassen ist eine riesige Chance“, sagt Alexandra Schröder-Wrusch. „Hier können wir die Weichen stellen, ob jemand zum Beispiel Bluthochdruck entwickelt oder Diabetes.“

Nur, wie kommt man an Menschen heran, die sich gesund fühlen, es oft sogar sind – die aber genau in dieser Zeit viel für ihre künftige Gesundheit tun können? Hier kommt die Stiftung ins Spiel. Das Institut für Arbeits- und Sozialhygiene (ias) wurde 1976 in Karlsruhe gegründet, um Beschäftigte nach dem Arbeitssicherheitsgesetz zu betreuen. Dieses verpflichtet Arbeitgeber dazu, Betriebsärzte und Sicherheitsingenieurinnen zu bestellen, um den Arbeitsschutz zu gewährleisten. Als das Institut 1983 über die staatlichen Vorgaben hinaus den „Gesundheits-Check-up“ für Führungskräfte anbot, war das eine kleine Revolution – und auch eine Provokation. „Wir haben zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen dem Führungsverhalten einer Person und ihrer Gesundheit hergestellt“, sagt die Ärztin. Raubbau am eigenen Körper zu betreiben, das galt lange als Qualitätsmerkmal eines Chefs. „Ein cooler Manager musste mindestens einen Herzinfarkt hinter sich haben.“

Kurz darauf wurden die ersten psychosozialen Beratungen durch die Firmen der ias-Gruppe angeboten. Heute gehört es zu einer guten Unternehmenskultur, zu akzeptieren, „dass es eine psychische Gesundheit gibt – und damit auch Phasen, in denen Menschen Unterstützung brauchen, ohne dass sie im eigentlichen Sinne psychisch krank sind“. Es war viel Überzeugungsarbeit nötig, solche Ideen in die Wirtschaft zu tragen. Und das ist es manchmal noch heute. „Je agiler ein Unternehmen ist, also je weniger hierarchisch geprägt, desto mehr ist die Führungskraft darauf angewiesen, durch ihre Persönlichkeit zu führen, durch Werte. Das verändert diesen Menschen.“ Dabei kann er jede Unterstützung brauchen, manchmal eben auch durch einen Arzt.

Seit mehr als 40 Jahren geht es dem Institut um das, was man inzwischen „Work-Life-Balance“ nennt. Dahinter steckt eine einfache Erkenntnis: Wer schlecht mit sich selbst umgeht, geht auch schlecht mit anderen um. „Wir sind sozusagen immer wieder ein Start-up. Wir erfinden uns immer wieder neu. Denn wir reagieren auf die Veränderungen der Arbeitswelt in den Unternehmen, die wir betreuen“, sagt Schröder-Wrusch. Die Digitalisierung etwa sorgt für ganz neue Belastungen bei den Mitarbeitenden – Stichwort „digitaler Stress“.

Heute gilt das Gesundheitsmanagement als ein Schlüssel zum Erfolg eines Unternehmens – auch wirtschaftlich. Studien belegen, dass Fehlzeiten durch Krankheiten im Schnitt um 26 Prozent niedriger liegen, wenn ein Betrieb in gesundheitliche Prävention investiert. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung Roland Berger kann etwa bei frühzeitiger Behandlung von psychischen Erkrankungen und Rückenleiden ein Fünftel der Krankheitskosten vermieden werden. Außerdem profitieren Firmen, so Roland Berger, von einer „besseren Positionierung“: Der Arbeitgeber wird attraktiver, die Fluktuation nimmt ab.

Alexandra Schröder-Wrusch ist davon überzeugt, dass ein gutes Gesundheitsmanagement noch viel mehr bewirken kann. Für die Unternehmen, aber auch für die Menschen und die Gesellschaft insgesamt. Denn in der Lebensphase zwischen 25 und 40 sehen die meisten von uns kaum einen Grund zum Arztbesuch, sie entscheiden sich aber durch dieses Verhalten auch dazu, mögliche Krankheiten erst später zu bemerken. Hier könnten die Betriebsärztinnen die Lücke füllen – und die Beschäftigten darin unterstützen, etwa mit dem Rauchen aufzuhören oder auf den Blutdruck und mehr Bewegung zu achten. All diese Dinge können unser „gutes Leben und unsere gesunde Lebensspanne“ verlängern – je früher, desto besser. „Wir könnten noch viel mehr tun“, sagt Schröder-Wrusch, „denn wir erreichen die Menschen in allen Lebensabschnitten. Außerdem haben wir Arbeitsmediziner etwas, was Hausärztinnen nicht haben: Zeit.“

In Dortmund geboren, in Berlin aufgewachsen, studierte Alexandra Schröder-Wrusch an der Freien Universität, um dort ihren Doktor zu machen und eine Karriere in der Kardiologie der Uniklinik zu starten. „Arbeitsmedizin war das Letzte, auf das ich gekommen wäre“, sagt sie. Doch dann sah sie immer wieder die gleichen Patienten vor sich – mit den immer gleichen Leiden. „Ich habe mich gefragt, warum kann sich nicht irgendjemand darum kümmern, dass dieser Blutdruck mal vernünftig eingestellt wird, dass diese Blutfettwerte besser werden.“ Also wurde sie Fachärztin für Arbeitsmedizin, machte eine Ausbildung zur ärztlichen Psychotherapeutin und wurde gleichzeitig beim TÜV Rheinland zur Führungskraft ausgebildet. 2012 wechselte sie zur ias-Gruppe, kam drei Jahre später in den Vorstand, den sie seit Anfang 2021 leitet. „Für mich ist die Arbeit in einem präventionsmedizinischen Bereich die eigentliche Erfüllung“, sagt sie.

Aber sie weiß auch, wie oft dieser Bereich, die Arbeitsmedizin, unterschätzt wird. „Wir haben noch viel Luft nach oben in dem, was wir leisten können.“ Die Pandemie war ein Beispiel. „Ich habe dafür geworben, dass wir anfangen, parallel zu den Hausärzten in den Betrieben zu impfen, denn wir haben ein Vertrauensverhältnis zu den Menschen dort. Aber leider sind wir sehr spät eingebunden worden.“ Daraus könne man lernen, um das Potenzial der Arbeitsmedizin beim nächsten Mal voll auszuschöpfen. „Wir können nicht zaubern“, sagt die Ärztin, „nicht alles verhindern. Aber wir können zum richtigen Zeitpunkt ganz viel nachhaltig verändern.“

Umsichtiger zu leben, vorsorglicher und nachhaltiger – das ist das Ziel. Und es ist nie zu spät, damit anzufangen. „Man kann immer etwas machen“, sagt Alexandra Schröder-Wrusch. Auch in nur 30 Minuten.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 37. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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