Miriam Wohlfarth: Alles ist Intuition

Miriam Wohlfarth: Alles ist Intuition


Wie wichtig ist Karriereplanung für den beruflichen Erfolg? Miriam Wohlfarth hat sich diese Frage nie gestellt. Die Gründerin und Geschäftsführerin des Zahlungsdienstleisters Ratepay vertraut einfach immer auf ihre Intuition.

Wie wichtig ist Karriereplanung für den beruflichen Erfolg? Miriam Wohlfarth hat sich diese Frage nie gestellt. Die Gründerin und Geschäftsführerin des Zahlungsdienstleisters Ratepay vertraut einfach immer auf ihre Intuition.

Text: Anke Bracht, Foto: Paulina Hildesheim, Erscheinungsdatum: 21. Oktober 2020

Kurz vor dem Abitur, sagt Miriam Wohlfarth, habe sie einen Plan gehabt. „Ich wollte in den diplomatischen Dienst“, sagt die wohl bekannteste Fintech-Frau Deutschlands und setzt mit einem Lächeln hinterher: „Aber das wurde nichts. Mein Durchschnitt war zu schlecht.“ Also studiert die Gründerin und heutige Geschäftsführerin des Zahlungsdienstleisters Ratepay Volkswirtschaft – allerdings ohne große Begeisterung. „Es war ein sehr spezieller Studiengang, angesiedelt zwischen Politik, VWL und Englisch, es war mir zu theoretisch.“ Die Eltern erwarten, dass die Tochter reussiert, und die strengt sich an. Aber der Bauch sagt bald Nein. „Irgendwann bin ich einfach nicht mehr hingegangen. Und dann machte ich eine Reise und habe in dieser Zeit jemanden kennengelernt, der mich gefragt hat: Warum machst du das, wenn es dir keinen Spaß macht?“ Diese Frage gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Die junge Frau bleibt in Spanien, kellnert, spielt als Laiendarstellerin in der BBC-Serie „El Cid“ mit. Von da an reist sie um die Welt, immer mit kleinem Budget, aber mit großer Begeisterung für Land und Leute. Eine Typhuserkrankung zwingt sie zur Rückkehr. Wieder an die Uni? Kommt nicht infrage – was die Eltern entsetzt. „Ich habe mich gefragt: Was kann ich, was macht mir Spaß? Und das sind Reisen und Sprachen, mit Menschen reden.“ Miriam Wohlfarth entscheidet sich für eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau. Eine erneute Herausforderung, denn so richtig glücklich ist sie in dem kleinen Reisebüro nicht. Zu eng, zu miefig, süddeutsche Provinz. Direkt nach der Lehre wechselt sie zu einem Reiseveranstalter in Stuttgart. Dort verkauft sie keine Reisen, sondern betreut Reisebüros, stellt die neuesten Kataloge vor, organisiert Verkaufswettbewerbe. „Es war so etwas wie Vertrieb, es hat mir Spaß gemacht, aber in der Branche wird sehr schlecht gezahlt, ich wusste, da muss ich raus, wenn ich nicht mein Leben lang nebenbei kellnern will.“

Wie gut, dass gerade eine alte Schulfreundin aus den USA zurückkommt und Wohlfarth einen Job bei einem amerikanischen Veranstalter anbietet. Bald wechselt sie von dort zu Hapag-Lloyd, macht Karriere im Konzern, „im blauen Hosenanzug“, sagt sie und lacht. Kurz vor der Jahrtausendwende steht das Thema im Raum, wie Reisen künftig gebucht werden. „Die Reisewirtschaft war die erste disruptive Branche“, sagt Miriam Wohlfarth, „über ein Projekt bin ich dann mit Bibit Global Payment Services zusammengekommen“, einem Start-up aus den Niederlanden. „Die beiden Gründer Pieter van der Does und Arnout Schuijff haben mich inspiriert, mitgerissen. Sie machten Onlinepayment. ,Es gibt eine Revolution‘, sagten sie.“ Als van der Does sie fragt, ob sie das Deutschlandgeschäft aufbauen wolle, sagt Wohlfarth Ja. „Ich habe meinen Job als Verkaufsleiterin gekündigt, ohne einen neuen Arbeitsvertrag zu haben“, sagt die Managerin, „meine Eltern und alle in meinem Umfeld waren schockiert.“ Aber sie lässt sich nicht beirren und wechselt vom Konzern zum Start-up mit 20 Mitarbeitern. „Es war so eine intrinsische Motivation, und Pieter hat immer gesagt: ,Du musst es nicht können. Du kannst alles lernen.‘“

Genau das macht sie, fliegt um die Welt, gewinnt eine Airline nach der anderen für Bibit. „Fluggesellschaften waren damals die Ersten, die ernst zu nehmende Umsätze generiert haben, außer Gambling und Adult-Entertainment.“ Dass niemand so richtig versteht, was sie macht, dass sie auf viele exotisch wirkt, ist ihr egal. „Ich habe immer gern mit Menschen gearbeitet, mit denen ich mich gut verstanden habe“, sagt die Ratepay- Gründerin. „Diese Zeit bei Bibit hat mich geprägt.“ Zum ersten Mal habe sie verstanden, was „driven by passion“ bedeutet. „Wir sollten amerikanischer denken. Nicht dieses deutsche Denken verinnerlichen, dass man nur das ist, wo man seinen Abschluss gemacht hat. Ich bin nicht Reiseverkehrskauffrau.“ Die beiden unkonventionellen Holländer sind Vorbilder, Freunde, Mentoren. Miriam Wohlfarth startet durch. 2004 arbeitet Bibit profitabel und wird von der Bank of Scotland gekauft. Wohlfarth bekommt in dem Jahr ihre Tochter und zieht nach Berlin, wo ihr Mann bei Ebay arbeitet. Als van der Does und Schuijff sie für eine neue Geschäftsidee gewinnen wollen – ihr Zahlungsdienstleister Adyen wird heute mit 40 Milliarden Euro bewertet –, sagt sie ab und engagiert sich in einem Projekt für den Whitelabel-Zahlungsanbieter Ogone. „Die Aufgabe lautete: Bau den idealen Payment-Provider für Deutschland“, sagt Wohlfarth, „aber die Eigentümer verstanden damals nicht, dass neben PayPal und Kreditkarte auch Rechnungskauf möglich sein muss. Es war wie eine Blaupause für Ratepay. Zwei Leute von Avato und ich haben dann gegründet – 2009, mitten in der Finanzkrise.“Es ist schwierig, das Start-up ans Laufen zu kriegen, das Geld ist immer knapp, das Arbeitsamt verweigert die Gründerförderung. Der Otto- Konzern beteiligt sich; inzwischen drängen weitere Anbieter wie BillPay und Klarna auf den Markt. Wohlfarth, die einzig Verbliebene aus dem Gründungstrio, verkauft 2011 an Otto: „Ich bin dann an Bord geblieben, weil ich eine sehr starke Bindung zu dem Ganzen hatte. Ich habe gesagt: Na gut, dann bin ich nicht mehr Gesellschafterin, aber wenn die mir hier meine Freiheit lassen in Berlin, ist alles fein. Das haben sie, und es waren sehr gute Jahre.“ Anders als die mit Venture Capital ausgestatteten Wettbewerber strebt sie mit Ratepay nachhaltiges Wachstum an; 2016 erhält das Unternehmen die BaFin-Lizenz und macht Gewinn. „Wir arbeiten seitdem immer profitabel“, setzt die Gründerin nach. 2017 folgt ein weiterer Eigentümerwechsel, heute ist der Zahlungsdienstleister unter dem Dach der skandinavischen Holding Nets Group verortet. Und Miriam Wohlfarth macht das bei Ratepay, was sie am besten kann: Vertrieb. Nach mehr als zehn Jahren in dieser Rolle und einem steigenden Interesse der Medien an der Vorreiter- Fintech-Frau beschließt sie schließlich Ende September dieses Jahres, Unterstützung ins Team zu holen. Nun übernimmt Nina Pütz als „Head of Ratepay“ die operative Leitung des Vertriebs- und Marketingbereichs.

Wohlfarth hat sich einen exzellenten Ruf erworben in der Branche und ist Mitglied des Bitcom-Präsidiums wie auch im FinTechRat des Bundesministeriums der Finanzen. Sie sitzt im Beirat des Bundesverbandes deutsche Start-ups e. V. und im Aufsichtsrat von Talents Connect, ist Gesellschafterin bei Startup Teens, hat gemeinsam mit Christian Vollmann den Vorstandsvorsitz des Beirats Junge Digitale Wirtschaft inne und ist Partnerin und Gesellschafterin bei Paymentandbanking, einem führenden Fintech-Blog in Deutschland. Außerdem publiziert Miriam Wohlfarth regelmäßig Kolumnen und Podcasts, begeistert Kinder für Digitalisierung durch Initiativen wie die Hacker School. Die zurückliegenden Monate der Coronakrise hätten sowohl sie und ihre Familie als auch Ratepay gut hinter sich gebracht, erzählt sie. „Ich glaube an die Krise als Chance. Covid-19 macht uns noch digitaler, bringt die Branche noch weiter nach vorn, in vielen Bereichen.“ Den Beginn des Lockdowns habe sie als „spooky“ in Erinnerung. „Ab dem 12. März waren alle Mitarbeiter im Homeoffice; unsere IT hat Nachtschichten eingelegt. Wir haben uns einen krassen Sparplan auferlegt, alle Marketing-Spendings gestoppt, die Freelancer hinterfragt.“ Bereits nach zehn Tagen habe sich das System stabilisiert; inzwischen haben die Mitarbeiter wieder die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis im Office zu arbeiten. Natürlich mit Abstand und unter Berücksichtigung bestimmter Hygienemaßnahmen. „Wir haben vieles beibehalten aus der Zeit der Krise: viel Kommunikation, viele Teammeetings. Und wir achten noch mehr darauf, wie wir das Unternehmen steuern. Alles, was vorher nicht digital war wie Verträge und Vollmachten, ist nun digital. Einfach toll.“ Gar nicht so toll findet Wohlfarth dagegen die Tatsache, dass sich immer noch wenig Frauen für Fintech begeistern. „Wir müssen bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen, Role Models zeigen. Die Schulen müssen viel mehr Technologieausbildung leisten. Die männliche Dominanz beruht ja darauf, dass die Entwickler aus der Gamingszene kommen. Aber Mädchen und Mathe oder Naturwissenschaften? Ach nee! Diese Bilder müssen weg, und andere müssen her.“ Dass bei Ratepay der Frauenanteil zwischen 40 und 50 Prozent beträgt und im Managementteam das Verhältnis 5 zu 2 besteht, schreibt sie dem ausgeprägten Sinn ihrer Mitarbeiterinnen für Networking zu: „Eine Quote vorschreiben, da bin ich nicht dafür. Aber Frauen in Führung bringen, ich glaube, das bringt schon was.“

Sie selbst, sagt die Managerin, lebe nach dem Motto: Begeisterung ist das Prinzip aller Möglichkeiten – eben „driven by passion“. „Wenn du etwas findest, das dir Spaß macht, fühlt sich das nicht wie Stress an. Dann entwickelst du dich weiter. Das ist für mich Unternehmertum.“ Auch jetzt stehen Wohlfarth wieder spannende Zeiten bevor, denn sie ist erneut ihrem Bauchgefühl gefolgt: Banxware heißt ihr neues Fintech, welches sie vor Kurzem gemeinsam mit dem Fintech-Anwalt Jens Roehrborn gegründet hat. Wie mit Ratepay geht sie auch mit Banxware wieder in eine Vorreiterrolle und widmet sich dem Thema integrierte Finanzdienstleistungen, etwa Onlinekreditentscheidungen. „Banxware ermöglicht es jedem Unternehmen, Finanzdienstleistungen anzubieten. Wir sind die Verbindung von Banken, Plattformen und Händlern und schaffen für alle drei Player einen wichtigen Mehrwert.“ Ihrem ersten und, wie sie sagt, „absoluten Herzensprojekt“ Ratepay bleibt sie weiterhin als Gründerin und Geschäftsführerin treu.

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