Mit Bildern Geschichte erzählen

Mit Bildern Geschichte erzählen


Holpriger hätte der Start für Dr. Lucy Wasensteiner, die neue Leiterin der Liebermann-Villa, nun wirklich nicht sein können. Doch die gebürtige Britin bleibt cool und stellt die Weichen für die Zukunft.

Holpriger hätte der Start für Dr. Lucy Wasensteiner, die neue Leiterin der Liebermann-Villa, nun wirklich nicht sein können. Doch die gebürtige Britin bleibt cool und stellt die Weichen für die Zukunft.

Text: Tanja Breukelchen, Foto: C. Adam / Max-Liebermann-Gesellschaft

Eigentlich möchte sie jetzt endlich loslegen. Neues schaffen. Und Altes bewahren. Aufbruchstimmung schwingt mit, wenn Dr. Lucy Wasensteiner spricht. Und zugleich ein leichter britischer Akzent. Denn die neue Leiterin der Liebermann-Villa stammt aus einer Kleinstadt im englischen Yorkshire. „Harrogate, am Rande der Yorkshire Dales. Als Kinder waren wir oft in den Bergen, na ja, Hügeln. Und an der Küste“, erzählt die 36-Jährige. Eine schöne Kindheit mit ihrer Schwester sei das gewesen. Und Kunst – die spielte damals schon eine Rolle, wenn auch nur eine kleine: „Wir haben oft Ausstellungen besucht. Meine Mutter und mein Großvater haben gemalt und gezeichnet. Mein Vater interessiert sich sehr für Wissenschaft. So waren wir in ganz verschiedenen Museen. Naturkunde, Kunst … Das hat mich sicherlich geprägt.“

Das Studium, für das sie sich später entscheidet, hat auf den ersten Blick dann so gar nichts mit Kunst zu tun. Sie studiert Jura in Bristol und Oxford und arbeitet dann in London als Rechtsanwältin. Doch genau bei dieser Arbeit begegnet sie aus heiterem Himmel der Kunst – und zwar einem ihrer dunkelsten Kapitel. „Ich kam im Zuge der Arbeit mit NS-Kulturpolitik in Kontakt. Mit dem Thema Raubkunst. Das war mein erster intensiver Zugang zur Kunstgeschichte. Für mich war das völlig neu. Ich war überrascht, wie wichtig es für die NS- Regierung war, die Kultur so zu kontrollieren. Ich fand das Thema unglaublich spannend und habe ein Masterstudium am Londoner Courtauld Institute of Art absolviert. Die Idee war, dass ich mehr darüber lerne und dann zu Jura zurückkehre.“

Lucy Wasensteiner lernt Deutsch. Und zugleich lernt sie immer mehr über die deutsche Geschichte. Nach dem Master bekommt sie vom DAAD ein Stipendium und geht für ein Jahr an die Freie Universität Berlin, an die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ – ein Jahr, aus dem inzwischen zehn Jahre geworden sind. Sie promoviert mit einer Arbeit zur Londoner Ausstellung „Twentieth Century German Art“ aus dem Jahr 1938, die damals die größte internationale Reaktion auf die NS-Aktionen gegen die sogenannte entartete Kunst war. Im Zuge ihrer Recherchen lernt sie die Werke und das Leben von mehr als 60 Künstlerinnen und Künstlern der deutschen Moderne kennen – darunter auch: Max Liebermann. Seine Villa am Wannsee besucht Wasensteiner 2011 zum ersten Mal. „Ich erinnere mich noch sehr gut daran: Der Wannsee war zugefroren – und als Engländerin hatte ich einen zugefrorenen See noch nie gesehen. Für mich war das ein magisches Erlebnis: diese Kombination aus Haus, Garten und Kunst.“ Die seit 2006 privat geführte Villa am Großen Wannsee hatte sich der Vorsitzende der Berliner Secession und langjährige Präsident der Preußischen Akademie der Künste, Max Liebermann (1847–1935), 1909 als Ort der Ruhe bauen lassen.

Gleich nach ihrer Promotion wird in der Liebermann-Villa eine Stelle frei, und Lucy Wasensteiner, inzwischen Expertin für deutsche Kunst der Moderne, NS-Kulturpolitik und Provenienzforschung, also der Geschichte der Herkunft von Kunstwerken, beginnt, für drei Jahre in der Villa zu arbeiten, zuletzt als Kuratorin. Parallel dazu wird sie am Courtauld Institute als Lehrbeauftragte angestellt und pendelt fortan zwischen London und Berlin: Ein- bis zweimal wöchentlich geht es frühmorgens mit dem ersten Flieger nach London, abends nach ihren Lehrveranstaltungen mit dem letzten Flieger zurück. 2018 wechselt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans Kunsthistorische Institut der Universität Bonn mit Schwerpunkt Provenienzforschung, lebt dort mit ihrem Mann und bringt den gemeinsamen Sohn zur Welt. „Damals hätte ich nicht erwartet, dass ich zwei Jahre später wieder in Berlin sein würde.“

Dann kommt die Anfrage, ob sie sich vorstellen könne, die Leitung der Liebermann-Villa zu übernehmen. „Für uns war das eine große, aber gute Entscheidung. Wir haben versucht, alles einzuplanen. Aber Corona konnten wir nun einmal nicht vorhersehen“, lacht sie. So gar nicht bitter. Dabei war die Situation alles andere als lustig: Nur wenige Tage nachdem Wasensteiner ihre Stelle angetreten hat, beginnt die Pandemie, der erste Lockdown. Die Liebermann-Villa muss für knapp zwei Monate schließen, die zehn Mitarbeiter gehen ins Homeoffice, die 120 Ehrenamtlichen verharren in Warteposition. Ins Nichts hinein bereitet Wasensteiner mit ihrem Team die für den Oktober geplante Ausstellung „Wir feiern Liebermann!“ vor, denn 2020 war eigentlich gleich als doppeltes Jubiläumsjahr gedacht: Vor 100 Jahren begann Max Liebermanns Amtszeit als Präsident der Akademie der Künste in Berlin, und vor 25 Jahren wurde die Max-Liebermann-Gesellschaft in Berlin gegründet, um sein künstlerisches Vermächtnis in Deutschland zu sichern. Außerdem war die neue Direktorin gleich mit großen Plänen gestartet: Eine Ausstellung über die Fotografin Gerty Simon wollte sie auf die Beine stellen, außerdem plante sie, das Museum einem internationaleren Publikum zu öffnen, intensiver zu forschen und auch mehr jungen Menschen die Kunst zugänglich zu machen.

Lucy Wasensteiner hält an diesen Plänen fest. „Am 11. Mai 2020 konnten wir wieder öffnen. Natürlich mit strengem Hygienekonzept. Über den Sommer lief es sehr gut, wir konnten viele Veranstaltungen im Garten machen, denn die Liebermann-Villa bekommt nach wie vor keine staatliche Grundförderung. Wir leben tatsächlich von unserem Eintritt plus unseren Mitgliedsbeiträgen und Projektförderungen für bestimmte Ausstellungen. Also riefen wir eine Spendenaktion ins Leben, die wunderbar funktioniert hat und bei der wir spürten, wie stark die Community hinter der Villa ist.“ Auch die Ausstellung „Wir feiern Liebermann!“ begann wie geplant – „eine kleine, feine Retrospektive des Künstlers mit einer Auswahl an Themen, die für unser Haus besonders relevant sind. Wannseebilder, Selbstbildnisse, Familienbildnisse, ein Raum für Berlin mit Darstellungen des Tiergartens, des Berliner Ateliers und Porträts aus der Berliner Gesellschaft.“ Wegen des zweiten Lockdowns wurde sie extra verlängert.

Für 2021 hofft Wasensteiner auf mehr Normalität und eine Ausstellung, die Alt und Jung und Menschen aus aller Welt begeistert. „Jetzt ist es vor allem wichtig, dass wir dieses Virus stoppen. Und in der Zwischenzeit versuchen, mit unserem Publikum in Kontakt zu bleiben und bereit zu sein, jederzeit wieder zu öffnen. Wenn wir dann öffnen, wollen wir ein wirklich gutes Angebot schaffen – und genau das werden wir haben!“


Dr. Lucy Wasensteiner, Foto: Max-Liebermann-Gesellschaft

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 33. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

Diesen Artikel empfehlen