Oliver Mackprang

Nachhaltig Meilen machen

Das Carsharing-Start-up Miles setzt sich erfolgreich gegen die Konkurrenz der Konzerne durch. Für Geschäftsführer Oliver Mackprang ist die Alternative zum eigenen Auto längst noch nicht ausgereizt.

FABELWESEN ODER VERKEHRSREVOLUTIONÄR, darunter machen es die Medien nicht, wenn sie über den Berliner Carsharing-Anbieter Miles berichten. Nicht ohne Grund: Während sich die Autobauer BMW, Mercedes oder Volkswagen in dem Markt allesamt schwertaten, mauserte sich Miles zum größten konzernunabhängigen Anbieter Deutschlands, inklusive einer schwarzen Null in der Bilanz. Das Erfolgsimage polierte Miles im November weiter auf, als das Unternehmen den Konkurrenten WeShare von einer Volkswagen-Tochter übernahm. Ein Start-up schlägt den größten Autobauer Europas – kein Wunder, dass Miles-Geschäftsführer Oliver Mackprang von der Mobilitätsbranche schwärmt. Sie sei für ihn essenziell: „Mobilität ist ein unglaublich großer Indikator für die Gleichstellung in der Gesellschaft. Der Zugang zu bezahlbarer, flexibler, sicherer und nachhaltiger Mobilität ist enorm wichtig“, sagt Mackprang in der Miles-Zentrale in Berlin-Charlottenburg, um die Ecke des Ku’damms.

DER CHEF TRÄGT EINEN GRAUEN ROLLKRAGENPULLOVER, ein Kickertisch steht vor dem Besprechungsraum. Doch das Start-up-Klischee bricht Mackprang gleich wieder, wenn er erzählt, dass an dem Kicker, den er 2019 als CEO mitbrachte, eigentlich nie jemand spiele. Ähnlich ergehe es der Tischtennisplatte von Co-Unternehmensgründer Alexander Eitner. Das Miles-Geschäft sei doch recht bodenständig, sagt Mackprang. Denn die Digitalisierung und die Allgegenwart des Mobiltelefons, quasi die Grundzutaten der Start-up-Szene, schufen zwar radikal neue Möglichkeiten für das Carsharing. Doch Miles legt Wert darauf, fast alles rund ums Geschäft in der eigenen Hand zu behalten. „Wir bezeichnen uns eher als Mittelständler“, so der Chef. Unter den etwa 400 Mitarbeitern sind in vier bundesweit verteilten Werkstätten Kfz-Mechaniker, Lackiererinnen, Reinigungskräfte am Werk. Das Callcenter liegt zwei Stockwerke über den Besprechungsräumen, ist nicht ausgelagert. So verstehe man die eigenen Dienstleistungen besser, definiere deren Qualität, und es gebe auch keine Reibungsverluste mit externen Anbietern, sagt Mackprang. „Wir sind kein Automobilhersteller mit Mobilitätsableger, sondern kümmern uns sehr puristisch um unser Kerngeschäft.“

VOM STRASSENRAND WEG, FLEXIBEL, OHNE VORANMELDUNG lassen sich seit 2016 die schwarzen Polos, Audis oder inzwischen auch Teslas sowie die silbernen VW- und Mercedes-Transporter mit dem Miles-Schriftzug mieten. Free-Floating nennt sich das auf Neudeutsch. Es gibt keine festen Stationen, die App zeigt an, wo gerade ein freies Auto steht. Mit dem Mobiltelefon lässt sich das Fahrzeug dann auch öffnen. Am Ziel innerhalb des Geschäftsgebiets wird der Wagen einfach wieder abgestellt, ohne Parkticket, auch Tanken oder Laden sind inklusive. Mittlerweile ist Miles in Berlin, Hamburg, München, Köln und vier weiteren deutschen Städten zu finden, außerdem in Gent und Brüssel in Belgien. Und das Angebot soll weiter wachsen, nicht erst seit der WeShare-Übernahme, die den Miles-Fuhrpark um 2000 vollelektrische Wagen erweiterte. Mehr als 12 000 Fahrzeuge tragen jetzt den Miles-Schriftzug. Der Name Miles ist das Konzept: Dieser Carsharing- Anbieter rechnet nach Kilometern ab, nicht nach Zeit. Knapp einen Euro kostet der Kilometer im Pkw. Abends auf der leeren Stadtautobahn dürfte dies die teurere Variante sein. Wer dagegen im Berufsverkehr steckt und im Stau mit den Fingern aufs Lenkrad trommelt, muss sich nicht auch noch darüber ärgern, dass mit jeder Minute das Auto teurer wird.

„WIR BIETEN BERECHENBARKEIT, EINFACHHEIT UND VERLÄSSLICHKEIT bei größtmöglicher Flexibilität“, erklärt Mackprang. Wer eine bestimmte Strecke fahren will, kennt die Kosten bei Miles schon vorher. „Wir haben keine dynamischen Preise. Das verstehen wir unter einem fairen Angebot“, so der CEO. Bei Miles gibt es aber auch Stunden- oder Tagestarife und seit Kurzem zudem ein Auto-Abo für zwei Monate bis zwei Jahre: für Lebensphasen, in denen dann doch ein „eigenes“ Auto vonnöten ist. Die einmonatige Kündigungsfrist erleichtert wiederum den schnellen Ausstieg. In allem stecke als Kern die Nachhaltigkeitsidee des Carsharings, betont Oliver Mackprang: „Wir wollen, dass weniger Autos auf der Straße fahren und der Verkehr insgesamt entlastet wird.“ Neben einer besseren Umweltbilanz hat Carsharing auch ökonomisch einen Vorteil, stehen doch Privat-Pkw bei vollen Kosten die meiste Zeit des Tages ungenutzt herum. Der 1987 im kanadischen Montreal geborene Mackprang redet aber auch die Vorteile des eigenen Autos nicht klein: „Natürlich bietet es Privatsphäre, dient als Verlängerung des eigenen Wohnzimmers.“

CARSHARING SIEHT MACKPRANG DAHER ALS „ABSPRUNGBASIS“ für eine nachhaltigere Mobilität, die nichts mit Verzicht zu tun habe. Die Megathemen Umwelt- und Klimaschutz sowie mit Pkw überfüllte Städte kann längst niemand mehr ignorieren. „Wenn ich mich darauf verlassen kann, in der Nähe ein Auto zu bekommen, wenn ich eins benötige, dann ist das preiswerter, flexibler, praktischer und damit auch komfortabel und umweltfreundlicher“, erläutert der Manager. Muss ein Schrank aus dem Haus, ist auch ein Transporter nur einen Klick entfernt. Um Versicherungen, Finanzierung, Winterreifen oder das Durchsaugen kümmert sich Miles. Auch während der Coronapandemie standen die Miles-Autos weiter auf der Straße, obwohl die Lockdowns existenzbedrohend waren. „Uns war es wichtig, auch in der Krise präsent zu bleiben und zu zeigen, dass alternative Mobilität funktioniert“, so Mackprang. Er entschied sich sogar dafür, das Angebot auszubauen. Mit Erfolg. „Wir hatten schon immer schlanke Strukturen und haben Profitabilität in den Vordergrund gestellt“, sagt der CEO.

WEIL DAS MILES-KONZEPT BEI PRIVATKUNDEN SO GUT ANKOMMT, machen Oliver Mackprang und sein Team nun den nächsten Schritt. „Wir arbeiten derzeit am B2B-Carsharing-Produkt und sind bereits in der Pilotphase“, sagt der Manager. Darüber hinaus könnten inzwischen auch Unternehmen das Abo-Modell nutzen und damit den eigenen Fuhrpark entlasten.

„MEIN HERZ SCHLUG IMMER FÜR MOBILITÄT“, erklärt Mackprang lächelnd seinen Weg zu Miles. Schon als Kind habe er Autos toll gefunden. „Wenn ich heute einen Porsche sehe, denke ich mir, dass der schön gemacht ist. Aber“, schiebt er hinterher, „Autos sind für mich kein Statussymbol.“ Ein eigenes besitzt er nicht, die anderthalb Kilometer ins Büro geht er meistens zu Fuß. Wie es sich am geschicktesten organisieren lässt, wenn man doch ein Auto benötigt, probierte Mackprang nach dem BWL-Studium mit einem eigenen Start-up Carjump aus. Die App bündelt verschiedene Carsharing-Anbieter, inzwischen gehört sie zum Autokonzern Stellantis. Schon zu jener Zeit lernte er Miles-Mitgründer Eitner kennen, ebenso den Miles-Hauptinvestor Lukasz Gadowski, Mitgründer der T-Shirt-Druckerei Spreadshirt und des Lieferdienstes Delivery Hero. Bevor sie bei Miles zusammenfanden, arbeitete Oliver Mackprang für die VW-Tochter Moia in Hamburg. Die ausschließlich elektrisch motorisierten Sammeltaxis bringen ihre Fahrgäste nicht auf dem kürzesten Weg, dafür aber zu günstigen Tarifen von A nach B. Doch Moia und der Konzern waren nicht das Richtige, die Start-up-Szene reizte ihn mehr, um „Dinge neu zu machen, schnell auszuprobieren“.

GANZ SO SCHNELL WIE ERHOFFT kommt das Carsharing aber nicht überall voran. Unzufrieden ist der Miles-Chef darüber, wie die Politik mit dem Sharing-Modell umgeht. Mit Abwrackprämien oder Fördergeldern werde die Anschaffung neuer Fahrzeuge begünstigt, der Umstieg aufs Sharing dagegen nicht. In Berlin seien nach wie vor Anwohnerparkplätze für Privat-Pkw extrem günstig, während Carsharing- Anbieter mit Gebühren kräftig abkassiert würden. Eine echte Mobilitätswende brauche einen breiteren Blickwinkel, sagt Oliver Mackprang: „Wir können nicht alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen. Nur Carsharing allein funktioniert auch nicht. Es braucht den richtigen Mix aus Radwegen, ÖPNV, E-Scootern und mehr, um das eigene Auto zu ersetzen.“

ER WÜNSCHE SICH, „dass wir in fünf bis zehn Jahren nicht mehr diskutieren müssen, ob Carsharing auch für kleine Städte nachhaltig und machbar ist“, sagt der Miles-Geschäftsführer. Denn so viel steht fest: Mit weit über 40 Millionen privat zugelassenen Pkw besitzt Deutschland mehr als genügend Potenzial für eine Verkehrsrevolution.

Text: Marcus Müller
Foto: Paulina Hildesheim
Datum: März 2023

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