Netzwerk für Berlin

Netzwerk für Berlin


Ulrich Misgeld ist ehemaliger Manager, aktiver Marathonläufer – und Visionär. Das von ihm gemeinsam mit mittelständischen Firmen initiierte UnternehmensNetzwerk Motzener Straße in Marienfelde leistet einen wichtigen Beitrag zur ökologischen und ökonomischen Entwicklung Berlins.

Ulrich Misgeld ist ehemaliger Manager, aktiver Marathonläufer – und Visionär. Das von ihm gemeinsam mit mittelständischen Firmen initiierte UnternehmensNetzwerk Motzener Straße in Marienfelde leistet einen wichtigen Beitrag zur ökologischen und ökonomischen Entwicklung Berlins.

Text: Christoph Horn, Foto: Doro Zinn

Laufen sei seine Leidenschaft, sagt Ulrich Misgeld. Im vergangenen Jahr lief er den Berlin Marathon zum 26. Mal, insgesamt waren es bisher 54 rund um den Globus. Boston, New York, Paris – alles sehr beeindruckend, aber seine Lieblingsstrecke sei der Two Oceans Marathon in Kapstadt: „Wunderschön“, sagt Misgeld und schmunzelt, „hat aber leider den Haken, dass sie 56 Kilometer lang ist.“ Als ob ihn das jemals hätte stoppen können. Es sind genau die Haken – auch bei seinem Engagement für das UnternehmensNetzwerk Motzener Straße –, die Ulrich Misgeld immer wieder zu innovativen Lösungen führen. Hartnäckig sein, ein Ziel verfolgen, einen langen Atem haben und durchhalten: Was für den Sportler Misgeld gilt, besitzt auch für den Initiator des ersten Netzwerks seiner Art in der Spreemetropole Gültigkeit.

Dass er sich so intensiv mit dem Industriegebiet in Marienfelde im Bezirk Tempelhof-Schöneberg befasst, hat seinen Ursprung in der Entscheidung, beruflich noch mal komplett neu durchzustarten. Nach 32 Jahren in der Finanzdienstleistungsbranche – Misgeld hat Karriere bei der Deutschen Bank gemacht und ist bis zu seinem Wechsel in die Privatwirtschaft Mitglied des Vorstandes der Berliner Volksbank eG – geht er im Jahr 2000 als Vorstand für Finanzen, IT und Personal zur Semperlux AG (heute Selux). Das international tätige Unternehmen, Marktführer für Beleuchtungskonzepte im öffentlichen Raum, ist in der Motzener Straße angesiedelt. Misgelds Schreibtisch steht dort bis zu seiner Verabschiedung in den vermeintlichen Ruhestand im Jahr 2015.

Er habe sich seit Beginn seiner Laufbahn mit dem Mittelstand beschäftigt: „Ich war immer im Kredit- und Firmenkundengeschäft tätig, sodass mir Denken und Handeln mittelständischer Unternehmer eigentlich ganz gut vertraut waren“, sagt Ulrich Misgeld. Ein fünfjähriges berufsbegleitendes Studium der Betriebswissenschaft festigte sein Interesse an Industrie und Unternehmertum. „Ich habe es als Glücksfall betrachtet, in der Mitte des Lebens die Möglichkeit zu bekommen, etwas ganz Neues zu machen“, sagt er, „es war eine tolle Zeit.“

Toll auch deshalb, weil er schnell erkennt, dass er nicht nur als Selux-Vorstand Dinge bewegen kann, sondern übergreifend, für das gesamte Industriegebiet. 2005 initiiert Misgeld den Verein UnternehmensNetzwerk Motzener Straße und wird dessen Vorstandsvorsitzender. Aus einem lockeren Forum zum Austausch entwickelt sich schnell ein Zusammenschluss von Unternehmen, die sich vertrauensvoll und zielgerichtet für die Weiterentwicklung des Standorts und seine Wettbewerbsfähigkeit einsetzen. „Wir haben dort an die 200 Firmen mit rund 5000 Beschäftigten, darunter mehrere mittelständische Familienunternehmen“, sagt Ulrich Misgeld. Der technische Standard sei hoch, viele Firmen verfolgten eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Dennoch sei es für Unternehmen dieser Größe schwer, interdisziplinär zu agieren: „Kooperationen etwa mit Hochschulen sind für den Einzelnen so gut wie unmöglich. Das Netzwerk dagegen ist für Universitäten ein interessanter Partner, das haben wir schon mehrfach festgestellt.“

Der Aufbau einer Kindertagesstätte ist das erste gemeinsame Projekt, dann richtet sich der Fokus auf die Themen Energie, Nachhaltigkeit und Logistik – sie bestimmen bis heute die Agenda der monatlichen Treffen und der Aktivitäten wie den gemeinsamen Einkauf von Öl und Strom. „Als 2009 die Klimakonferenz in Kopenhagen scheiterte, haben wir uns gesagt, Energiekosten sparen allein reicht nicht, wir müssen den Energieverbrauch verringern“, erinnert sich Misgeld an die „Initialzündung“ für nachhaltiges Handeln. Inzwischen kooperiert das Netzwerk mit einem Beratungsunternehmen für Energieeffizienz, das die einzelnen Firmen bei der Optimierung ihrer Abläufe unterstützt. Weitere Projekte der Initiative sind der Ausbau von Fotovoltaikanlagen, die energetische Sanierung von Gebäuden und eine ökologische Grünflächengestaltung. Auch die Errichtung von E-Tankstellen und die Regenwassernutzung zählen zum Nachhaltigkeitsprogramm in der Motzener Straße.

Es sind Aktivitäten wie diese, die dem Verein in der Metropolregion Berlin-Brandenburg viel öffentliche Aufmerksamkeit beschert haben. Inzwischen hat das UnternehmensNetzwerk auch darüber hinaus Bekanntheit erlangt. Grund hierfür ist die zukunftsorientierte Initiative „NEMo – Null Emission Motzener Straße“. Das im bundesweiten Innovationswettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnete Projekt verbindet Standortqualität und -zukunftsfähigkeit mit den Anforderungen der Unternehmen – und ihrer Mitarbeiter – an ein modernes Arbeitsumfeld. „Mit unseren Energie- und Ressourceneinsparungen sind wir beispielgebend für ein Industriegebiet“, sagt Ulrich Misgeld, „die Firmen sparen inzwischen bis zu 90 Prozent CO2 ein, einige stehen kurz davor, ihren gesamten Energiebedarf über Solartechnik und erneuerbare Energien zu decken.“ Um den positiven Prozess sichtbar zu machen, hat die Initiative das „grüne Kraftwerk“ konzipiert. Die Website des UnternehmensNetzwerks wird ab Mitte 2022 die im Industriegebiet erzeugte erneuerbare Energie und umweltgerecht produzierte Wärme in Echtzeit visualisieren. Der Berliner Senat fördert das Projekt mit Sensoren, die zunächst in sechs, später in 15 Betrieben an den Erzeugungsanlagen angebracht werden und die Daten liefern.

Auch was die Logistik anbetrifft, gibt es im UnternehmensNetzwerk Motzener Straße klare Vorstellungen: „Die letzte Verkehrszählung hat ergeben, dass hier täglich bis zu 800 Lkw unterwegs sind. Die verstopfen nicht nur die Straßen, sondern können schnell die Sicherheit gefährden, wenn die Feuerwehr nicht mehr durchkommt“, beschreibt Misgeld das aktuelle Szenario. Und hat schon die Lösung parat: eine Kooperation mit dem Güterverkehrszentrum Großbeeren. „Eine von Berlin und Brandenburg finanzierte Machbarkeitsstudie hat ergeben, dass es auch unter wirtschaftlichen Aspekten sehr sinnvoll wäre. Wir haben vor, in diesem Jahr mit einem Piloten zu starten.“ Was bedeuten würde, dass die Güter in Großbeeren zwischengelagert und mit Elektro-Lkw zu festen Zeiten ausgeliefert werden. Auf diese Weise, sagt Misgeld, lasse sich die Anzahl der Lkw im Industriegebiet um die Hälfte verringern. Eine weitere Verkehrsreduktion sei im Rahmen des Bauprojekts „Dresdner Bahn“ durch den angestrebten Regionalbahnhalt in der Buckower Chaussee mit Anbindung an den BER-Express zu erzielen. Die Aufnahme in den Nahverkehrsplan des Landes Berlin sei „ein wichtiger Impuls für die überregionale Anbindung des Standorts“.

Seit mehr als 15 Jahren engagiert sich Ulrich Misgeld für „sein“ UnternehmensNetzwerk. Und bringt nicht nur das Gewerbegebiet in Marienfelde durch Innovationsschübe nach vorn, sondern hat die Blaupause für ein erfolgreiches ökologisches und ökonomisches Miteinander geschaffen: Inzwischen arbeiten weitere 15 Unternehmensnetzwerke in Berlin nach diesem Vorbild. Dass Misgeld sie alle miteinander vernetzt und nach Synergien sucht, versteht sich fast von selbst. Er habe einfach Spaß daran, ständig Neues zu machen, sagt er mit einem Schmunzeln. Dazu zählt, industrielle Start-ups auf dem Gelände anzusiedeln, den Senat vom Aufbau eines ökologischen Bildungszentrums zu überzeugen und Nachwuchsarbeit zu betreiben. Bereits in den Neunzigern initiierte er das an Studierende adressierte Existenzgründer-Institut. Die von Misgeld 2010 gegründete APRIL Stiftung zur Förderung des unternehmerischen Denkens übernahm die Aufgaben des Instituts und fördert bis heute die Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen.

Ihm selbst, sagt Misgeld, hätten die Zusammenarbeit und der Austausch mit Unternehmerinnen und Unternehmern immer wieder wertvolle Impulse gegeben. Deshalb plädiere er dafür, sich mehr mit den Chancen des Unternehmertums auseinanderzusetzen – und mit der Bedeutung von Unternehmen für die Volkswirtschaft. Gerade Berlin sei von kleinen und mittleren Firmen wie denen im UnternehmensNetzwerk Motzener Straße geprägt. Dass ihm irgendwann einmal die Ideen für die Zukunftssicherung des Standorts ausgehen, glaubt er nicht. Genauso wenig wie der Spaß am Laufen. Auf seiner Lieblingsstrecke durch den Grunewald zum Teufelsberg trainiert Ulrich Misgeld für den nächsten Marathon. Es wird sein 55. und bestimmt nicht der letzte.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 36. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

Diesen Artikel empfehlen