Spieglein, Spieglein an der Wand

… wer ist die schönste Start-up-Metropole in Euroland? Noch kann Berlin sich rühmen, unangefochten auf Platz 1 im Ranking für Gründerinnen und Gründer zu liegen. Doch könnte es hinter den sieben Bergen andere Städte geben, die noch schöner sind und den Start-ups noch bessere Rahmenbedingungen bieten?

DIE FETTEN JAHRE scheinen im Moment vorbei zu sein. Während in den Jahren 2020 und 2021 Rekordsummen in Start-ups investiert wurden, ist die Zahl an Gründungen 2022 um 18 Prozent eingebrochen. Wirtschaftliche Unsicherheiten, niedrige Bewertungen und fehlendes Venture-Capital drücken auf die Gründungsaktivität. Davon betroffen ist insbesondere Berlin mit minus 29 Prozent. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY konnten Start-ups in der Hauptstadt nur noch 4,9 Milliarden Euro Risikokapital einsammeln – weniger als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr.

Muss Berlin um seinen Rang als Zentrum der Start-up-Wirtschaft fürchten? Wie muss die Hauptstadt sich aufstellen, damit andere Städte wie Lissabon und Co. Berlin nicht den inoffiziellen Titel „Start-up City of Europe“ wegnehmen? Was muss sich konkret im Start-up-Ökosystem ändern?

FINANZIERUNGSMÖGLICHKEITEN DRINGEND GESUCHT
Start-ups stehen für die Digitalwirtschaft und stellen einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. In Berlin sind 120 000 Menschen in diesem Bereich beschäftigt. Es liegt also im Interesse der Stadt, den Standort so attraktiv wie möglich zu halten. Umso mehr sollte es zu denken geben, dass manche Start-ups wohl schon den Schritt ins Ausland erwägen, wo es bessere Finanzierungs- und bessere Exitmöglichkeiten gibt. Einer Studie der KfW-Bank zufolge waren diese Chancen sowie der Wunsch nach mehr Investoren die drei häufigsten Gründe für eine Verlagerung des Firmensitzes.

Weitere wichtige Faktoren sind der Zugang zu internationalen Märkten und das technologische Umfeld. Weniger entscheidend seien laut KfW hingegen die Themen Mitarbeitergewinnung, Fachkräftemangel oder die strenge Regulatorik im Bereich Datenschutz. Eine Stadt, die hier mit Berlin konkurriert, ist Paris. Präsident Emmanuel Macron hat die finanzielle Unterstützung und den Abbau von Bürokratie zur Chefsache gemacht. Ein Schritt, der sich wortwörtlich auszuzahlen beginnt.

DER WETTBEWERB UNTER DEN STÄDTEN IST IN VOLLEM GANGE
Im „Startup Heatmap Report 2022“ landete Berlin zwar erneut auf Platz 1, verlor jedoch in der prozentualen Bewertung an Zustimmung. Gleichzeitig konnten andere Städte Plätze gutmachen, allen voran Tallinn, Lissabon und Madrid. Was macht diese Metropolen so attraktiv, dass sie an Zuspruch gewinnen? 

Bei der estnischen Hauptstadt dürfte die komplett digitalisierte Verwaltung ein wichtiger Grund sein: Das baut bürokratische Hürden ab. Zudem locken Steuervorteile. Portugal punktet mit einem ausgezeichneten Bildungssystem und bietet dementsprechend einen Talentpool zu wettbewerbsfähigen Preisen. Und in Spanien greift seit Ende 2022 ein neues Gesetz zur Förderung des Ökosystems von Start-ups, das die bürokratischen Anforderungen bei der Gründung reduziert, ein Visum für remote Arbeitende sowie steuerliche Vorteile bietet. Davon dürften insbesondere Barcelona und Madrid profitieren.

In der Regel gibt es eben nicht nur den einen Grund, warum ein Standort sich besonders zum Gründen eignet. Das zeigt das Beispiel Wien, das zwar Bestnoten bezüglich der Lebensqualität erhielt, aber dennoch abgeschlagen auf Platz 15 landete. Insbesondere der fehlende Talentpool wurde in der Umfrage bemängelt. Das zeigt: Es kommt auf das Gesamtpaket an.

DIE POLITIK HAT DEN HANDLUNGSBEDARF ERKANNT
Auch die Landesregierung von Berlin hat die Zeichen der Zeit erkannt und beispielsweise den „Masterplan Industriestadt Berlin 2022–26“ oder die „Startup Agenda 2026“ erstellt, mit denen neue Impulse und Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Allen voran die Förderung sogenannter Impact-Start-ups, deren Ziel nicht allein Wachstum, sondern Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit sind. Daneben sollen der Fachkräftemangel bekämpft, Bürokratie abgebaut, für Offenheit geworben und Kooperationen gefördert werden. Konkrete Ziele werden jedoch nicht festgelegt. So bleibt abzuwarten, ob die Anstrengungen der Politik genügen.

Lissabon

Tallinn

NEUE WACHSTUMSFELDER, DIE FÜR BERLIN RELEVANT WERDEN
Bei den Branchen, die trotz der schwierigen konjunkturellen Lage in den vergangenen Monaten gewachsen sind, liegen laut „Startup Report“ von Berlin Partner die Segmente Unternehmenssoftware, Fintech und Health an der Spitze. Auch im Bereich Umwelttechnologien gab es demnach mit einem Plus von 15 Prozent mehr Gründungen.

Ein bislang noch nicht ausreichend erschlossenes Wachstumsfeld stellt die 3-D-Drucktechnik dar, die laut „Masterplan Industriestadt Berlin“ mit 13,5 Millionen Euro aus der Innovationsförderung bedacht wird. Die additive Fertigung wird beispielsweise im Bereich der Medizintechnik und im Gesundheitswesen eingesetzt, um passgenaue Implantate, Orthesen oder Prothesen zu fertigen. Künftig sollen auch Organe aus menschlichem Gewebe gedruckt werden können. Im Prinzip ist das Verfahren in zahlreichen weiteren Industrien einsetzbar, angefangen bei der industriellen Fertigung über die Lebensmittelindustrie bis hin zur Konsumgüterindustrie.

Spätestens seitdem der Chat-Bot ChatGPT von OpenAI der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, ist allen bewusst, welch enormes Potenzial in künstlicher Intelligenz steckt. Ähnliches gilt für andere boomende Sektoren wie den Fintech-Bereich, Digital Health Care oder E-Commerce, die Milliardenmärkte adressieren.

WAS HABEN ANDERE, WAS BERLIN NICHT HAT?
Der Zugang zu Kapital ist ein zentraler Aspekt für die Gründungsaktivität einer Stadt. Was aber macht andere Städte darüber hinaus attraktiver als Berlin? Bezahlbare Mieten und günstige Lebenshaltungskosten waren lange Zeit wichtige Argumente, die Menschen nach Berlin zogen. Andere Länder wie Portugal und Frankreich versuchen inzwischen einen Standortvorteil zu erlangen, indem sie gezielt mit Vergünstigungen wie steuerlichen Erleichterungen um Start-ups werben.

Insbesondere im Start-up-Umfeld zählt außerdem die Verfügbarkeit von Fachkräften wie Entwicklerinnen. Was Berlin bislang auszeichnete, waren die Vernetzungsmöglichkeiten, die Vielzahl an Start-up-Communitys und Innovationsnetzwerken. Der Erhalt und Ausbau des Start-up-Ökosystems ist auch für die Zukunft des Standorts von entscheidender Bedeutung. Zentral bleiben weiterhin der Abbau der Bürokratie, die Digitalisierung der Verwaltung und die Erleichterung von Einstellungsverfahren bei Rekrutierungen aus dem Ausland. Vergessen werden darf auch nicht die Notwendigkeit geeigneter Büro- und Gewerbeflächen.

Nicht zuletzt ist die Start-up-Szene in den vergangenen Jahren erwachsener geworden. Umso wichtiger werden die Verzahnung in der Region, der Technologietransfer mit dem Mittelstand und der Anschluss an internationale Märkte.

WORAUF ES IN ZUKUNFT ANKOMMT
Kaum eine andere Stadt steht so für Wandel wie Berlin. Seine bewegte Geschichte ist voll von Beispielen, wie sich die Stadt immer wieder neu erfand. Dabei sind die Folgen von Pandemie und Krieg nur das eine. Auch wenn die aktuelle Wirtschaftslage sich insbesondere im Start-up-Umfeld bemerkbar macht, dürfte es sich um eine vorübergehende Einschränkung handeln. Doch angesichts der viel beschworenen Zeitwende und der Auswirkungen des demografischen Wandels besteht massiver Handlungsbedarf. Um weiterhin als Zentrum der Startup-Wirtschaft zu gelten, darf Berlin sich nicht auf dem Erreichten ausruhen. Die Welt könnte nach dem Erwachen aus einem Dornröschenschlaf eine ganz andere sein.

Text: Christian Schön
Fotos: © Karsten Döring,  Alessandro Bove / Alamy Stock Foto, MKstudio / Shutterstock
Datum: März 2023

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