Spielend arbeiten

Spielend arbeiten


Der Boom der Start-up-Unternehmen revolutioniert nicht nur traditionelle Geschäftsmodelle. Rasant verändert er auch die Ästhetik des Arbeitsplatzes im digitalen Zeitalter. Ein Streifzug durch die neue Arbeitswelt Berlins.

Der Boom der Start-up-Unternehmen revolutioniert nicht nur traditionelle Geschäftsmodelle. Rasant verändert er auch die Ästhetik des Arbeitsplatzes im digitalen Zeitalter. Ein Streifzug durch die neue Arbeitswelt Berlins.

Text: Lutz Ehrlich, Foto: google

Graue Normbüros mit Neobeleuchtung waren gestern. Heute ist der Arbeitsort kein Zimmer mehr, sondern bestenfalls eine Landschaft: Große, lichtdurchflutete Etagen mit Wohlfühlcharakter sollen die Kreativität der Mitarbeiter beflügeln. Der Wettlauf um das coolste Büro der Stadt hat auch in Berlin längst begonnen. Denn weltweit gesuchte Spitzenkräfte gewinnt man heute nur noch für sein Unternehmen, wenn der Arbeitsplatz so behaglich ist wie das eigene Zuhause, mindestens. Arbeit oder Spiel? Bei den Pionieren der neuen Bürokultur ist diese Frage nicht immer ganz einfach zu beantworten. Die Mitarbeiter im Berliner Twitter­Büro kann man beispielsweise am Kicker statt am Schreibtisch antreffen. Ein Tischfußballspiel gehört längst zum Standard jedes besseren Start­up­Büros, mittlerweile kommt es auf die feinen Unterschiede an, mit denen die Firmen gute Leute erst gewinnen und dann halten wollen. So twittert der Kicker des Kurznachrichtendienstes automatisch das Ergebnis, wenn das Spiel vorbei ist.

Echte Fußballtore für den Kick zwischendurch

Es darf aber auch eine Nummer größer sein: Bei Onefootball stehen drei richtige Fußballtore auf den Fluren, um den Denkpausen zwischendurch den richtigen Kick zu verpassen. Beim Marktführer für Fußball­Apps mit Sitz in der Greifswalder Straße versorgen 60 Mitarbeiter mehr als 20 Millionen Fans in aller Welt mit News rund um Fußball. Dass die schönste Nebensache der Welt hier die Hauptrolle spielt, daran lässt das Design des Büros keinen Zweifel. Die Garderobenwand besteht aus der Nachbildung einer Fußballkabine, auf dem Fußboden liegt grüner Kunstrasen, die Wände sind mit Trikots und Schals diverser Fußballklubs dekoriert. Eine Arena in Tribünenform wird von den Mitarbeitern nicht nur für Meetings benutzt, hier schauen sie sich auch gemeinsam Fußballspiele an. Die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit sind in diesem Office so fließend wie die weißen Linien auf dem Kunstrasenboden. Fußballbegeisterung ist bei Onefootball Einstellungsvoraussetzung.

Ein Hauch von Silicon Valley für Berlin

„Love where you work“ heißt das Motto bei Twitter, und dafür wurden im Anfang dieses Jahres bezogenen Büro keine Mühen gescheut. Neben Gimmicks wie einer digitalen Jukebox, die nach einer Twitter-Eingabe die Lieblingssongs der Mitarbeiter abspielt, setzt der Kurznachrichtenkonzern auf eine gediegene Atmosphäre: Sitzgruppen in skandinavisch klarem Design vor unverputzten Backsteinwänden mit Historie. Eine Wand war einmal Bestandteil der Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Lage, Lage, Lage – da zählt auch die passende Umgebung. Die Standortwahl von Twitter im Start­up­Campus Factory im Bezirk Mitte ist eine erste Adresse. Das aufwendig sanierte Gebäude einer ehemaligen Brauerei gilt als Vorzeigeobjekt der Start­up­Szene der Hauptstadt. Mit einer Mischung aus Coworking­Spaces und renommierten Start­up­Firmen wie Uber und SoundCloud soll auf dem ehemaligen Mauerstreifen ein Hauch von Silicon Valley in Berlin wehen. Die neuen Firmenzentralen der Technikriesen in Kalifornien ähneln längst gigantischen Freizeitparks, in denen die Mitarbeiter unter anderem mit Sterneküche und Massagesalons verwöhnt werden. Eigentlich müssen sie das Gelände gar nicht mehr verlassen.

Zum Latte macchiato ein Panoramablick

Die Berliner Factory rüstet im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach: In einem geplanten gläsernen Anbau laden nach der Fertigstellung ein Fitnessklub und ein Café zur Entspannung für die Netzwerker ein. Bei der Schlacht der Arbeitgeber um die besten jungen Talente genießt das körperliche Wohlergehen höchste Priorität. Hightech­Kaffeeautomaten, eine breite Getränkeauswahl und Gratissnacks gelten als selbstverständlich, die Kantinenbereiche in der neuen Arbeitswelt bilden den kommunikativen Mittelpunkt, in dem sich die Mitarbeiter treffen – gerade so wie früher in der Küche einer Wohngemeinschaft. In der „Breakout Area“ im Facebook­Büro, einer Pausenecke mit bunten Cocktailsesseln, kann man zum Latte macchiato den Panoramablick aus dem Sony Center auf den Tiergarten genießen.

Rundumversorgung und Feierabendbier

„Build social value“ – schaffe gesellschaftlichen Nutzen – steht auf bunten Plakaten an den Wänden. Für die Mitarbeiter gibt es Rundumversorgung: vom Kantinenbesuch bis zum Fitnessklub, alles gratis. Sie können sich außerdem am hauseigenen „Späti“ versorgen, sollte es doch mal länger dauern im Büro. Eine Aufforderung zur Selbstausbeutung? Keinesfalls, lautet die Antwort darauf bei Wooga in der Backfabrik in Prenzlauer Berg. Auf drei Etagen entwickeln 300 Mitarbeiter aus über 50 Ländern Onlinespiele für Mobiltelefone. Anstatt repräsentativ geht es bei ihnen eher lässig zu, das Ambiente mit viel Holz und grellen Farbtönen ist so bunt zusammengewürfelt wie die Belegschaft. In der großen Küche ist im Kühlschrank sogar das Feierabendbier kalt gestellt. Doch es kommt nur selten vor, dass die Mitarbeiter länger als bis 19 Uhr im Büro bleiben.

Feelgood-Management hilft neuen Mitarbeitern

Spieleentwickeln ist Teamarbeit, deshalb steht bei Wooga das Teambuilding während der Kernarbeitszeit im Vordergrund. Die beeindruckende Auswahl von Müslisorten zum Frühstück ist dabei nur ein Nebenaspekt. Vielmehr geht es um die Unterstützung der neuen Mitarbeiter aus fernen Ländern beim Ankommen in Berlin. Von der Visumbeschaffung über die Wohnungssuche bis zum Deutschunterricht – das sogenannte Feelgood­Management im Hintergrund ist bei Wooga wichtiger als das ultimative Hipsterdesign auf den Büroetagen. Loungige Ruheinseln finden sich auch hier zuhauf, nur eines sucht man vergebens: einen Tischkicker. Der mache einfach zu viel Krach, haben sie festgestellt. Andere arbeiten ja – immer noch.

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