Tijen Onaran: Die Zukunft ist vielfältig

Tijen Onaran: Die Zukunft ist vielfältig


Sie will die Welt vielfältiger und digitaler machen: Die Unternehmerin Tijen Onaran bespielt gekonnt die Klaviatur der Kommunikationskanäle, damit ihre Botschaft in der Gesellschaft ankommt.

Sie will die Welt vielfältiger und digitaler machen: Die Unternehmerin Tijen Onaran bespielt gekonnt die Klaviatur der Kommunikationskanäle, damit ihre Botschaft in der Gesellschaft ankommt.

Text: Christoph Horn, Foto: Dominik Gigler

„Unsere Welt muss bunter werden, vielfältiger – in jeder Hinsicht“, sagt Tijen Onaran. Sie versteht sich auf Kommunikation, freundlich und dem Gegenüber zugewandt, gelassen im Auftreten und klar in der Argumentation. Das kann jeder bestätigen, der sie schon einmal als Speakerin auf der Bühne erlebt oder ihre Bücher gelesen hat, ihrem Instagram-Kanal folgt oder in den Podcast „How to Hack“ hineingehört hat, den sie seit 2018 moderiert. Zudem arbeitet sie als Kolumnistin und schreibt Gastbeiträge für verschiedene Wirtschaftsmagazine. Der stärkste Hebel, mit dem Tijen Onaran ihre Themen in die Welt katapultiert, ist allerdings ihr Unternehmen Global Digital Women (GDW), das sie ebenfalls 2018 an den Start brachte. Hier vernetzt sie Frauen, die Digitalisierung in Unternehmen gestalten, macht sie „sichtbar“, wie Onaran es nennt, veranstaltet hybride Events und gibt ein Onlinemagazin heraus. Zudem berät die passionierte Unternehmerin DAX-Konzerne wie auch Institutionen in Diversitäts- und Inklusionsfragen. Für dieses umfassende Engagement wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. So wählte das Manager Magazin sie in die Liste der „einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft“, das Handelsblatt rankte die Unternehmerin in die „Top 100 Frauen, die Deutschland bewegen“, und GDW erhielt 2020 den Deutschen Exzellenz-Preis.

Dass Tijen Onaran eine Gesellschaft der Vielfalt zu ihrem Thema macht, hat viel mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Die Tochter türkischer Migranten wächst in Karlsruhe auf, ihre Eltern geben ihr viel Selbstbewusstsein mit und erziehen sie zur Unabhängigkeit. Das Urvertrauen in die eigene Stärke bestimmt ihren Weg: „Wenn mir jemand sagt, du schaffst das nicht oder du bist noch nicht so weit, dann ist das genau der Moment, wo ich durchstarte. Das ist bis heute so.“ Nach dem Abitur studiert Onaran an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Politikwissenschaften, Geschichte und Öffentliches Recht. Sie entwickelt einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, debattiert mit dem Vater über gesellschaftliche Fragen. „Irgendwann hat er zu mir gesagt, mecker nicht rum, mach was. Da bin ich in die Politik gegangen.“ Doch als junge Frau, muslimisch und mit Migrationshintergrund, findet sich Tijen Onaran schnell in der Schublade „Integration und Islam“ wieder. „Das waren nicht meine Themen. Und mir wurde klar: Wenn ich meine Agenda nicht selbst bestimme, wird sie bestimmt.“ Das sei ihr „größter Aha-Moment“ gewesen, sagt die Unternehmerin. „Irgendwann kam ich dann zu dem Punkt, dass ich mich unbedingt für Vielfalt einsetzen will.“ Sie gründet ein Frauennetzwerk, sieben Jahre liegt das zurück. Tijen Onaran beginnt, Menschen sichtbar zu machen.

Mit GDW gelingt ihr das im dritten Jahr. Dass sich aus der Ursprungsidee, der Vernetzung von Frauen in Digitalberufen, in so kurzer Zeit ein Unternehmen mit mittlerweile 16 Mitarbeitenden und einer mehr als 50 000 Köpfe zählenden Community aus über 20 Ländern entwickeln würde, sei nicht ihr Plan gewesen, sagt die Gründerin. Sie sei „eher zufällig in die Selbstständigkeit gerutscht“, als sie ihren letzten Angestelltenjob spontan kündigte, ohne eine neue Stelle in Aussicht zu haben. Das sei aus heutiger Perspektive ideal gewesen, vielleicht hätte sie sonst den Schritt ins Unternehmertum nicht gewagt: „Ich hatte keine Angst. Das hat mich gerettet.“ Heute pendelt die Vielbeschäftigte für ihre Projekte zwischen ihren Büros in Berlin und München, wo sie sich auch als Mitglied des Kuratoriums für Entrepreneurship & Intrapreneurship an der Universität der Bundeswehr München engagiert.

Die Motivation für ihre Arbeit beziehe sie aus ihrer eigenen Unzufriedenheit, sagt Onaran, „das ist ein guter Trigger für mich, denn ich will die Dinge nicht so akzeptieren, wie sie sind“. Es sei zwar „wahnsinnig herausfordernd“, mache aber auch viel Spaß. Und genau das spiegle ihr Verständnis von Unternehmertum: leidenschaftlicher Einsatz und Verantwortung auf der einen, ideelle Unabhängigkeit und größtmögliche Gestaltungsfreiheit auf der anderen Seite. Ihr sei klar, dass man nicht alles auf einmal erreichen könne, schließlich habe die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Diversität in Unternehmen erst in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. „In den Anfangsetagen sind viele Unternehmen sogar sehr divers“, so Onaran, „doch je weiter es die Karriereleiter hochgeht, desto linearer werden die Lebensläufe, und irgendwann kommt sie, die ‚gläserne Decke‘.“ Dabei sei es so wichtig, auch bei Führungskräften verschiedene „Diversity-Ebenen“ abzubilden, schließlich bedeute Inklusion auch Teilhabe an Entscheidungsprozessen. Zudem ließe sich nur so „Verständnis für verschiedene Lebensrealitäten“ schaffen. Ein weiterer Umstand, der eine echte Vielfalt in Unternehmen nach wie vor verhindere, sei „der“ Abschluss. „Wer Karriere machen will, muss ein Profil erfüllen. Zwischendurch gründen? Ein Jahr lang um die Welt segeln? Kein Masterstudium, aber dafür mehrere Jahre Praxiserfahrung? Das funktioniert bei uns noch nicht.“ Doch je diverser das Team, desto besser das Arbeitsergebnis. Und je besser das Ergebnis, desto mehr technologischer Vorsprung – und desto größer der zu erwartende wirtschaftliche Erfolg. Für Onaran ein logischer Dreisatz. Dass er in Unternehmen viel zu selten zur Anwendung kommt, hält sie nicht „für ein Erkenntnisproblem, sondern für ein Umsetzungsproblem. Wir kommen nicht ins Machen.“ Sie glaube zwar, dass inzwischen viele Menschen „verstanden haben, dass es eine gute Sache ist, sich nicht nur auf eine Perspektive im Business zu verlassen, aber in der Umsetzung hapert es“. Unternehmen müssten verstehen, dass „Vielfalt kein Charity-Projekt“ sei, bei dem es darum gehe, einer kleinen Gruppe etwas Gutes zu tun. „Es geht darum, dass sich Diversity als Treiber von Innovationen sieht. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil.“ Den Status quo zu ändern betrachtet sie als ihre dringlichste Aufgabe. „Was Unternehmen wirklich weiterbringt, sind klare Zielvorgaben. Denn ohne Ziel keine Maßnahme. Bei Diversität denken alle, das reguliert sich schon von allein. Und genau das passiert eben nicht.“ Zwar gebe es Ausnahmen – so hat der Bayer-Konzern jüngst angekündigt, bis 2030 Geschlechterparität auf allen Hierarchieebenen durchzusetzen –, doch grundsätzlich fehle es Unternehmen an der Vision. „CEOs sollten sich fragen: Was kann ich durch Diversity-Inklusion erreichen? Welche Kapazitäten setze ich damit frei?“ Und Tijen Onaran hat noch einen weiteren Punkt auf der Agenda. „Für echte Vielfalt brauchen wir eine neue Kultur des Scheiterns. Wenn du scheiterst, bist du verbrannt. Wir müssen den Mut haben, das Scheitern zuzulassen. Warum? Unternehmen brauchen mehr Intrapreneure, nicht nur die Start-ups, sondern auch die etablierten Player. Vielfalt ist das Gegenteil von Einfalt.“ (Intrapreneure sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich so hingebungsvoll und ideenreich wie ein Entrepreneur für das Unternehmen einsetzen.)

Seit etwas mehr als vier Jahren ist Onaran mit GDW im Einsatz für mehr Vielfalt; bei den regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen überlässt sie die Buühne ihren Gästen, damit diese sich und ihre Ideen präsentieren. Das Unternehmen agiert in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) und in Großbritannien; mit dem von ihr initiierten Digital Female Leader Award hat sie ein weiteres Tool entwickelt, um die „challenge diversity“ zum Erfolg zu führen. Sie sei leidenschaftliche Unternehmerin, sagt Tijen Onaran von sich, und dies sei nicht nur eine Stärke: „Leidenschaft erzeugt ja auch eine gewisse Form des Drucks, vor allem mir selbst gegenüber.“ Sie habe schon immer einen hohen Anspruch an sich selbst gehabt – und an die Menschen, mit denen sie arbeitet. Dabei zu erkennen, dass nicht jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter so engagiert wie sie selbst zur Sache geht, „war ein wichtiges Learning“, sagt Onaran. Eine weitere wichtige Erkenntnis sei gewesen, dass die jungen Talente der Generationen Y und Z eine grundsätzlich andere Einstellung zur Arbeit haben. „Zum einen zeigen sie viel besser Grenzen auf, als ich es in dem Alter konnte – weil ich mich nicht getraut hätte, Nein zu sagen oder pünktlich Feierabend zu machen. Andererseits befinden wir uns im ‚War of Talents‘. Die Bewerberinnen und Bewerber sagen: ‚Ich hab’ schon Lust, bei dir zu arbeiten – aber warum sollte ich?‘“

Für ihr neuestes Projekt dürfte es nicht schwierig gewesen sein, ambitionierte Mitstreiter zu finden. Seit Ende Mai ist die Dokumentation „Yes she can“ als Streamingangebot bei Amazon Prime abrufbar. Für sie selbst ein weiterer konsequenter Schritt, um Botschaften zu transportieren. In diesem Fall ist es Mut. „Wir zeigen den Status quo, wir nennen Zahlen. Frauen in Führungspositionen, in Start-ups, Frauen und der Gender-Pay-Gap. Und wir analysieren diesen Status quo sehr wissenschaftlich.“ Im Kontrast dazu erzählt der Film Geschichten von spannenden, inspirierenden Lebensläufen. „Ich wollte keine Doku machen, die den Istzustand bejammert, ich wollte Mut machen. Am Ende des Films ist da ein Chart: ‚Du schaffst das‘. Ein Gänsehautmoment, das bekomme ich immer wieder als Feedback.“ Als Nächstes steht der Ausbau des GDW Management Consulting an; die Nachfrage an Beratung wachse stark, sagt die Unternehmerin. In zwei Jahren, so ihr persönliches Ziel, „soll jedes Unternehmen in Deutschland ein Unternehmen der Vielfalt sein“.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 34. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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