Werte statt Wachstum

Werte statt Wachstum


Viel Kapital und eine unternehmerische Vision – in der Förderung von Innovation können reiche Unternehmerfamilien eine wichtige Rolle spielen, zuletzt zu sehen beim Engagement der Brüder Strüngmann für das deutsche Start-up Biontech. Doch wie groß ist das Potenzial von Family Offices für den Innovationsstandort Deutschland wirklich?

Viel Kapital und eine unternehmerische Vision – in der Förderung von Innovation können Unternehmerfamilien eine wichtige Rolle spielen, zuletzt zu sehen beim Engagement der Brüder Strüngmann für das deutsche Start-up Biontech. Doch wie groß ist das Potenzial von Family Offices für den Innovationsstandort Deutschland wirklich?

Text: Klaus Lüber, Illustration: Carolin Eitel

2006 entschied sich Benedict Rodenstock, fünfte Generation des Brillenherstellers Rodenstock, Business Angel zu werden. Mit den Vermögensanteilen des 2003 schrittweise an einen Investor verkauften Familienunternehmens wollte er, so der Plan, junge, innovative Gründer mit digitalen Geschäftsmodellen unterstützen. „Das war damals noch ziemlich exotisch, und viele haben mir abgeraten: Ich sei verrückt, würde mein Geld verschenken.“ Doch Rodenstock vertraute auf seinen unternehmerischen Instinkt und ging ins Risiko. Mit Erfolg: In mehr als 30 Start-ups hat seine Beteiligungsgesellschaft Astutia Ventures inzwischen investiert und dabei geholfen, bekannte E-Commerce-Plattformen wie Amorelie oder Mister Spex aufzubauen. „Das Start-up-Umfeld hat sich wirklich sehr dynamisch entwickelt und inzwischen ganz unterschiedliche Investorentypen angezogen. Eben nicht nur klassische Venturecapital-Firmen, sondern auch Akteure wie uns, die mit privatem Geld versuchen, etwas für den Innovationsstandort Deutschland zu tun“, so der Unternehmer.

Tatsächlich spielen Family Offices wie Astutia, ausgestattet mit privatem Vermögen und risikobereitem Unternehmergeist, eine zunehmend interessante Rolle in der deutschen Innovationsförderung. Die Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüngmann unterstützen das Start-up Biontech mit hohen Beträgen, SAP-Gründer und Multimilliardär Dietmar Hopp investiert große Summen in das Unternehmen Curevac, und die Münchner Beteiligungsgesellschaft Skion der BMW-Erbin Susanne Klatten engagiert sich dafür, als Innovationstreiber deutsche Unternehmen zu stärken und so zum gesellschaftlichen Fortschritt beizutragen. Bemerkenswert daran ist vor allem die volkswirtschaftliche Perspektive, das Bemühen um werteorientierte Innovationen am Standort Deutschland. „Wir bräuchten einen grundlegenden Wandel in der Einstellung zu neuen Technologien in der Politik und im Finanzsystem“, so Biontech-Investor Thomas Strüngmann gegenüber dem Handelsblatt. „Man kann sich nur wundern, dass Deutschland als viertgrößtes Industrieland der Welt relativ zur Wirtschaftsleistung so wenig in neue Technologien investiert.“

Also müssen die Unternehmerfamilien ran? So einfach sei das zwar nicht, sagt Maximilian Werkmüller, Professor für Finance und Family Office Management an der Allensbach Hochschule in Konstanz. „Was man aber sagen kann: Viele Family Offices, vor allem die Single Family Offices, die noch mit einem aktiven Familienunternehmen verbunden sind oder das Vermögen nach einem Verkauf verwalten, unterscheiden sich deutlich von klassischen Finanzinvestoren. Sie denken strategisch und langfristig. Man ist zwar renditeorientiert, aber hat auch ein echtes Interesse an den Unternehmen, in die man investiert.“ Das Ziel sei kein möglichst schneller Exit, sondern man wolle ein Partner der geförderten Unternehmen sein. „Und das kann für junge Gründer natürlich ein enormer Pluspunkt sein.“

Diese partnerschaftliche Beziehung zu den Gründern ist auch für Ulrich Bergmoser, Managing Director der Unternehmensgruppe Reimann Investors, ein ganz entscheidender Zugang für viele Family Offices, sich in der Assetklasse Venturecapital zu engagieren. Bergmoser verwaltet Teile des Vermögens der Unternehmerfamilie Reimann, die mit einem geschätzten Vermögen von 11 bis 33 Milliarden Euro zu den wohlhabendsten Familien Deutschlands zählt. Ende der Neunzigerjahre trennten sich Mitglieder der Unternehmerfamilie von ihren Beteiligungen und gründeten das Family Office Reimann Investors. Als eines der größeren Single Family Offices verfügt Reimann über ein professionelles Team, das sich auf Beteiligungsinvestments in junge und stark wachsende Unternehmen konzentriert – vor allem im Bereich digitale Dienstleistungen wie Premium-E-Commerce und Fintech.

Die Erwartung, Family Offices könnten, mit Blick auf die Engagements von Unternehmerpersönlichkeiten wie Strüngmann, Hopp oder Klatten, tatsächlich zum Gamechanger in der Innovationsförderung avancieren, möchte Bergmoser allerdings dämpfen. „Es ist richtig, dass wir in Deutschland und Europa bisweilen Schwierigkeit haben, ganz große Finanzierungsrunden zu stemmen, die Start-ups in ihrer späteren Wachstumsphase überhaupt erst ausreifen lassen. Hier machen oft kapitalstarke US-amerikanische und asiatische Fonds das Rennen. Es dürfte ein Missverständnis sein anzunehmen, dass das private Kapital von Family Offices diese Lücke substanziell schließen könnte.“ Um Bergmosers Einschätzung einordnen zu können, lohnt ein Blick auf die aktuelle Lage und Struktur des europäischen und deutschen Venturecapital-Systems, wie ihn die Bertelsmann Stiftung in einer im Januar erschienenen Analyse bietet („From Scale to Purpose? The EU’s support for startups in the global race for tech dominance“). Auch die Bertelsmann-Experten kommen zu dem Schluss: Europa fehlt es an großvolumigen Finanzierungsrunden – übrigens bei gleichzeitig steigendem Innovationspotenzial, einer wachsenden Zahl an Start-ups, also eigentlich besten Voraussetzungen, um mit großen Playern wie den USA mitzuhalten.

Die Ursache ist klar zu benennen: das Fehlen von institutionellem Kapital, also vor allem Pensionskassen, die im US-Markt eine signifikant größere Rolle spielen und die großen Volumen der VC-Fonds überhaupt erst möglich machen. Aber warum verzichtet Europa dann auf diesen Kapitalfluss? „So sind nun mal die regulatorischen Rahmenbedingungen“, erklärt Jake Benford, Bertelsmann-Experte und Autor des Papers. „Pensionskassen und Versicherungen, die beiden großen Player im Feld der institutionellen Kapitalgeber, sind hier in Europa ganz anders reguliert. Es hat also tief sitzende strukturelle Gründe, warum dieses Geld nicht fließen kann.“ Und so gehören Europa und besonders Deutschland zwar nach wie vor zu den wichtigsten Impulsgebern für Innovation, ihre Wertschöpfung aber findet woanders statt. „Wir sehen das leider auch am Beispiel von Biontech, das es ohne Kapital aus Deutschland vielleicht gar nicht gäbe. Heute ist es ein Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen und nicht in Europa, sondern an der amerikanischen Technologiebörse NASDAQ notiert“, so Benford. Eine Analyse, die übrigens selbst Thomas Strüngmann teilt. Ohne amerikanisches beziehungsweise internationales Kapital, so der Investor 2019 gegenüber dem Handelsblatt, wäre die Weiterentwicklung der Firma kaum möglich gewesen. Gleiches gelte für sämtliche bisherigen Exits des Strüngmann-Family-Office. „Diese Firmen wurden alle von ausländischen Pharmakonzernen übernommen“, sagt der Investor.

Interessant ist die Schlussfolgerung der Bertelsmann-Analyse. Da wir mittelfristig wohl nur wenig am „later-stage gap“, also an der europäischen Finanzierungslücke bei mittleren und späten Finanzierungsrunden, ändern können, sei es vielleicht Zeit für einen Perspektivwechsel: weg von der Wachstumsfixierung des angelsächsischen VC-Modells, hin zu einer Fokussierung auf zweck- und wertegebundene Investitionen, wie sie unter dem Begriff „Impact Investing“ schon diskutiert werden. Und hierbei könnten, so Benfords Einschätzung, tatsächlich die Stärken von Family Offices zum Tragen kommen: Werteorientierung statt Gewinnorientierung, langer Atem statt schneller Exit. Family Offices als Speerspitze einer neuen europäischen Investmentmentalität, als Mitermöglicher jener disruptiven, gesellschaftsverändernden Innovationen, die inzwischen von vielen Seiten gefordert werden, um Europas Zukunft zu sichern?

Dr. Nadine Kammerlander ist da vorsichtig. Die Professorin für Familienunternehmen an der WHU – Otto Beisheim School of Management zählt zu den wichtigsten Expertinnen und Experten für Family Offices in Deutschland. Mehr als 100 deutsche Single Family Offices hat sie mit ihrem Team 2018 in langen Interviews unter anderem zu ihrem Investitionsverhalten befragt. Immerhin 30 Prozent gaben an, auch in Start-ups zu investieren, für weit mehr als die Hälfte sind etablierte Unternehmen allerdings interessanter. „Es gibt immer noch eine Scheu vor den neuen, digitalen Geschäftsmodellen, die man oft nicht richtig versteht.“ Was Kammerlander allerdings bestätigt: Als Start-up-Investor unterscheiden sich Family Offices deutlich von „klassischen“ Venturecapital- oder Private-Equity-Fonds. „Die Denkweisen, besonders was die Return-Zeiten angeht, sind ganz andere. Während Fonds aus regulatorischen Gründen mit Investmentzeiten von vier bis sieben Jahren kalkulieren, streben die befragten Family Offices eine durchschnittliche Haltedauer von 30 Jahren an.“ Zu diesem eher strategisch unternehmerischen Ansatz passt auch die Vorliebe vieler Family Offices für Direktinvestitionen. „Das passt einfach besser zur eigenen Identität als Unternehmer. Man will sich mit einer Firma, einem Projekt, einer spannenden Geschäftsidee identifizieren und nicht mit einer Anlageklasse.“

Dieser Meinung ist auch Ulrich Bergmoser von Reimann Investors. Er sieht in der Anlagestrategie vieler Family Offices zudem einen Paradigmenwechsel gespiegelt, der das Investitionsverhalten vieler Akteure nun schon seit einiger Zeit bestimme: „Früher war das Kriterium, ein Unternehmen als erfolgreich zu identifizieren, das Unternehmen selbst. Heute ist der Erfolg ein Gemeinschaftswerk von Management, Geschäftsidee und den Anteilseignern. Das heißt, erfolgreiche Unternehmen brauchen auch erfolgreiche Anteilseigner, die einen eigenständigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.“ Erfolgreich im Sinne eines größtmöglichen Returns? Eben nicht, findet Bergmoser. „Besonders bei innovationsstarken Geschäftsmodellen werden Investoren mit einem ganzheitlichen unternehmerischen Ansatz und einer über reine Performance-Kriterien hinausgehenden, auch ethische Werte beachtenden Sicht auf Investments immer wichtiger. Und hierzu, glaube ich, können Family Offices in Zukunft einen großen Beitrag leisten.“

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 34. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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