Wie kann die Digitalisierungsrevolution in Deutschland vorangetrieben werden?

Wie kann die Digitalisierungsrevolution in Deutschland vorangetrieben werden?


Das vorige Jahr hat der Digitalisierung einen großen Schub verpasst, doch jetzt heißt es dranbleiben. Wo die Herausforderungen für die Branchen liegen, dazu beziehen Expertinnen und Experten verschiedener Wirtschaftsbereiche Stellung.

Das vorige Jahr hat der Digitalisierung einen großen Schub verpasst, doch jetzt heißt es dranbleiben. Wo die Herausforderungen für die Branchen liegen, dazu beziehen Expertinnen und Experten verschiedener Wirtschaftsbereiche Stellung.

Text: Redaktion BBE, Foto: Gerd Altmann / Pixabay

„Wenn Geld keine Rolle spielen würde, welches wahrhaft große Problem würdest du dann lösen? Auf diese Frage finden wir in Deutschland nach wie vor zu selten gute Antworten. Zum einen, weil es lange an nationalen Wachstumskapitalquellen fehlte, was dem ‚Großdenken‘ ein Klotz am Bein war. Zum anderen, weil die Malaise des Klein-Kleins nach wie vor so manchen Gründergeist quält. Dabei leben wir in einer Zeit ungeahnter Herausforderungen, die von der Klimakatastrophe über Pandemien bis hin zur Frage um die gerechte Teilhabe an der modernen Welt reichen. Gleichzeitig haben wir mehr Werkzeuge denn je zur Verfügung, um diese Herausforderungen zu lösen. Technologien wie künstliche Intelligenz oder dezentrale Systeme wie die Blockchain ermöglichen stärkere Automatisierung, höhere Sicherheit und kreativere Wertschöpfung nah am Menschen. Der Nährboden für genuine Innovation made in Germany war also noch nie reicher. Auch die Finanzierungsquellen aus dem In- und Ausland wachsen inzwischen stetig an. Doch im Markt tut sich ebenfalls eine ganze Menge, nicht zuletzt durch erfolgreiche Jungunternehmen wie das Biotech-Unternehmen Biontech, die HR-Plattform Personio oder den Neobroker Trade Republic. Aus den Mitarbeiterreihen dieser Unternehmen werden viele ambitionierte Köpfe und Kapitalquellen hervorgehen, die dann vielleicht genau die Innovationswelle formen, die wir so dringend benötigt haben.“


Judith Muttersbach-Dada
General Partner La Famiglia VC
Foto: ©La Famiglia

„Drei von vier Deutschen erledigen ihre Bankgeschäfte heute online, auch die Onlineservices der AOK Nordost nutzen immer mehr Versicherte. In anderen Bereichen des Gesundheitssystems gilt aber weiterhin der Faxstandard. Die Anfang des Jahres eingeführte elektronische Patientenakte (ePA) hat nun das Potenzial, die Versorgung enorm zu verbessern, indem sie alle Gesundheitsdaten zusammenführt. Damit die ePA diesen Anspruch erfüllen kann, muss sie patientenfreundlich weiterentwickelt, im ersten Schritt zügig in den Arztpraxen und Krankenhäusern verfügbar gemacht werden und perspektivisch auch weitere Partner im Gesundheitswesen einbeziehen. Für eine effiziente Versorgung ist es zudem unerlässlich, die digitale Gesundheitskompetenz zu stärken und anonymisierte Gesundheitsdaten stärker zu nutzen, als es bisher gesetzlich möglich ist. Doch auch wenn Daten das Gold des digitalen Zeitalters sind – unsere Versicherten werden immer selbst entscheiden können, wie ihre Gesundheitsdaten digital genutzt werden.“


Daniela Teichert
Vorstandsvorsitzende AOK Nordost
Foto: Andrea Katheder / AOK Nordost

„Ein komplettes Umdenken der Schule ist erforderlich. Ich denke, es sollte darum gehen, dass wir allen jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich im Kontext der digitalen Welt zu verstehen. Dafür müssen wir Bildung neu denken. Es geht nicht mehr nur um Lesen, Schreiben, Rechnen und Sicheinordnen. Es geht um logisches und kreatives Denken, Teamfähigkeit, Entscheidungsfreudigkeit, Problemlösung, digitale Mündigkeit, ethische Fragen und Selbstwirksamkeit. Coding (Programmieren in verschiedenen Sprachen) oder Robotics sind bestens zum Erlernen zukunftsfähiger Kompetenzen geeignet. Ohne kritisches, kreatives und logisches Denken hat die Digitalisierung keine Chance. Es darf also nicht um maximale Screentime gehen. Wir müssen chancengleich allen Kindern und Jugendlichen die altersgerechte sozioemotionale Entwicklung gewährleisten, und zwar umgehend. Das beinhaltet für uns als Schule IT-Unterricht (bilingual) ab der ersten Klasse, Schreibschrift ab der zweiten Klasse, das Zehnfingersystem ab der dritten Klasse und ab der vierten Klasse Coding im Gleichklang mit Musizieren, Tanz und Sport sowie Unterricht in der Natur durch Primärerfahrungen im Ganztag.“


Yvonne Wende
Gründerin und geschäftsführende Direktorin der Berlin Cosmopolitan School
Foto: Tanja Brückner

„Eine Bürokratie, die ihren eigenen Zielen im Weg steht, eine weitverbreitete Angst vor Fehlern und das Festhalten an Konzepten und Herangehensweisen, die sich längst überlebt haben – die Coronapandemie hat uns allen die derzeitigen Mängel in unserem Land vor Augen geführt. Wir sollten die Lektion ernst nehmen und die offengelegten Schwachstellen und Defizite beherzt angehen. Die Digitalisierung verändert mit Macht sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche – die Frage nach dem Ob ist längst beantwortet, allenfalls beim Wie könnten wir noch ein Wörtchen mitreden. Dazu bedarf es in allen gesellschaftlichen Bereichen, im öffentlichen Sektor genauso wie in Teilen des etablierten Unternehmertums, eines veränderten Mindsets und einer neuen Kultur des ‚Trial and Error‘. Tempo und Agilität, Pioniergeist und Gestaltungswille sind die Kernvoraussetzungen, um aus Neuland ein neues Land zu formen – ein Land, das es uns ermöglicht, die Errungenschaften der Vergangenheit in die Zukunft zu tragen.“


Markus Voigt
Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI)
Foto: VBKI / Michael Setzpfandt

„Die ersten Phasen der Digitalisierung, in denen zuerst einzelne Pioniere wie John Perry Barlow und dann Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook die Entwicklung vorangetrieben haben, sind nun endgültig vorbei. Jetzt brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs dazu, wie und wofür wir digitale Technologien einsetzen wollen. Es geht dabei nicht darum, nur einzelne wirtschaftliche Interessen zu bedienen, sondern Digitalisierung in den Dienst sozialer Innovation zu stellen. Wie kann Technologie uns helfen, bessere Antworten auf die dringenden Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln? Der Klimakrise entgegenzuwirken, unsere Demokratie zukunftsfähig zu machen, unser Wirtschaftssystem nachhaltig umzubauen, unsere Arbeit menschenfreundlicher zu gestalten und unser individuelles Well-being zu fördern? Dafür müssen Politik und Verwaltung, Wirtschaft, organisierte Zivilgesellschaft und noch nicht Engagierte ein gemeinsames, ausdifferenziertes Zielbild der Zukunft entwickeln. Die wichtigsten Fragen sind nämlich keine technologischen, sondern gesellschaftliche.“


Dr. Joana Breidenbach
Autorin, Gründerin bei betterplace.org und betterplace lab, Aufsichtsrätin bei gut.org gAG
Foto: Marc Beckmann

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