Wirtschaft und Trends: Die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist ein Segen und kein Fluch!

Wirtschaft und Trends: Die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist ein Segen und kein Fluch!


Die Unabhängigkeit unserer Zentralbanken ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die von politischen Zwängen losgelöste Förderung einer gesunden und stabilen Wirtschaft, sagt Jan Gengel. Der Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung der Weberbank gibt seine Einschätzung zu dieser Debatte – und zu ihren Folgen.

Die Unabhängigkeit unserer Zentralbanken ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die von politischen Zwängen losgelöste Förderung einer gesunden und stabilen Wirtschaft, sagt Jan Gengel. Der Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung der Weberbank gibt seine Einschätzung zu dieser Debatte – und zu ihren Folgen.

Text: Jan Gengel, Foto: Jannik Selz / Unsplash

Politische Interessen und die Ausrichtung einer Notenbank sind selten gleich gerichtet. Ein Konjunkturzyklus lässt sich nicht in eine Wahlperiode zwängen. Die Unabhängigkeit unserer Zentralbanken ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die von politischen Zwängen losgelöste Förderung einer gesunden und stabilen Wirtschaft. Das freie Agieren ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte. Die hohen Inflationsraten in den Siebzigerjahren, einhergehend mit den Ölkrisen, vermehrten die wissenschaftlichen Debatten über die Notwendigkeit der Unabhängigkeit zur Gewährleistung der Preisniveaustabilität. So wurden die amerikanische Zentralbank Fed in den Achtzigerjahren und die Bank von England erst 1997 politisch unabhängig. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist eine der wenigen Notenbanken, die nach dem Vorbild der Bundesbank von Anfang an frei von politischer Einflussnahme konstituiert wurden.

Seit der Finanzkrise 2007/08 und damit seit mehr als zehn Jahren kämpfen zahlreiche industrialisierte Länder jedoch nicht mehr mit zu hohen, sondern mit zu niedrigen Inflationsraten oder gar Deflationsgefahren. Neben dem schwachen Wachstum sind dafür sicherlich der technologische Fortschritt, die globale Vernetzung und der demografische Wandel die Hauptursachen. Denen können sich Notenbanken jedoch nur schwer entgegenstellen, wenn ihr Wirken nicht durch eine auf Investitionen und Bildung ausgerichtete Fiskalpolitik flankiert wird. Doch genau daran mangelt es seit Jahren, und so wird lieber auf die Erfolglosigkeit der Zentralbanken hingewiesen, statt die eigenen politischen Fehler zu hinterfragen. Die aktuellen Entwicklungen in den USA sind dafür ein offensichtliches Beispiel.

Nahezu täglich wütet der US-Präsident per Twitter-Salven gegen die Geldpolitik der Fed und verweist auf ihre Ahnungslosigkeit. Der Kampf um die nächste Präsidentschaft ist bereits voll entbrannt, auch wenn erst im kommenden Jahr die Entscheidung über eine mögliche zweite Amtszeit Donald Trumps getroffen wird. Vergangene Wahlen haben eines gezeigt: Für einen amtierenden Präsidenten ist die Wiederwahl in einem Abschwung oder gar einer Rezession äußerst schwierig. Und in den USA mehren sich derzeit die Signale für wirtschaftliches Ungemach. So wirken beispielsweise die auslaufenden Steuerprogramme und die selbst verursachten Handelskonflikte deutlich bremsend. Hier ist die Regierung gefordert, eine Lösung zu suchen, jedoch wird lieber die Schuld anderen zugewiesen. In diesem Fall trifft es die amerikanische Notenbank und ihr freies Agieren entgegen den Wünschen des Präsidenten. Die USA sind leider kein Einzelfall. Neben Extremfällen wie beispielsweise in der Türkei, in der der Zentralbankchef einfach durch einen Vertrauten des Staatspräsidenten ersetzt wurde, wird auch in Europa vermehrt über die Unabhängigkeit der EZB diskutiert.

Kritiker sehen das freie Wirken der EZB durch ihre eigenen Maßnahmen gefährdet. Mit ihrem Anleihenkaufprogramm ist sie bereits heute zu einem der größten Gläubiger der Eurostaaten aufgestiegen. Da es bisher nicht zu dem erhofften Anstieg der Inflation gekommen ist, wird bereits über eine Fortführung der Kaufprogramme spekuliert. Im Raum steht sogar ein Erwerb bis zur Hälfte aller Eurostaatsanleihen – ein unvorstellbares Ausmaß. Der politische Druck auf die EZB wird so sicherlich nicht abnehmen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass die Liquiditätsflut zur Finanzierung staatlicher Schulden schneller zu einer galoppierenden Inflation führen kann, als wir uns das heute vorstellen können. Daher wären statt der Zentralbank die Politik oder Institutionen wie der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) gefordert. Wir dürfen die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte nicht einfach über den Haufen werfen! Wenn uns die Inflation in Form eines schwarzen Schwans erneut überrascht, brauchen wir eine unabhängige Zentralbank mehr denn je.


Jan Gengel, Portfoliomanager der Weberbank

Für alle Fragen rund um Ihr Vermögen steht Ihnen Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, telefonisch und per E-Mail zur Verfügung: Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de

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