Wo gibt es den größten Nachholbedarf an Digitalisierung in der Berliner Verwaltung?

Wo gibt es den größten Nachholbedarf an Digitalisierung in der Berliner Verwaltung?


Schlanke Prozesse und nutzerfreundliche Konzepte: Die Digitalisierung ist eine Chance für die Berliner Verwaltung – und eine große Herausforderung, wie sich zeigt. Wo besteht der dringendste Handlungsbedarf?

Schlanke Prozesse und nutzerfreundliche Konzepte: Die Digitalisierung ist eine Chance für die Berliner Verwaltung – und eine große Herausforderung, wie sich zeigt. Wo besteht der dringendste Handlungsbedarf?

Text: Redaktion BBE, Foto: 21 Aerials / Shutterstock

„Handlungsbedarf besteht zuerst bei der Haltung, mit der die Überbürokratisierung und das Kurzfristdenken in der Politik (bis zur nächsten Wahl) sowie ein schwerfälliger Föderalismus (Land/Bezirke) und Ressortkämpfe die schnelle, notwendige Digitalisierung der Verwaltung behindern. Dazu zählen auch zersplitterte Verantwortlichkeiten und ausgeprägte Risikoscheu. Zweitens in der Bereitstellung technologischer Grundlagen für digitale Bürgerinnen- und Bürgerservices, der Automatisierung interner Prozesse und der Nutzung von Wissen aus Daten. Immerhin geht es darum, die Kanalisation zu erneuern, und nicht um das Aufstellen von ein paar neuen Dixi-Klos. Drittens muss etwas beim Kulturwandel passieren, um endlich ressortübergreifend zusammenzuarbeiten, auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren sowie Wissen und Informationen transparent zu teilen. Dazu gehört auch die Öffnung der Verwaltung durch die systematische co-kreative Beteiligung der Zivilgesellschaft. Es gibt bereits heute so viele gute Lösungen, die schon genutzt werden könnten. Also, einfach mal machen.“


Michael Pachmajer
Digital- und Transformationsexperte, Co-Founder von d.quarks GmbH
Foto: d.quarks / K.Schwetje

„Spontan dachte ich: Woher soll ich das wissen? In der Tat, kein Einzelner kann die Frage gut beantworten. Dazu braucht es Schwarmintelligenz, indem wir die Ideen aller Betroffenen entfesseln. Für Bürger und Unternehmen der Stadt heißt das, systematisch am Prozess der Digitalisierung beteiligt zu werden. Nicht nur in sporadischen Digital Labs oder Ähnlichem, sondern in dauerhaften Formaten wie Bürgerräten, am besten zentral und dezentral verzahnt. Also demokratische Digitalisierung statt bürokratische. Und warum erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Innern der Verwaltung nicht mehr Einfluss? Die starren Hierarchien zeigen täglich, dass sie keine Ergebnisse mehr liefern. Politik und Innensenat denken in Großprojekten, die top-down im Detail geplant werden – über Jahre. Das blockiert die Mitarbeiter in den Referaten, die mit den Hufen scharren. Ihnen Handlungsbefugnisse einräumen, ihre Fantasie und Gestaltungsfreude unterstützen – das führt zu schnellen Ergebnissen. Das Biontech-Motto lautet: ‚Erst die schnelle Lösung, dann die perfekte.‘ Das führte in elf Monaten zu einem Impfstoff. Mit dieser Einstellung könnte man sogar die Berliner Verwaltung modernisieren.“


Wolf Steinbrecher
Forum Agile Verwaltung e. V.
Foto: privat

„Bei der digitalen Verwaltung hängen wir in Berlin leider zehn Jahre zurück. Die jahrelange Maxime ‚Sparen, bis es quietscht‘ hat uns in diesem Bereich massiv zurückgeworfen. Es fehlt an allen Ecken und Enden, was digitale Infrastruktur und Lösungen anbelangt. Wir brauchen dringend schnelles Internet in den Dienstgebäuden und freies WLAN in allen öffentlichen Einrichtungen. Der Großteil der Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger muss digital angeboten werden. Hierfür benötigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Amtsbereichen entsprechende Software, die belastbar ist und idealerweise auch im Homeoffice funktioniert. Vielen Kolleginnen und Kollegen im Bezirksamt würde außerdem die elektronische Akte den Arbeitsalltag deutlich erleichtern. Aber davon sind wir immer noch weit entfernt. Ich frage mich auch: Warum bekomme ich als Bürgerin zum Beispiel keinen Terminvorschlag per E-Mail, sobald mein Pass abläuft? Das wäre doch sinnvoll und vermeidet in Stoßzeiten langes Warten in den Bürgerämtern. Oder warum muss ich den Anwohnerparkausweis jedes Mal neu beantragen? Hier wäre ein Abo die Lösung, das den Prozess für beide Seiten vereinfachen würde.“


Clara Herrmann
Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg
Foto: Erik Marquardt

„Nur wenige regionalpolitische Projekte haben den Bau des BER überdauert. Das Projekt Digitalisierung der Berliner Verwaltung hat dieses Kunststück nicht nur vollbracht, es würde, ginge alles weiter wie bisher, wohl auch noch einen zweiten Flughafenbau überleben. Um es nicht so weit kommen zu lassen, muss der neue Berliner Senat die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte dringend nachholen – und die sind zahlreich. Die Herausforderungen beginnen bei der Modernisierung der maroden digitalen Infrastruktur, setzen sich fort bei der mangelnden IT-Ausstattung der Verwaltungsmitarbeiter und erstrecken sich auf eine Vielzahl von veralteten Insellösungen in den Fachverfahren, die weder unter den Behörden technisch kompatibel noch nutzerfreundlich aufgesetzt sind. Zwar hat die Pandemie den Druck erhöht und vereinzelte Verbesserungen erzwungen, doch richtig gelöst werden die Probleme nur mit einem integrierten Ansatz aus digitalpolitischer Führung, konsequenter Prozessoptimierung und zeitgemäßer Personal- und Technikausstattung. Soll nach dem BER endlich auch die Berliner Verwaltung durchstarten, kommt hier viel Arbeit auf den neuen Senat zu.“


Sebastian Stietzel
Vizepräsident der IHK Berlin
Foto: IHK Berlin

„Wir wollen konsequent die Dienstleistungen digitalisieren, die für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft am wichtigsten und attraktivsten sind. Als CDO des Landes Berlin werde ich die bisherigen Digitalstrategien der Stadt bündeln und neu ausrichten. Moderne Urbanität erfordert eine moderne Smart-City-Strategie – gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Für eine konsequente Verwaltungsdigitalisierung müssen wir die Infrastruktur konsequent modernisieren und ertüchtigen. Dazu gehört zum einen die flächendeckende Einführung der elektronischen Akte. Die Pandemie und das dadurch verstärkte Arbeiten im Homeoffice haben das mehr als deutlich gemacht. Zum anderen müssen wir die IT-Migration zum ITDZ beschleunigen. Das IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) wird künftig die IT aller Senatsverwaltungen und Bezirke zentral betreiben. Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden: die konsequente Entwicklung des ITDZ zu einem modernen und kundenorientierten Dienstleister und die notwendige Verbindlichkeit, mit der wir die Migration zum ITDZ verabreden.“


Dr. Ralf Kleindiek
Chief Digital Officer des Landes Berlin und Staatssekretär für Digitales und Verwaltungsmodernisierung
Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB/picture alliance

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