Zu heiß, zu nass, zu trocken – Chancen für Städte im Klimawandel

Zu heiß, zu nass, zu trocken – Chancen für Städte im Klimawandel


Durch Starkregen geflutete Tunnel, Augusthitze Anfang Mai, vertrocknete Stadtparks – der Klimawandel ist eindeutig spürbar. Auch für Architektur und Stadtplanung bedeutet das, mit dem Wandel zu leben und außerhalb alter Gewohnheiten zu denken.

Durch Starkregen geflutete Tunnel, Augusthitze Anfang Mai, vertrocknete Stadtparks – der Klimawandel ist eindeutig spürbar. Auch für Architektur und Stadtplanung bedeutet das, mit dem Wandel zu leben und außerhalb alter Gewohnheiten zu denken.

Text: Anne Rudelt, Foto: Pierluigi.Palazzi / Shutterstock.com

Elektromobilität, alternative Energieformen, ökologische Landwirtschaft – die Liste der Stellschrauben, an denen gedreht wird, um auf den Klimawandel zu reagieren, ist lang. Der Gedanke, dass ein sehr großer Anteil der CO2-Emissionen auf das Baugewerbe zurückzuführen ist, drängt sich dabei nicht gleich auf. „Zement ist eine riesige CO2-Schleuder“, erklärt Architektin Anne Raupach, die gemeinsam mit Scharabi Architekten an dem Berliner Vorzeigeprojekt Walden 48 arbeitete. „Selbst wenn es gelingt, in der Herstellung von Stahlbeton den enormen Energiebedarf alternativ abzudecken, liegt es in der Natur des Materials, dass es sehr große Mengen CO2 ausgast. Das lässt sich nicht verhindern.“ Die ohnehin schon ambitioniert gesteckten Klimaziele der Bundesrepublik bis 2030 sind ohne massive Veränderungen in der Baubranche nicht zu erreichen. Statt der 120 Millionen Tonnen CO2, die im Jahr 2020 auf Gebäude abfielen – 1990 waren es sogar 210 Millionen Tonnen –, sollen bis 2030 nur noch 70 Millionen jährlich entstehen. Das produzierende Gewerbe der Baubranche ist in dieser Berechnung noch nicht inbegriffen. Wie kann das Vorhaben auch nur im Ansatz gelingen?

Die Planung für das größte Holzgebäude Berlins begann schon im Jahr 2013. Die ARGE Scharabi I Anne Raupach hatte sich auf das vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ausgeschriebene Grundstück beworben und sich eine Baugemeinschaft gesucht, die ihre Visionen teilte. Im Verlauf der darauffolgenden sieben Jahre entstand in Zusammenarbeit mit einem starken Projektteam das markante Gebäude an der viel befahrenen Landsberger Allee. Aus Brandschutzgründen verbaute das Team Beton zwischen Treppenhaus und Wohnungen, auch im Keller kam der Baustoff zum Einsatz. Ansonsten besteht das Haus vor allem aus tragenden Massivholzwänden sowie Holz-Beton-Hybriddecken. Die Fassade aus heimischem Lärchenholz besitzt eine Holzfaserdämmung, straßenseitig wurde zusätzlich Schiefer verwendet. Dieser wirkt schallschützend und ist nachhaltiger als beispielsweise Putz. Geheizt wird durch Wärmepumpen mit Erdsonden, die im Sommer kühlen. Dach- und Fassadenbegrünungen sorgen für eine zusätzliche Umgebungskühlung, und die vorgelagerten Markisen an der Südseite beschatten nicht nur die Wohnungen, sondern auch die Balkone.

Holz ist ein wichtiger Faktor in der modernen Baubranche. Mit nachwachsenden Rohstoffen aus der Region bleibt der CO2-Fußabdruck gering. Und es können komplexe Schwierigkeiten angegangen werden: Die Monokultur der Nadelwälder um Berlin stellt ein enormes Problem dar. Die zunehmende Trockenheit erhöht die Waldbrandgefahr massiv – das Land Brandenburg führt die bundesweite Statistik mit großem Abstand an. Hier abzuholzen, um das Material mit kurzen Transportwegen zur Weiterverwendung dem entsprechenden Einsatz zuzuführen und die frei gewordenen Flächen klimaangepasst neu zu bewalden, ist in jeder Hinsicht eine Win-win-Situation. „Allerdings“, so Raupach, „merkt man, dass die Bauordnungen noch nicht auf Holz oder nachwachsende Rohstoffe eingestellt sind.“ Da der aktuelle Berliner Koalitionsvertrag festhält, dass Schulgebäude sowie Neubauten der kommunalen Wohnungsunternehmen künftig möglichst aus Holz und klimagerechten Baustoffen konstruiert werden sollen, ist die Hoffnung begründet, dass sich daran etwas ändert.

Davon würde auch das Berliner Schumacher-Quartier profitieren. Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel entsteht – neben dem Innovationspark des Forschungs- und Industrienachbarn Urban Tech Republic – ein Wohnquartier für mehr als 10000 Menschen, mit Schulen, Kitas, Geschäften und vor allem viel Grün. Dabei sollen Antworten auf dringende Fragen gefunden werden: Wie wollen wir künftig in Städten leben? Was belastet uns im Stadtleben, was tut uns gut? Constanze Döll von der Tegel Projekt GmbH beschreibt das Konzept des Projekts: „Nachhaltigkeit und Klimaresilienz sind zentrale Ansprüche. Wir wollen das Quartier für den Klimawandel wappnen und wieder mehr Natur in die Stadt holen.“ Das „Schwammstadtideal“ spielt dabei eine große Rolle: Regenwasser wird aufgefangen, gespeichert und bei Bedarf genutzt, Überflutungsschäden durch Starkregen, wie sie zuletzt häufig vorkamen, sind dank mehr unversiegelter Flächen reduziert. E.on und die Berliner Stadtwerke teilen sich die Aufgabe, das Gebiet mit einem „in dieser Größe einzigartigen ‚Low-Exergie‘-Netz“ zu versorgen. „Dabei sprechen wir nicht nur von Wärme im Winter, sondern auch von Kälte in heißen Monaten“, sagt Constanze Döll. „Verbraucher nutzen regenerative Energie und können zugleich Abwärme aus Gebäuden, Serverräumen oder dem Abwasser ins Netz einspeisen. Sie erhalten dafür eine Vergütung. Damit ist jeder sowohl Konsument als auch Produzent.“ Für ein gesundes, angenehmes Mikroklima spielt zudem das Thema Begrünung eine komplexere Rolle, als es auf den ersten Blick erscheint: Welche Pflanzen bringen an welcher Stelle welchen Nutzen? Wie bleiben Parks aufwandsarm, aber attraktiv, selbst bei Sommerhitze und langer Trockenheit?

Doch ehe man pflanzen kann, muss gebaut werden. Das geschieht hier vor allem mit regionalem Holz und anderen nachhaltigen Rohstoffen. Besonders ist auch das Betonrecycling. Nicht nur aus Gründen des Denkmalschutzes sollen Bestandsgebäude nicht abgerissen werden. Wenn aber doch Beton frei wird, wird er zum Beispiel zur Unterfütterung von Straßen genutzt. „Wir sind geflutet mit Regularien und Vorschriften, die sich zum Teil widersprechen und dadurch innovationshemmend sind“, so Döll. „Oft fehlt der Mut zum Experiment und zur Schaffung des entsprechenden Freiraums.“ Hier sieht sie die Chance für ihr Projekt: „Das Schumacher-Quartier und die Urban Tech Republic sind Modellvorhaben. Lasst uns Neues ausprobieren, Erfahrungen sammeln und im Sinne der Verbesserung auch mal Fehler machen. Wir wollen einen Ort technologischer Innovationen entwickeln und zeigen, wie die Stadt von morgen aussehen kann.“

Was bei Neubauprojekten von vornherein mitgedacht werden kann, stellt Stadtplaner und Architekten bei bestehenden Quartieren jedoch vor besondere Herausforderungen. Wie können diese Stadtgebiete dem Anspruch an eine Schwammstadt gerecht werden? Und wie geht der stetige Zuzug in einer Stadt wie Berlin, auf den nicht selten mit Verdichtung reagiert wird, mit der Perspektive zusammen, dass Tropennächte in Ballungsräumen zunehmen werden? Die Antwort: Berlin und Brandenburg arbeiten an einer abgestimmten Konzeption von Kaltluftentstehungsgebieten und Kaltluftschneisen. Für Neubauten besteht in Berlin das Gebot zur Dachbegrünung, auch Fotovoltaik wird gefördert. „Aber wer bezahlt das eigentlich? Übernimmt das der Mieter, der Eigentümer oder der Staat?“, fragt Theodor Winters. Er ist ehemaliger Geschäftsführer der S.T.E.R.N. Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung mbH und heute Vorstand der gleichnamigen Stiftung. Winters weiß: „Das sind extrem wichtige soziale Fragen.“ Mieterinnen und Mieter haben keinerlei Mitspracherecht, was an dem von ihnen bewohnten Gebäude saniert wird, die Kosten dafür können jedoch zu großen Teilen auf sie umgelegt werden. Vorstellbar wäre eine Art Deckelung. „Es werden enorme Investitionen erforderlich sein, die zu einer staatlichen Überforderung führen. Nicht zuletzt angesichts der hohen finanziellen Anforderungen, denen sich der Staat dieser Tage eher unerwartet gegenübersieht, muss anders gedacht werden. Warmmietenneutralität ist da ein valides Modell“, so Winters. Umgedacht werden muss also nicht nur das Was, sondern auch das Wie. Stadtplanung und Architektur sind längst mittendrin, man muss sie nur lassen.

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