Zwei Grad machen den Unterschied
Der Klimawandel und seine Folgen für Homo sapiens: Professor Hanns-Christian Gunga treibt die Frage um, was ein kleines Plus auf der Temperaturskala für die Menschheit bedeuten würde – unter gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Aspekten. Sehen Sie hier ein Video-Statement von Professor Gunga und lesen Sie das Interview.
Der Klimawandel und seine Folgen für Homo sapiens: Professor Hanns-Christian Gunga treibt die Frage um, was ein kleines Plus auf der Temperaturskala für die Menschheit bedeuten würde – unter gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Aspekten. Sehen Sie hier ein Video-Statement von Professor Gunga und lesen Sie das Interview.
Interview: Christoph Horn, Beitragsfoto: Tuul and Bruno Morandi / Alamy Stock Photo
Video: Weberbank
Herr Professor Gunga, als Universitätsprofessor für Weltraummedizin und Extreme Umwelten an der Charité Berlin befassen Sie sich seit vielen Jahren mit dem Klimawandel und seinen Folgen für uns Menschen. Dabei verdrängen wir gern, dass uns das Thema ebenso betrifft wie alle anderen Lebewesen. Warum nehmen wir uns als Menschen aus dieser Gleichung raus?
Meine Erfahrung ist, dass das Thema gern von außen betrachtet wird. Der Mensch schaut sich die Umwelt an und sagt, okay, die Gletscher schmelzen ab, die Regenwälder werden weniger, es findet Verwüstung statt, aber dass dies für seine eigene Physiologie gravierende Folgen hat, wird dabei eigentlich ausgeklammert. Jedenfalls von denen, die sich nicht speziell diesem Thema widmen müssen wie etwa Sportler. Denn wer in Extremsituationen Sport betreibt, der hat genau im Blickwinkel, dass durch ein, zwei Grad mehr die Leistungsfähigkeit entsprechend vermindert werden kann. Dass ein globaler Klimawandel von bloß zwei Grad plus dazu führt, dass weite Bereiche unseres Globus für Millionen von Menschen nicht mehr bewohnbar sind, weil sie dort gar nicht mehr arbeiten können, weil sie dort physiologisch so gestresst sind, dass sie zusätzliche Erkrankungen haben – dafür fehlt bei vielen im Moment noch das Bewusstsein.
Warum greifen das die Medien nicht vermehrt auf?
Das hängt zum einen damit zusammen, dass wir uns tatsächlich bisher im Bereich der Forschung sehr stark meteorologisch orientiert haben, klimatologisch und im Bereich der Biologie. Die Medizin dagegen hat dieses Thema eigentlich noch nicht richtig erfasst. Ich habe selbst seit mehreren Jahren daran gearbeitet, einen entsprechenden Antrag bei der DFG (der Deutschen Forschungsgemeinschaft) aufzusetzen, es hat dann fast zehn Jahre gedauert, bis tatsächlich im vorigen Jahr ein größerer Forschungsauftrag genehmigt wurde. Nun gehen wir mit elf verschiedenen Institutionen in Deutschland dieses Thema an – insbesondere in der Region, wo sich der Klimawandel wirklich am deutlichsten auf die Lebensbedürfnisse des Menschen und seine Gesundheit auswirkt: die Sahelzone. In der Subsahara leben eine Milliarde Menschen.
Haben Sie einen bestimmten Bereich im Blick?
Mali, Niger und Burkina Faso stehen im Fokus. Das sind Bereiche, in denen wir heute schon in den Sommermonaten Temperaturen haben, bei denen der Mensch drau.en eigentlich nicht mehr arbeiten kann. Die allgemeine Vorstellung ist ja, dass sich der Mensch diesen ein, zwei Grad mehr anpasst, aber von der Physiologie und der Biologie sind da Grenzen gesetzt. Als Menschen bewegen wir uns in einem äußerst komplexen physikalischen System, und mit jedem Grad über 28 Grad WBGT (wet-bulb globe temperature) verringert sich die Leistungsfähigkeit um 10 bis 20 Prozent. Die WBGT ist eine zusammengesetzte Temperatur, die Strahlung, Luftfeuchte, Luftbewegung und Lufttemperatur berücksichtigt und spielt eine entscheidende Rolle für die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden unter Hitzestress. Das heißt, bei konstant 32 Grad WBGT Außentemperatur haben Sie nur noch maximal 50 Prozent Arbeitsfähigkeit. Bei den 300 Millionen Menschen, die in der Sahelzone leben – und von denen sich 90 Prozent in Subsistenzwirtschaft ernähren, sie bauen also nur für den Eigenbedarf an –, sind die Folgen jetzt schon abzusehen.
Und das wären welche?
Wenn diese Menschen nur noch die Hälfte der Zeit haben, um die Ernte einzubringen, dann fehlt erstens die Nahrungsgrundlage, zweitens kommen aufgrund der Unterernährung zusätzliche Krankheiten dazu. Und dann werden als weitere Folge Wanderungsbewegungen einsetzen. Wir sprechen über Hunderte Millionen Menschen, die unter diesen Klimaentwicklungen leiden, das muss auch den Politikern hier bewusst werden. In den Bereichen Subsahara, Arabische Halbinsel, Pakistan und Nordindien sind wir heute schon am Maximum angekommen.
Kann man sagen, wir Europäer seien ignorant? Oder ist der Leidensdruck nicht groß genug? Müsste man in die Diskussion den Aspekt Gesundheit viel stärker einbeziehen, als es derzeit der Fall ist?
In Europa haben erst die Hitzewellen in den vergangenen Jahrzehnten ein Bewusstsein für dieses Thema geschaffen. 2003 hatten wir diese außerordentliche Hitzewelle, auch 2010, 2015, 2017; aber 2003 ist Europa das erste Mal wach gerüttelt worden und hat gespürt, was eine Hitzewelle auslösen kann. Die Schätzungen liegen bei 50 000 bis 70 000 Toten, die dem zuzuschreiben sind – und das bei einer Hitzewelle, die nur zehn Tage gedauert hat. Die Aufarbeitung dieser Katastrophe ist wissenschaftlich eigentlich erst jetzt langsam abgeschlossen. Man hat zum Beispiel gar nicht vorausgesehen, wie wichtig veränderte Nachttemperaturen sind. Eine echte Hitzewelle hat zur Folge, dass im städtischen Bereich die Temperatur rund um die Uhr fast gleich bleibt. Das heißt, die Menschen haben tagsüber schon extreme Hitze und nachts keine Abkühlung.
Welche Folgen haben Hitzewellen für den menschlichen Organismus ganz konkret?
Bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommt es verstärkt zu Kreislaufkollaps und Herzinfarkten, und Menschen mit Nierenleiden oder Stoffwechselerkrankungen sind ebenfalls stark betroffen. Das Perfide ist: Wir reden ja nur über ein paar Grad – mit gravierenden Folgen. Gegenden wie die Subsahara, in denen wir schon seit Monaten hohe Temperaturen haben, fallen irgendwann als Lebensraum für die Menschen weg. Da ist Wüste, da wächst nichts mehr, die Menschen wandern, zunächst in die Großstädte, dann werden sie gen Norden ziehen, wo die Temperaturen im Augenblick noch gemäßigt sind. Ich glaube, all das ist ein „Vorbeben“ und zeigt uns, was auf uns zukommt, wenn sich der Klimawandel wirklich so entwickelt und wir eben nicht die 1,5 Grad sehen und den Klimawandel eindämmen.
Was verändert sich in unserem Körper, wenn es draußen wärmer wird? Über wie viele Gradpunkte sprechen wir? Reichen bereits zwei Grad aus, um etwas zu verändern?
Der Mensch hat seine 37 Grad Körpertemperatur. Die will der Körper halten, eine unglaubliche Kraftanstrengung. Und wenn er scheitert? Physiologen stellen bereits bei 38 Grad Körpertemperatur eine verminderte Leistungsfähigkeit fest, es zeigen sich beginnende Insuffizienzen wie abnehmendes Reaktionsvermögen und Konzentrationsschwierigkeiten. Das muss man sich mal bildhaft vorstellen: Sie sind nur um ein Grad weg von Ihrer Hirntemperatur. Und ein Grad ist nicht viel, mit dem Finger im Wasser kaum spürbar, da spüren wir Zehnergrade. Bei zwei Grad mehr haben Sie erhebliche Einschränkungen, bei drei Grad mehr wird’s gefährlich, und bei vier oder fünf Grad mehr ist dann Feierabend. Sie sind tot.
Was macht der Körper, um seine Temperatur konstant zu halten?
Temperaturregelung ist die zentrale Aufgabe unseres vegetativen Nervensystems. Vor allem die Kombination Schweiß und Hautdurchblutung sorgt dafür, dass ich meine Temperatur halten kann. Das macht die Sache so vertrackt. Wenn ich anfange, kontinuierlich die Temperatur über einen Bereich zu erhöhen, dass ich permanent dagegenarbeiten muss, komme ich relativ schnell in einen Zustand, in dem das Herz-Kreislauf-System und die Nieren dieser Situation nicht mehr Herr werden. Wenn ich dann nicht genug Flüssigkeit aufnehme, meine Ruhephasen zu kurz sind – weil es nachts zu warm ist – und sogar noch Erkrankungen dazukommen wie Diabetes, kann es zu irreversiblen Schäden kommen.
Irreversible Schäden?
Ja. Auch ein erhöhtes Infarktrisiko kann Folge sein oder im Vorstadium eine erhöhte Herz Kreislauf-Belastung, die zur Ohnmacht oder zu Bewusstseinsstörungen führt. Man fühlt sich bei Hitze ja im Kopf immer etwas duselig. Das liegt daran, dass die Gefäße dem Gehirn zu wenig Blut zur Verfügung stellen. Schon bei kleineren Belastungen – beispielsweise eine Wasserkiste in die Wohnung tragen – kann man die muskuläre Belastung nicht mehr entsprechend leisten. Man ist außer Atem, weil für die Muskulatur weniger Blutvolumen zur Verfügung steht. Das Blutvolumen wird durch die Haut geschickt, weil der Körper versucht, Wärme abzugeben. Der Körper hat eine ganz klare Hierarchie, was wichtig ist. Die oberste Priorität lautet: 37 Grad für die Körpertemperatur. Neben dem pH-Wert für den Säure-Basen-Haushalt ist das der am meisten und am schärfsten kontrollierte Wert überhaupt im ganzen Organismus.
Werden Menschen, die schon heute in heißen Gebieten wie der Sahelzone leben, genauso unter einem Temperaturanstieg leiden wie wir Europäer?
Es gibt natürlich spezielle Anpassungen im Bereich der Wüstenbewohner. Eine dunklere Haut schützt vor UV-Strahlung – was nicht ohne ist, denn wenn wir einen Sonnenbrand haben, verlieren wir über diese Stelle sehr viel Flüssigkeit. Was das Herz-Kreislauf-System angeht, gibt es einen ersten Unterschied, die Anzahl der Schweißdrüsen. Nordeuropäer haben eine wesentlich geringere Anzahl als Bewohner des äquatorialen Bereichs. Was noch viel wichtiger ist: Es gibt verschiedene Fähigkeiten, Schweiß zu produzieren. Punkt. Und jetzt kommt ein Absatz. Wenn wir uns zum Beispiel dort hinbegeben und drei, vier Wochen in der Hitze leben, wird unsere Schweißproduktion gesteigert. Das ist ein Mechanismus, der auch uns als Nordeuropäern zur Verfügung steht. Normalerweise können wir anderthalb Liter Schweiß in der Stunde produzieren – wenn wir uns ein paar Wochen in den Tropen aufhalten, können es bis zu vier Liter Schweiß pro Stunde sein.
Warum ist das wichtig?
In besonderen Hitzebelastungen ist das ein deutlicher Schutz, denn Sie können Ihren Körper besser kühlen. Wir erzeugen beim Schwitzen Verdunstungskälte, indem der Schweiß an die Umgebung abgegeben wird. Bei diesem Vorgang des Verdampfens auf der Haut wird dem Körper Wä rme entzogen, und die gesteigerte Hautdurchblutung, die man hat, führt das so gekühlte Blut an der Hautoberfläche, in den Körperkern zurück. Es gibt noch weitere „Tricks“: Der Anteil von Elektrolyten im Schweiß wie Natrium, Kalium oder Kalzium wird gesenkt, sodass sie dem Körper erhalten bleiben. Außerdem schwitzt man mit weniger Elektrolyten „besser“. Evolutionär sehr geschickt, wie ich finde.
Und wie sieht es mit der Langzeitanpassung aus?
Irgendwann sind auch diesen Anpassungsvorgängen Grenzen gesetzt. Man muss erst einmal, das unterschätzt man hier auch, Flüssigkeit finden, die man trinken kann, ohne sich zu infizieren. Hier gehen Sie in den nächsten Supermarkt, dort müssen Sie ein paar Kilometer laufen und können nicht sicher sein, ob die Wasserstelle für Sie geeignet ist. Trinkwasser ist einer der zentralen Engpässe, und das führt natürlich auch, weil diese Regionen unter höherem klimatischen Einfluss sind, noch einmal zu Druck auf die jetzt schon angezapften, teilweise archaischen Wasserstellen. Und wenn Sie Hunderte Millionen von Menschen haben, dann werden auch Hunderte Millionen Liter Wasser am Tag gebraucht, um diese Menschen zu versorgen. Wir müssen zwei, drei Liter am Tag trinken, da haben Sie bei 300 Millionen Menschen schnell eine Milliarde Liter Trinkwasser – täglich! Und das muss ja irgendwo herkommen. Nigeria z.B. hat heute bereits 195 Millionen Einwohner, und damit vermutlich schon bald halb so viele Einwohner wie Europa. Zur der klimatischen Katastrophe gesellt sich somit eine gesellschaftliche und eine ökonomische Notsituation, und zwar nicht in ferner Zukunft, sondern in dem nächsten Jahrzehnt. Menschen, die sich nicht mehr ernähren können, kein Wasser haben, beginnen zu wandern … Wanderungsbewegungen sind ein gesellschaftlicher Seismograf, da folgt ein heftiges Beben, wenn wir nicht in der Lage sind zu steuern. Sei es über die Bevölkerungspolitik, sei es über stabilisierende Maßnahmen in jenen Ländern. Wenn neuerdings in Norddeutschland Aprikosen wachsen oder kein Schnee mehr fällt, ist das nicht lustig und führt in anderen Regionen der Welt dazu, dass sich andere Leute aufmachen. Das wird uns auch treffen. Allein die Dimension ist eine völlig andere. Kenia hat derzeit die meisten Flüchtlinge der Welt. Und diese Verknüpfung, dass das Klima Regionen nicht mehr lebenswert macht und Wanderungen in Gang setzt, ist vielen hierzulande gar nicht bewusst.
Was passiert mit der Psyche, wenn die Außentemperaturen steigen?
Je höher die Temperaturen sind, desto eingeschränkter ist die psychisch- kognitive Leistungsfähigkeit. Von daher ist es nicht von ungefähr, dass sich bestimmte industrielle und ökonomische Entwicklungen in ehemals gemäßigten Breiten wie Mesopotamien entwickelt haben. Bei steigender Temperatur nimmt die Aggression zu; das beruht vermutlich z. T. darauf, dass bei höheren Temperaturen ein Hormon ausgeschüttet wird, Vasopressin, das dafür sorgt, dass man vermehrt Flüssigkeit aus der Niere resorbiert , was sinnvoll ist, aber gleichzeitig zu einer erhöhten Aggression führt, was wiederum das Ansteigen von Gewalttaten bei Hitzewellen erklärbar macht. Ferner was man auch nicht vergessen darf: Im Zuge von Hitzewellen kommt es zur Vereinsamung und zu psychischen Belastungen, weil der soziale Kontakt fehlt, und in der Folge zu psychischen Erkrankungen als Folge der Isolation. Wir sollten also alles tun, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Zwei Grad mehr sind keine Option.
Dr. Hanns-Christian Gunga ist Universitätsprofessor für Weltraummedizin und Extreme Umwelten an der Charité Berlin. Sein aktuelles Buch „Am Tag zu heiß und nachts zu hell“ befasst sich mit den Folgen des Klimawandels für den menschlichen Körper (Foto: Die Hoffotografen).
Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 32. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de