Alles meta oder was?

Alles meta oder was?


Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hofft auf eine virtuelle Welt, das „Metaversum“. Grundstücke werden dort schon für viel Geld gekauft. Doch was steckt eigentlich dahinter?

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hofft auf eine virtuelle Welt, das „Metaversum“. Grundstücke werden dort schon für viel Geld gekauft. Doch was steckt eigentlich dahinter?

Text: Constantin Wißmann, Illustration: Daniel Stolle

Es beginnt ein neuer Tag im Homeoffice. Zuvor haben Sie real geduscht und gefrühstückt, aber sobald Sie, wie jeden Morgen, Ihre Virtual-Reality-Brille aufsetzen, befinden Sie sich in der virtuellen Welt. Ihre Besprechung mit Marta und David aus dem Sales-Team beginnt, aber anstelle von Kacheln am Bildschirm sehen Sie Ihre Kollegen als Avatare in einem virtuellen Konferenzraum sitzen. Martas Haare sind dort pink statt braun, sonst sieht alles ziemlich echt aus.

Nach Feierabend gehen Sie einkaufen, dafür setzen Sie Ihre Augmented-Reality-Brille auf. Die zeigt Ihnen den Weg zum nächsten Supermarkt sowie die von Ihrem Kühlschrank automatisch aktualisierte Einkaufsliste, aber auch eine Werbung für die neue Version des Tennisspiels, das Sie so gern mit Brille und elektronischem Schläger spielen. Abends verabreden Sie sich spontan, um einen Film zu schauen. Da Ihre Freunde über die ganze Welt verstreut leben, schalten sie sich mit Ihnen als Hologramme zusammen. Nach Ende des Films erinnert Sie der intelligente virtuelle Assistent daran, dass jetzt Schlafenszeit ist. Schließlich sollten Sie den Termin morgen nicht verpassen.

So ungefähr könnte er aussehen, der Tag im „Metaversum“ – so lautet der Name des wahlweise „nächsten großen Dings im Internet“, des „Web3“ oder einfach „des neuen Internets“. Jedenfalls zeigen sich viele Investoren bereits ganz aufgeregt und machen Millionenbeträge locker. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist so überzeugt davon, dass er gleich seinen ganzen Konzern in Meta umbenannt hat – was er im Oktober 2021 in einem etwas merkwürdigen Video bekannt gab, durch das die Welt nun auch Zuckerbergs Avatar kennt. Doch was steckt dahinter?

Wie „Cyberspace“, eine Prägung des Romanautors William Gibson, hat „Metaverse“ (so lautet der Begriff auf Englisch) einen literarischen Ursprung. In Neal Stephensons Roman „Snow Crash“ aus dem Jahr 1992 taucht der Protagonist, ein Gelegenheitsprogrammierer und Pizzalieferant in einem dystopischen Los Angeles, in das Metaversum ein, „ein computergeneriertes Universum, das sein Computer auf seine Brille zeichnet und in seine Kopfhörer pumpt“.

Schwarzer Grund unter schwarzem Himmel, wie die ewige Nacht in Las Vegas, so sieht Stephensons Metaversum aus. Es besteht allein aus „der Straße“, einer weitläufigen Allee, in der die Gebäude und Schilder „verschiedene Teile von Software darstellen, die von großen Unternehmen entwickelt wurden“. Die Unternehmen bezahlen eine Einheit namens Global Multimedia Protocol Group für ihren Anteil an digitalen Immobilien. Auch die Benutzer zahlen für den Zugang; diejenigen, die sich nur billigere öffentliche Terminals leisten können, erscheinen im Metaversum in körnigem Schwarzweiß.

Stephensons fiktives Metaversum ist wohl nicht so weit entfernt von dem, was Technologieunternehmen jetzt entwickeln. Im Metaversum können wir flanieren, verschiedene Kleidung tragen, virtuelle Partys veranstalten und uns Eigentum zulegen. Für jede Aktivität in dem, was wir heute für die reale Welt halten, wird ein Äquivalent im Metaversum entwickelt. Natürlich mit den damit verbundenen Möglichkeiten, Geld für diese Aktivitäten online auszugeben. 2021 war der weltweite Metaverse-Markt knapp 39 Milliarden Dollar wert, und er soll laut Prognosen der Berater von Grand View Research bis 2030 einen Wert von etwa 680 Milliarden Dollar erreichen. Das entspräche einem jährlichen Wachstum von fast 40 Prozent.

Die Verschiebung vom realen Leben ins virtuelle hat bereits begonnen. Das Videospiel „Second Life“, 2003 von Linden Lab veröffentlicht, schuf eine virtuelle Welt, in der die Benutzer umherwandern und ihre eigenen Strukturen aufbauen konnten. Land kann dort entweder für US-Dollar oder die Spielwährung Linden Dollar gekauft werden.

„Roblox“, ein 2006 erschienenes Videospiel für Kinder, hat sich in jüngster Zeit zu einer immersiven Welt entwickelt, in der die Spieler kreativ selbst entwerfen und verkaufen können, von Avatar-Kostümen bis hin zu interaktiven Erlebnissen. Anstelle eines einzelnen Spiels wurde „Roblox“ so zu einer ganzen Plattform für Spiele.

„Fortnite“, das 2017 auf den Markt kam, war zu Beginn kaum mehr als ein Ballerspiel. Dann aber entwickelte es sich zu einem immer diffuseren Raum, in dem die Spieler gemeinsam Strukturen bauen oder Konzerte und andere Live-Events im Spiel besuchen konnten. Die Popsängerin Ariana Grande hat dort sogar eine virtuelle Show gegeben. Spieler von „Fortnite“ kaufen angepasste Avatar-Kleider, genannt „Skins“, aber auch spezielle „Moves“, die die Avatare ausführen können – vielleicht wurde Zuckerberg deshalb auf das Tanzen hingewiesen.

Wenn es ein Unternehmen gibt, das darauf vorbereitet ist, vom Metaversum zu profitieren, dann ist es der Hersteller von „Fortnite“, Epic Games. Die Firma, die schon jetzt einen großen Anteil des Spielemarkts besitzt, verkauft auch „Unreal Engine“. Das ist eine dreidimensionale Designsoftware, die überall in der Spieleindustrie und beim Streamen von Blockbustern, wie der „Star Wars“-TV-Serie „The Mandalorian“, verwendet wird. 2021 berief das Unternehmen eine Finanzierungsrunde in Höhe von einer Milliarde US-Dollar ein, um seine „Vision für das Metaversum“ zu unterstützen. Im April dieses Jahres kamen zwei Milliarden Dollar hinzu.

Seither sind sogar schon mehrere Metaversen entstanden, sie tragen Namen wie „Decentraland“ oder „The Sandbox“. Und es wird viel Geld investiert. Vor allem die virtuellen Grundstücke finden Käufer, denn auch dort gibt es einen Immobilienboom. Oft kosten diese Grundstücke einstellige Millionenbeträge. Insgesamt lag der Wert der Verkäufe 2021 bei 500 Millionen US-Dollar, Experten schätzen, dass er sich in diesem Jahr noch einmal verdoppeln könnte. Auch die Währung, in der diese Beträge gezahlt werden, ist neu: Die Käufer erwerben ein einzigartiges digitales Besitzzertifikat, ein sogenanntes Non-Fungible Token (NFT), das die Transaktion auf der Blockchain festhält. Das funktioniert bereits für digitale Schuhe und Kunstwerke – und jetzt eben auch für Grundstücke im Metaversum.

Aber auch die großen Firmen investieren. Microsoft will eine virtuelle Welt für das Arbeitsleben erschaffen und Meetings in digitale Konferenzräume verlagern, in denen die Teilnehmer ihren Kollegen als Avatar begegnen. BMW simulierte den Bau einer Fabrik mithilfe einer Software von Nvidia, um vor Baubeginn Fehler vorhersagen und beseitigen zu können. Die Sportartikelhersteller Nike, Adidas und Puma entwickeln virtuelle Kollektionen.

Lohnt sich das, oder ist alles nur Fantasie? Metaverse-Enthusiasten wie Zuckerberg berufen sich gern auf Matthew Ball. 2020 hat der Risikoinvestor einen Essay veröffentlicht, in dem er darlegt, wie das Metaversum funktionieren wird. Ball erwartet, dass die virtuelle Parallelwelt noch mehr Umsatz generieren wird als heute das Web. „Der Wert, ein wichtiger Teilnehmer, wenn nicht sogar treibende Kraft eines solchen Systems zu sein, liegt auf der Hand: Es gibt keinen ‚Besitzer‘ des Internets“, so Ball, „aber fast alleführenden Internetunternehmen gehören zu den zehn wertvollsten Aktiengesellschaften der Welt.“

Es gibt jedoch auch Skeptiker. Sie verweisen auf die vielen Orte dieser Welt, an denen die Internetverbindung einfach noch zu langsam ist. Wegen der Rechenleistung, die benötigt wird, um ein Metaversum zu betreiben, muss vor allem die künstliche Intelligenz weiterentwickelt werden. Damit etwa die Animation der Nutzer-Avatare natürlich wirkt und die Mundbewegungen authentisch zum Gesagten passen, ist einiges an Forschung gefragt. Aber auch an der Hardware muss gearbeitet werden: Virtual- und Augmented-Reality-Brillen sind noch Jahre davon entfernt, für den Einsatz in einem Metaversum wirklich auszureichen. Auch wenn Facebook mit Oculus schon eine entsprechende Brille und die Software dazu auf den Markt gebracht hat.

Bleibt die Frage, ob diese virtuelle Welt überhaupt gut für uns ist. Auch da sind Zweifel angebracht. Die Gefahren eines Metaversums lassen sich aktuell genauso schwer abschätzen wie seine konkrete Ausgestaltung. Experten gehen aber davon aus, dass es eine deutliche Lebensveränderung mit sich bringen wird – vielleicht sogar die stärkste Disruption, die es je gab. Eine Weiterentwicklung aktueller Tendenzen scheint dabei wahrscheinlich. Das umfasst positive Entwicklungen, etwa die Möglichkeit, immer und von überallher mit fast jedem kommunizieren zu können.

Allerdings werden sich mit der zunehmenden Verlagerung der realen in die digitale Welt sicher auch die negativen Auswirkungen verstärken, die längst durch Filterblasen, soziale Netzwerke oder die ständige Erreichbarkeit existieren. Ein erhöhtes Suchtpotenzial und eine Zunahme psychischer Probleme bei der Nutzung von Computerspielen und sozialen Medien sind bereits erkennbar und könnten sich im Metaversum verschlimmern. Eltern, die schon jetzt ihre Kinder nicht von „Fortnite“ wegbekommen, wissen das.

Klar erscheint aber, dass Facebook, oder eben Meta, auf lange Sicht auch danach streben wird, das Metaversum zu dominieren, ähnlich wie es das Unternehmen schon im „normalen“ Internet macht. Die Wachstumsstrategie von Facebook in den vergangenen zehn Jahren lässt keinen anderen Schluss zu. So wie Facebook kleinere Social-Media-Plattformen gekauft, übernommen und überholt hat, bis es einem Monopol glich, könnte Mark Zuckerbergs Meta versuchen, auch den gesamten virtuellen Raum zu kontrollieren. Noch allerdings ist die große Hoffnung des Silicon Valleys ein Versprechen, an das vor allem Computer-Nerds glauben. Doch selbst Apple-Chef Steve Jobs hätte sich bei der Präsentation des iPhones im Jahr 2007 wohl kaum vorgestellt, dass wir darüber nicht nur Musik hören und telefonieren werden, sondern auch unsere Überweisungen erledigen, Flüge buchen und im Restaurant bezahlen. Das nächste große Ding, es müsste nicht einmal mehr real sein.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 37. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

Diesen Artikel empfehlen