Essbare Innovationen: Das kommt in Zukunft auf den Tisch

Essbare Innovationen: Das kommt in Zukunft auf den Tisch


Die Lebensmittelproduktion rückt angesichts von Klimawandel, Energiewende, ausgelaugten Böden, Biodiversitätsverlusten und wachsender Weltbevölkerung in den Fokus. Um die Herausforderungen zu meistern, sind neue Lösungsansätze gefragt – auch die Rolle der Stadt wird sich ändern.

Die Lebensmittelproduktion rückt angesichts von Klimawandel, Energiewende, ausgelaugten Böden, Biodiversitätsverlusten und wachsender Weltbevölkerung in den Fokus. Um die Herausforderungen zu meistern, sind neue Lösungsansätze gefragt – auch die Rolle der Stadt wird sich ändern.

Text: Christian Schön, Foto: Yein Jeon / YEINISM / Shutterstock

In der Science-Fiction-Serie „Star Trek: The Next Generation“ war ein Gerät namens Replikator zu sehen, das jeden beliebigen Gegenstand, jedes Nahrungsmittel in wenigen Sekunden herstellen konnte. Und tatsächlich gibt es bereits heute 3-D-Drucker, die diese Zukunftsvision ein Stück weit Wirklichkeit werden lassen. Derzeit lassen sich damit vor allem Lebensmittel auf Schokoladenbasis, Kartoffelbrei oder Produkte aus Teig, etwa Kekse, herstellen. Bald soll es auch Fleisch auf Knopfdruck aus dem Drucker geben – nur eine von zahlreichen technischen Innovationen im Bereich der Lebensmittelherstellung, an denen derzeit intensiv geforscht wird.

In der Erprobung sind auch Präzisionsfermentationsverfahren mit Mikroben: Das Berliner Unternehmen Formo stellt aus Hefezellen Milchprotein her, das zu Käse weiterverarbeitet wird. Ähnlich lassen sich in Bioreaktoren andere tierische Produkte erzeugen. Im Labor gezüchtetes „Clean Meat“ soll künftig einen wesentlichen Beitrag zur umweltfreundlichen Proteinversorgung leisten, als Alternative zu Fleisch aus Massentierhaltung. Weitere potenzielle Eiweißlieferanten sind Insekten und Quallen. Hier besteht die Herausforderung darin, Zubereitungsformen zu entwickeln, die mit den menschlichen Essgewohnheiten kompatibel sind. Als weitere Kandidaten zur Sicherstellung der Nährstoffversorgung gelten Makroalgen und salztolerante Pflanzen, die sogenannten Halophyten.

Parallel zu den technischen Innovationen verstärken sich Trends wie die Umstellung auf nachhaltige, lokale Nahrungsmittelproduktion. Angesichts der fortschreitenden Urbanisierung stellt sich die Frage, welche Rolle die Städte selbst bei der Sicherung der Ernährung künftig spielen könnten. Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten, im Jahr 2050 sollen es fast 70 Prozent sein. Ein wichtiger Aspekt ist damit nicht nur, wie, sondern auch wo Lebensmittel in Zukunft produziert werden.

Innovation der Nahrungsmittelproduktion: der Food Campus Berlin

Die Stadt ist immer ein Zukunftslabor, angefangen bei der Forschung über Foodtrends bis hin zu neuen Lebensweisen. Einer der Orte, an denen Nahrungsmittelproduktion erforscht, erprobt und erneuert werden soll, ist der Food Campus Berlin. Am Ufer des Teltowkanals in Tempelhof entsteht auf einer Fläche von 14000 Quadratmetern ein Ort der Zukunft. Dort sollen die Lebensmittelproduktion und die Ernährung der Menschheit neu gedacht und gestaltet werden. Auf mehr als 40000 Quadratmetern wird es gläserne Produktionsstätten, Büros, Labore, Eventbereiche, Restaurants, Showrooms und eine Kantine geben. Auch wenn das Gebäude am Tempelhofer Ufer erst 2024 fertiggestellt wird, haben die inhaltliche Arbeit und Kooperationen mit Unternehmen längst begonnen. Der Geschäftsführer des Food Campus Berlin, Jörg Reuter, vertritt einen ganzheitlichen Ansatz. Der Agraringenieur beschäftigt sich seit vielen Jahren mit allen Aspekten der nachhaltigen Ernährung – vom Anbau über die Vermarktung bis zur Kulinarik.

Die Initiative des Campus geht auf den Gründer der Artprojekt-Gruppe zurück: Thomas Hölzel verfolgt bereits seit 1985 seine Leitidee, lokale Antworten auf globale Fragestellungen zu finden. Der Food Campus Berlin soll zu einem „Transformationsbeschleuniger der Ernährungswende“ werden. Im Zentrum steht laut Geschäftsführer Reuter die Vision der Ernährung der Menschheit innerhalb der Grenzen dieses Planeten. Deshalb stehe keine Ideologie im Mittelpunkt, sondern der Gewinn, in jeder Hinsicht: „Wir müssen Nachhaltigkeitssysteme profitabel machen, damit Unternehmen sie wie selbstverständlich einsetzen und sie nicht als Feigenblatt dienen.“ Nur wenn innovative Lösungen bezahlbar seien und in der breiten Masse an-kämen, könnten sie in einem globalen Maßstab wirken. Reuter weiß, dass es „nicht nur um Innovation, sondern um Impact“, um die anhaltende Wirkung, geht. Schließlich sei die Lebensmittelindustrie für ein Drittel der ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich.

Die Rolle der Stadt bei der Ernährungswende

Die Zukunft der Ernährung beschäftigt auch Professor Dr. Philipp Bouteiller – seit Kurzem geschäftsführender Gesellschafter der Artprojekt-Gruppe –, und zwar aus der Perspektive des Stadtplaners. Bouteiller stellte sich bereits als Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH zentralen Fragen wie: „Wie können wir die Stadt besser machen? Welche technologischen und planerischen Ansätze können wir entwickeln, um gesunde, nachhaltige und resiliente Städte zu bauen?“

Dabei spielen Aspekte wie Biodiversität, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Mobilität und Partizipation eine Rolle. Allerdings, gibt Bouteiller zu bedenken, bleibe Selbstversorgung in der Stadt auch in Zukunft eine große Herausforderung. Daher sind Lösungen wie Urban Farming in industriellem Maßstab gefragt. Sie sind geradezu das Gegenteil eines Stadtidylls, bei dem sich alle beteiligen: eine keimfreie Umgebung, in der nur wenige Menschen arbeiten.

Was man sich konkret unter Urban Farming vorstellen kann, lässt sich an zwei Start-ups aus Berlin veranschaulichen. Die ECF Farm Berlin betreibt eine Kombination von Urban Farming und Aquaponik. Letzteres ist ein Verfahren, das klassische Fischproduktion mit der Kultivierung von Nutzpflanzen koppelt. Die Buntbarschzucht sorgt quasi nebenbei für den Dünger, der dem Wachstum von Basilikum dient – zwei sich ergänzende Kreisläufe.

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt InFarm. Das Vertical-Farming-Unternehmen, das in Berlin gegründet wurde und dort auch produziert, hat inzwischen zahlreiche internationale Kooperationspartner. Die Grundidee ist bei allen die gleiche: Die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit Gemüse, Salat, Pilzen, Kräutern soll direkt vor Ort in vertikalen Farmen, also mehrstöckigen Gebäuden, sichergestellt werden.

Lösungen und Konzepte wie diese helfen nicht nur, die Lebensmittelproduktion in die Städte zu bringen und ressourcenschonend zu gestalten, sondern auch, den Lebensstandard zu halten oder zu steigern. Bouteiller betont: „Wir brauchen ein positives Narrativ. Es muss Spaß machen, nachhaltig zu leben.“

Kulinarik als zentraler Bestandteil der Zukunft der Ernährung

Solange innovative Lebensmittel nur als teure Luxusgüter verfügbar sind oder nicht zu den Ernährungsgewohnheiten der Menschen passen, wird die Ernährungswende also nicht stattfinden. Neben der Entwicklung bezahlbarer Lebensmittel kommt deshalb der Kulinarik auf dem Food Campus Berlin eine tragende Bedeutung zu. Jörg Reuter unterstreicht: „Die Schlacht um eine nachhaltige Zukunft wird auf dem Teller gewonnen.“ Denn während man nur alle 30 bis 50 Jahre ein Haus baue, stelle sich die Frage nach dem Essen jeden einzelnen Tag. Innovationen in der Lebensmittelindustrie müssen darum mit der Kochkunst und dem Food-Handwerk Hand in Hand gehen. Im Zentrum steht auch in Zukunft der Genuss beim Essen, der bei allen technischen Neuerungen nicht vergessen werden darf.

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