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Eurokurs: Nach 20 Jahren Parität erneut erreicht. Der Kommentar von Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank, zu den Entwicklungen an den Finanzmärkten vom 15. Juli 2022.

Eurokurs: Nach 20 Jahren Parität erneut erreicht. Der Kommentar von Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank, zu den Entwicklungen an den Finanzmärkten vom 15. Juli 2022.

Autor: Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank
Beitragsfoto: Iryna Mylinska / Shutterstock

Von Sommerflaute kann man angesichts der aktuellen Nachrichtenlage in diesem Jahr bisher nicht sprechen. Alle Augen richten sich auf die begonnene Wartung der russischen Gaspipeline Nord Stream 1 – verbunden mit der Frage: „Tut er es oder tut er es nicht?“. Wie wir die aktuelle Situation einschätzen, lesen Sie in der heutigen Ausgabe von Finanzmarkt aktuell.

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Wie das Kaninchen vor der Schlange

Die Nachricht, dass in dieser Woche die jährlichen Wartungsarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 begonnen haben, wäre in vergangenen Jahren lediglich ein Lückenfüller im nachrichtenarmen Sommerloch gewesen. Anders sieht es in diesem Jahr aus: Die einseitige Abhängigkeit Europas von russischem Gas ist seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges schmerzhaft sichtbar geworden. Die Politiker versuchen mit Hochdruck, diesen Umstand zu verändern. Leider ist dies jedoch, anders als bei Öl und Kohle, nicht kurzfristig möglich. Der Mann im Moskauer Kreml sitzt am längeren Hebel und könnte Europa mit einem Stopp bzw. eine weiteren Verzögerung der Gaslieferungen einen empfindlichen ökonomischen Schaden zufügen. Der entscheidende Tag, bis zu dem das Bangen anhält, wird der 22.7.2022 sein. Dann sollen die Wartungsarbeiten offiziell beendet sein. Fließt dann das Gas wieder, haben wir die Chance, unsere Speicher weiter aufzufüllen und wirtschaftlich mit einem blauen Auge davonzukommen. Das Wirtschaftswachstum würde sich wahrscheinlich aufgrund der anhaltenden Lieferkettenprobleme, der gestiegenen Energiekosten und dem veränderten Zinsumfeld weiter abschwächen, aber in diesem Jahr positiv bleiben. Anders sieht es hingegen aus, wenn die Gaslieferungen gestoppt oder stark verzögert werden. Dann ist in Deutschland und auch in Europa mit einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsentwicklung zu rechnen. Leider kennt auch Moskau diese Szenarien und wird vermutlich versuchen, einen Vorteil daraus zu schlagen.

Parität nach 20 Jahren erneut erreicht

Die Inflationsraten befinden sich international weiterhin auf Rekordniveaus und halten den Handlungsdruck auf die Notenbanken hoch. Weltweit werden in Reaktion darauf die Zinsen angehoben. Im Mai erhöhte knapp ein Drittel aller Zentralbanken die Zinsen. Auch die jüngst veröffentlichte US-Inflationsrate von 9,1 % konnte nicht für Entspannung sorgen. Solange es die wirtschaftliche Situation zulässt, liegt der Fokus somit klar auf Inflationsbekämpfung. Die US-Notenbank wird somit im Juli einen weiteren kräftigen Zinsschritt von mindestens 0,75 % vollziehen. Die EZB hinkt weit hinterher und wird pikanterweise am 21.7.2022, also einen Tag vor der Auflösung der Gas-Stopp-Frage, einen ersten, aber mit 0,25 % vergleichbar kleinen Zinsanstieg vollziehen. Die unterschiedliche Dynamik in der Zinsentwicklung diesseits und jenseits des Atlantiks sowie das unterschiedliche wirtschaftliche Momentum haben den US-Dollar in den vergangenen Wochen erneut unterstützt. Die sogenannte Parität, also ein Umtauschkurs von 1:1 beim Währungspaar Euro US-Dollar wurde nach 20 Jahren erneut erreicht. Der Dollar hat somit in diesem Jahr schon ca. 12 Prozent gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung aufgewertet. Im Fall verzögerter oder ausfallender Gaslieferungen ist mit einer weiteren Stärke des US-Dollars zu rechnen.

Schwarz- oder Weiß-Szenario

Fasst man die geschilderten Rahmendaten zusammen, so landet man relativ schnell bei einem Schwarz- oder Weiß-Szenario. Entweder haben wir eine deutliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und einen erneuten Druck auf Risikoanlagen zu verkraften, oder wir haben die Chance auf eine Stabilisierung der Situation, gepaart mit freundlicheren Börsenkursen. Wie geht man also mit dieser Situation um? Wir raten dazu, „extreme“ Positionierungen zu vermeiden und nicht alles auf das Eintreten eines bestimmten Szenarios auszurichten. Alles zu verkaufen und auf Liquidität zu setzen, ist für den langfristigen Anlageerfolg genauso gefährlich, wie sich prozyklisch auf bestimmte Anlagesegmente wie beispielsweise Rohstoffe oder einzelne Währungen zu konzentrieren. Historische Ereignisse, die sich auf einen Tag zuspitzten, wie das Brexit-Referendum oder die griechische Schuldenkrise, haben dieses immer wieder eindrucksvoll bewiesen. Vielmehr gilt es, die Anlagen ausreichend international aufzustellen, einen Fokus auf die fundamentale Qualität der Wertpapiere zu legen und gerade in diesen Zeiten langfristig zu agieren. Wir haben den defensiven Charakter der von uns verwalteten Depots in den vergangenen Wochen durch die weitere Reduzierung zyklischer Abhängigkeiten und die Stärkung von in historischen Krisen robusten Anlagesegmenten, wie beispielsweise Telekommunikationsunternehmen sowie Staatsanleihen bester Bonität, ausgebaut.


Daniel Schär, Leiter Portfoliomanagement Weberbank Actiengesellschaft

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