Peter Riegelbauer: Botschafter nuancierter Zwischentöne

Peter Riegelbauer: Botschafter nuancierter Zwischentöne


Seit mehr als 40 Jahren prägt der Kontrabassist Peter Riegelbauer die tiefen Klangfarben der Berliner Philharmoniker. Als Geschäftsführer der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker e.V. engagiert er sich leidenschaftlich für die Virtuosen von morgen.

Seit mehr als 40 Jahren prägt der Kontrabassist Peter Riegelbauer die tiefen Klangfarben der Berliner Philharmoniker. Als Geschäftsführer der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker e.V. engagiert er sich leidenschaftlich für die Virtuosen von morgen.

Text: Antonia Munding, Foto: Birgit Kaulfuß

Angekommen sei er hier „out of the Blue“, sagt Peter Riegelbauer. 1979 war das, aus der fränkischen Provinz direkt in die Inselstadt Berlin. Riegelbauers Blick schweift zu den Oberlichtern im Foyer des Kammermusiksaals. In den Scheiben spiegelt sich die Vormittagssonne, wirft die Konturen der Fenster in doppelter Länge auf den Boden. Ein Korridor aus Licht, der den Kammermusiksaal mit dem großen Konzertsaal der Philharmonie verbindet. Nach dem Abitur wollte Riegelbauer eigentlich Malerei studieren. „Nie wäre ich damals auf die Idee gekommen, mich direkt auf eine feste Position bei den Berliner Philharmonikern zu bewerben“, sagt er und zieht das „Nie“ mit Nachdruck in die Länge. Dass er als Kontrabassist inzwischen seit über 40 Jahren die tiefen Klangfarben der Philharmoniker zeichnet, verdanke er Herbert von Karajans Idee einer Orchesterakademie. Sein Elternhaus in Georgensgmünd sei „kein Musikerhaushalt“ gewesen, erklärt Peter Riegelbauer. Er habe zwar ein bisschen Klavier gespielt, doch als Kind zieht es ihn zur Rockmusik. Mit Gleichgesinnten gründet Riegelbauer eine Schulband, will darin unbedingt E-Bass spielen. „Das schien mir leichter als die Leadgitarre.“ Die freie Kontrabassstelle im Schulorchester reizt ihn wegen des Unterrichts, „denn wenn man klassischen Kontrabass lernt, schafft man es auch einigermaßen auf dem E-Bass“, sagt Riegelbauer und lacht. Unvoreingenommen profitiert er von beiden Richtungen, Rock und Barock, irgendwann überwiegt die klassische Ausrichtung. Ein Freund empfiehlt ihn ans Musikkonservatorium in Nürnberg, wo er Jungstudent von Georg Hörtnagel wird, der für viele Jahre sein wichtigster musikalischer Mentor bleibt. Aber erst nach dem Zivildienst reift der Wunsch, Musik zu studieren. Riegelbauer bleibt Nürnberg und seinem Lehrer treu, spielt im Bundesjugendorchester und in der Jungen Deutschen Philharmonie. Dort kommt er zum ersten Mal mit dem „basisdemokratischen Geist“ innerhalb eines Orchesters in Berührung, erlebt, wie sich Haltung und Einstellung jedes Einzelnen auf den Gesamtklang auswirken.

Ein Basskollege schwärmt von der Orchesterakademie in Berlin, die Karajan 1972 gegründet hat: das erste praxisorientierte Exzellenzprogramm für Instrumentalisten, vom Maestro gegen den Widerstand seiner Orchestermusiker durchgesetzt. Eine revolutionäre Idee – die bald von allen großen Orchestern kopiert werden soll. Karajan hat erkannt, dass es nicht ausreicht, einfach die größten Talente ins Orchester zu holen. Zu einem Berliner Philharmoniker gehöre einfach mehr, sagt Peter Riegelbauer. Das Wichtigste: „Sich nicht einfach nur unterordnen, sondern selbst initiativ sein, offensiv spielen, voller Mut, Leidenschaft, auch Freude am Risiko, aber gleichzeitig gemeinschaftlich denken, die anderen mitnehmen. Wir wollen hier niemanden, der sich passiv an die anderen hängt oder hinter dem Stimmführer verschwindet, sondern einen, der mutig selbst Impulse setzt.“ Eine historisch gewachsene Haltung, entstanden aus einer Meuterei ausgebeuteter Musiker, die ihren Dirigenten und auch jede Vakanz in demokratischer Abstimmung selbst wählten und sich 1882 mit Hans von Bülow den modernsten Dirigenten ihrer Zeit ins Orchester holten, erklärt Riegelbauer.

Von diesem Geist nähre sich der spezifische Klang des Orchesters – woraus sich für jede Instrumentengruppe eine konkrete Forderung ergebe: in der Tongebung lieber satt und rund, in der Klangfarbe eher dunkel als hell. Es gehe darum, das Ohr als wichtigstes Organ zu etablieren: „Genau in das, was die anderen anbieten, hineinzuhören und durch die eigene selbstbewusste Tongebung zu bereichern.“ Ein Orchester aus 128 Virtuosen? „Ja“, sagt Peter Riegelbauer, „Virtuosen, die sich zurücknehmen können, wenn es darauf ankommt, kammermusikalisch musizieren, einen satten Tutti-Klang herstellen, aber auch als Solisten brillieren.“

Karajan etablierte den besonderen „Berliner Philharmonischen Klang“ durch seine zahlreichen Einspielungen als internationale Marke und sorgte mit der Gründung der Akademie zugleich für dessen Pflege. „Visionär“, sagt Riegelbauer, der zur ersten Generation erfolgreicher Stipendiatinnen und Stipendiaten zählt. 1980 spielt er an der Akademie vor: das Kontrabasskonzert von Sergej Koussewitzky, das bis heute zu den Standard Vorspielstücken zählt; bereits ein Jahr später gewinnt er das Probespiel für die freie Kontrabassstelle im Orchester. „Seitdem bin ich fest mit den Berliner Philharmonikern verwachsen“, sagt Riegelbauer, der nie in einem anderen Profiorchester gespielt hat und sich früh in den unterschiedlichen Gremien engagiert: „Philharmonische Gemeinschaft“, Personalrat, Fünferrat, Orchestervorstand, Stiftungsvorstand. Seit 2015 ist er Geschäftsführer der Akademie – wobei er die Bezeichnung Geschäftsführer nicht mag, zu „unkünstlerisch“ klinge das. Hat sich der spezifische Sound mit den Dirigenten gewandelt? Mit vier Chefdirigenten hat Riegelbauer intensiv gearbeitet. Als junger Philharmoniker erlebte er Karajan in dessen letzten Jahren als Dirigent. „Auf mich wirkte er unnahbar, es gab eine riesige Distanz zwischen ihm und gerade uns jungen Musikern, die er vielleicht so gar nicht gewollt hat. Aber wir wagten nicht, auf ihn zuzugehen. Er probierte mit großer Autorität, wusste immer ganz genau, was er wollte – doch im Konzert hat er losgelassen, das Orchester konnte abheben, fliegen.“ Riegelbauer sieht aus dem Fenster. „Karajan ließ sich mit geschlossenen Augen vom gemeinschaftlichen Klang tragen. Der Raum, das Publikum wurden durch seine Aura tatsächlich verwandelt.“ Magie, die er bei heutigen Dirigenten, die alles kontrollieren wollen und dabei vergessen, wirklich hinzuhören, manchmal vermisse. „Aber selbst wenn ein Dirigent oder eine Dirigentin einmal nicht überzeugen, müssen wir so spielen, als wären wir völlig eins“, sagt Riegelbauer und erklärt, dass sie niemanden brauchten, der einfach nur stoisch den Takt durchschlägt. Besonders hineingehört habe Claudio Abbado: „Der war in den Proben und im Konzert immer ganz Ohr. Er nahm erst einmal auf, was wir ihm anboten, und reagierte dann. Die Aufführungen der Mahler-Sinfonien mit ihm waren einzigartig“, schwärmt Riegelbauer.

Natürlich sei die Klangmarke „Berliner Philharmoniker“ nicht in Stein gemeißelt und habe sich mit den Dirigenten – nicht nur mit den Chefdirigenten – verändert. Aber den unabhängigen, gemeinschaftlichen Geist halte man hoch, sagt Riegelbauer. Den erwarte er auch von den Stipendiaten der Akademie. „Wenn da jemand nur auf das Display seines Smartphones starrt, ohne seine Mitmenschen wahrzunehmen, geht das nicht lange gut.“

Die Akademie, zu deren Förderern die Weberbank zählt, wird 2022 ihr 50-jähriges Bestehen feiern. Peter Riegelbauer freut sich, dass beinahe alle der bislang 1000 Absolventinnen und Absolventen ihren Platz in Spitzenorchestern gefunden haben. 43 von ihnen sitzen inzwischen auch an den Pulten der Philharmoniker. Vieles habe sich in den vergangenen Jahren verändert, erzählt Riegelbauer. Er selbst hat Masterclasses eingeführt, in denen externe Solisten unterrichten, ein Probespiel-Coaching, inzwischen gibt es auch Fördermittel für ein Dirigenten- und Komponisten- Stipendium und Partnerschaften mit Universitäten in Japan und Israel – von denen das ganze Orchester profitiere. Stolz ist Riegelbauer auf die rege internationale Konzerttätigkeit seiner Stipendiatinnen und Stipendiaten, die in den vergangenen Jahren enorm zugenommen habe: „Allein in der Saison vor Corona haben sie 30 Konzerte in unterschiedlichsten Formationen gespielt.“ Insgesamt sei die Akademie heute sehr viel internationaler aufgestellt als zu Karajans Zeiten – auch weil der Reiseaufwand inzwischen geringer sei. „Sorge macht mir der deutsche Nachwuchs“, sagt Riegelbauer. „Neben den vielen Bewerbern aus Spanien, Portugal, den USA, Australien und insbesondere aus Asien fallen die wenigen deutschen kaum noch ins Gewicht.“ Da müsse sich dringend etwas im Ausbildungssystem ändern, in der Hochschulpolitik, aber auch schon viel früher, in der Förderung exzellenter Musikschulen.

Just an dem Ort wirken zu können, wo seine eigene Karriere begann, mache ihn glücklich, erklärt Peter Riegelbauer. Die Akademie trage dazu bei, dass die Institution der Berliner Philharmoniker lebendig bleibe: „Wir brauchen kein musikalisches Museum“, sagt er. Konkret bedeute das, sich immer wieder neues Repertoire mit den Stipendiatinnen zu erarbeiten, alte wie zeitgenössische Musik, die ihm als Mitbegründer des Scharoun Ensembles besonders am Herzen liege. Um den Unterricht mit den Stipendiaten, die aus 18 Nationen derzeit in Berlin studieren und während des Lockdowns zum Teil in ihre Heimatländer zurückkehren mussten, nachhaltig zu sichern, initiierte die Akademie die Videoplattform Sirius. Das Soundtool, das eigens dafür entwickelt wurde, Klang und Dynamik möglichst authentisch zu übermitteln, hilft inzwischen auch regionalen Musikschulen, die aus Platzgründen sonst keinen weiteren Unterricht anbieten können. „Wir wollen mehr sein als eine elitäre Truppe“, erklärt Riegelbauer, „wir wollen mit exzellenter Musik Botschafter sein für ein differenziertes Musizieren, für nuancierte Zwischentöne und ein kulturelles Miteinander.“

Der große Konzertsaal, dessen Bau Karajan einst gegen die politischen Widerstände durchsetzte und der wie kaum ein anderer Saal die Kommunikation zwischen Publikum und Musikern intensiviert, ist für Peter Riegelbauer der Ort, an dem der Klang der Berliner Philharmoniker am schönsten lodert. „Als ob man um ein Lagerfeuer sitzt“, sagt er.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 34. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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