Abenteuer finanzieren

Abenteuer finanzieren


Judith Dada verließ Facebook, um Co-Geschäftsführerin und Partnerin beim Berliner Wagniskapitalgeber La Famiglia zu werden. Mit gerade mal 25 Jahren. Ihr Ziel: für B2B-Start-ups Brücken in traditionelle Industrien bauen – und sich davon inspirieren lassen.

Judith Dada verließ Facebook, um Co-Geschäftsführerin und Partnerin beim Berliner Wagniskapitalgeber La Famiglia zu werden. Mit gerade mal 25 Jahren. Ihr Ziel: für B2B-Start-ups Brücken in traditionelle Industrien bauen – und sich davon inspirieren lassen.

Text: Marcus Müller, Foto: Patrice Brylla

Was macht eigentlich eine Wagniskapitalgeberin? Judith Dada lacht kurz so laut und fröhlich auf, dass ihr auf dem Parkett liegender Hund Plato interessiert den Kopf hebt. Dann antwortet sie prompt und persönlich: „Das versuche ich meiner Familie auch immer wieder zu erklären. Denn zum Bedauern meines Vaters bin ich nicht Ärztin geworden, was sich sooo einfach erklären ließe.“ Aber natürlich kann sie auch den Kern ihres Geschäfts erläutern. „Also: Wir suchen nach Menschen, die Ideen für die Lösung wichtiger Probleme haben.“ Denen beschafft La Famiglia das nötige Kapital. Schon während des Pre-Seeds oder Seeds, also bei der „Aussaat“ in der Frühphase eines Start-ups, meist noch vor dem eigentlichen Markteintritt. La Famiglia hat hauptsächlich künftige Unternehmen im Blick, die auf neue Technologien, Automatisierung, Daten setzen, in der Logistik, der Prozessindustrie, im Finanzsektor, die ein B2B-Geschäftsmodell haben. Und die nicht weniger sollen, als den Markt einmal „zu disruptieren oder zu befähigen“, betont die Venturecapital-Managerin.

So weit, so bekannt, könnte man jetzt sagen. Doch Dada weitet schnell und energisch die Perspektive. Sie spricht von den großen Chancen des digitalen Strukturwandels. Und den Problemen, die er in Deutschland noch habe. „Beim Business-to-Business gibt es ein David Goliath-Verhältnis. Ein mittelständisches Unternehmen soll plötzlich eine Lösung von einem Start-up kaufen, das vor einem halben Jahr noch gar nicht existierte – das kann schwierig sein.“ La Famiglia baut dort Brücken, öffnet Türen zu Entscheidungsträgern und -trägerinnen in etablierten Industriezweigen. Denn, auch daran lässt sie keinen Zweifel, das Knowhow in Wissenschaft und Industrie ist in Europa und Deutschland herausragend. Sie zählt Universitäten auf, die Automobilindustrie, die Logistik- und die Medizinbranche, aktuell die Impfstoffentwicklung von Biontech. „Viele verstehen, dass die Welt sich ändert, dass die Wertschöpfung sich ins Digitale transformiert und an manchen Stellen auch abwandert. Bei dieser neuen Disruptionswelle dabei sein zu wollen, das muss hier und da noch etwas mehr aktiviert werden.“ Am besten mithilfe von Start-ups, findet sie. Ein viel zitiertes Bonmot dafür hat Dada auch schon geprägt: „Wir können in Europa kein neues Amazon bauen, aber vielleicht ein neues Siemens“, sagte sie in einem Podcast des Berliner Weizenbaum-Instituts, eines Forschungsverbunds.

Etwas wagen, das will Dada auch selbst. Ärztin war ihr erster Berufswunsch, dann stand Journalistin ganz oben auf der Liste. Die gebürtige Münchnerin schrieb für die Zeitung ihrer Schule – was ihr schon damals für ihre persönliche Energie nicht ausreichte. So sang sie noch im Chor, spielte Theater, war Schülersprecherin, rechnete im Matheklub. „Ich habe schon immer gefühlt alles gemacht“, sagt sie. Als Investorin stellte sie sich seinerzeit nicht vor. Erst mal leitete sie neben ihrem Kommunikations- und Wirtschaftsstudium an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ein großes Studierendenmagazin. Das Papierprodukt brachte sie online, fing Feuer für digitale Technologien und landete im Studiengang Management und Digitale Technologien. Dort saß sie neben Studenten aus Informatik oder Webtechnik, und alles drehte sich um Daten, digitale Technologie und digitales Unternehmertum. „Ich bin damals in diese Welt eingetaucht und bis heute nicht wieder aufgetaucht“, sagt sie.

Auf München folgten Oxford und eine steile Karriere. Am Internet Institute der University of Oxford arbeitet sie mit riesigen Datensätzen und Statistiken. Sie ist begeistert vom Konzept des „social graph“, des sozialen Netzwerks, auf dem Facebook basiert. „Dieser unglaubliche Datensatz, der im Hintergrund agiert, das ist ein so faszinierendes technologisches Konzept“, sagt sie, „dass ich wirklich große Lust hatte, für das Unternehmen tätig zu werden.“ Und so kommt es nach dem Master in Oxford auch. In Dublin betreut sie bei Facebook einen der größten globalen Accounts, das Europageschäft von Amazon. Außerdem ist sie für die Start-up-Initiative von Facebook verantwortlich, ein Förderprogramm für junge Unternehmen. Wie das Leben so spielt: Teil der Initiative sind Venturecapital-Geber, VCs, wie Dada sie nennt. Darunter das VC La Famiglia, gegründet von Jeannette zu Fürstenberg – die auch die erste Investorin der Firma des damaligen Freundes und heutigen Ehemannes von Dada ist.

Nach anderthalb Jahren sagt sie Facebook bye-bye. Jeannette zu Fürstenberg sucht für La Famiglia Verstärkung in Berlin. „Wir haben uns bestens verstanden“, erinnert sich Dada, „am Ende hat mein Bauchgefühl entschieden.“ Sie wagt 2017 den Wechsel in den „damals noch unbekannten und sehr geheimnisvollen La-Famiglia-Fonds“. Facebook hält sie weiterhin für ein „tolles und unglaublich starkes“ Unternehmen, das viel in Talente und Mitarbeitende investiere. Aber in dem Riesenkonzern sei sie tatsächlich nur ein kleines Rädchen gewesen, das für zwei Unternehmen, denen es „super“ gehe, auf großer Ebene hohe Geldsummen optimiert habe. „Das war für mich nicht mehr der beste Return of Time“, sagt Dada. Auch bei diesem Thema weitet sie schnell die Perspektive. „Ich habe den moralischen Anspruch, mit den mir offenstehenden Mitteln das voranzutreiben, was ich in der Welt gerne sehen möchte.“ Und das ist: „Die zukünftige Wohlstandssicherung in Europa, einen gewissen Leistungsgedanken hochzuhalten und den Disruptionsgedanken in die Welt zu tragen.“

Der Wechsel ist abermals ein Schritt in eine neue Welt. Denn: „VC studiert man nicht, es ist Learning by Doing.“ Also verschlingt Dada fünf Bücher zum Thema und macht einfach. Schon ihr erster bei La Famiglia mitaufgelegter Fonds hat ein Volumen von 35 Millionen Euro. Vergangenes Jahr kam die zweite Fondsgeneration mit 62 Millionen Euro hinzu – zwölf Millionen mehr als angestrebt. Das Geld stammt unter anderem von Mitgliedern aus Familien wie Miele, Oetker oder Swarovski. Gute Voraussetzungen fürs Brückenbauen in traditionelle Industrien. In rund 30 Firmen floss das Geld des ersten Fonds. Wesentlich an ihrem Geschäft sei es, die finanzierten Start-ups lange und intensiv zu begleiten, sagt Dada. La Famiglia sei nicht nur der Investor, der einen kleinen Unternehmensanteil bekommt: „Wir sind auch Teil des erweiterten Gründungsteams. Wir bieten viel mehr – Unterstützung, Netzwerke, Know-how oder auch Cheerleading, also Ansporn.“ Sie lacht, bevor sie fortfährt: „So eine Geschäftsbeziehung dauert länger als die durchschnittliche Ehe. Wobei ich gerade gar nicht weiß, wie lange die Durchschnittsehe hält.“ Auf bis zu zehn Jahre veranschlagt sie jedenfalls das Engagement eines VC in einem Start-up.

Kopfschütteln bei der Work-Life-Balance. Wir treffen Dada „remote, neues Trendwort“, wie sie sagt, also in ihrem Homeoffice. Allerdings sei das bei La Famiglia schon vor Corona üblich gewesen. Die 29-Jährige öffnet in dunkelblauem Businessdress und barfuß die Tür. Beim Gespräch sitzt sie entspannt in einem großen blauen Sessel und redet ebenso schnell wie pointiert, steigt tief in Themen ein und lässt sich vom plingenden Smartphone nicht irritieren. Auch nicht von dem nach unserem Treffen angesetzten Onlinemeeting. „Meine Arbeit inspiriert mich total. Ich kann mir kein größeres Privileg vorstellen, als in einem Markt unterwegs zu sein, in dem man jeden Tag mit mutigen, motivierten, klugen Menschen zu tun hat, die eine sehr klare eigene Meinung und Sicht auf die Welt haben.“ Mindestens drei neue solcher Begegnungen habe sie jede Woche. Keine Frage, nine-to-five ist anders. Entspannung finde sie beim Lesen, auch beim Schreiben, aber viel zu selten – und mit Hund Plato. Den Welsh Corgi Pembroke schafften sie und ihr Mann sich im ersten Lockdown an. „Er ist jeden Tag eine riesengroße Freude, wenn er mich nach einem stressigen Tag anschaut und den Kopf schief legt“, sagt sie. Als Technologieenthusiastin hat sie für Plato einen eigenen Instagram- Account eingerichtet, „Barking in Berlin since 2020 “ steht dort.

Gründen als Abenteuer. Sich von Gründungsideen und den Menschen mit diesen Visionen inspirieren zu lassen charakterisiert gut, was La Famiglia als VC will. Dada spricht von der gestalterischen Energie und dem Mut der Gründerinnen und Gründer gerade ganz am Anfang. „Dieses Wagnis! Ich mag das Wort Risiko nicht, wir nennen uns Wagniskapitalgeberinnen. Risiko klingt deutsch, negativ, unbesonnen, nach sich verzocken. Wagnis hat etwas von Heldinnen und Helden im Märchen.“ Als Kommunikationsprofi hat sie dafür passende Bilder: „Bei Risiko denke ich ans Meer mit großen Wellen und einem Rettungsring. Bei Wagnis sehe ich ein Segelboot, das auch in hohen Wellen unterwegs ist. Das kann schiefgehen, aber der Mut, das Abenteuer, die positive Energie stehen im Vordergrund.“ Etwas trübt das Bild. „Es gibt es immer noch zu wenige Frauen, die gründen, leider“, sagt Judith Dada, besonders im B2B-Bereich. Außerdem bekämen sie weniger Wagniskapital als Männer. Auch sie selbst und Jeannette zu Fürstenberg gehören als Frauen in der VC- und Startup- Szene zu den Ausnahmen.

Judith Dada ist inzwischen für Quotenregelungen, in einem langen Essay hat sie vor einigen Monaten auf Instagram ihren Meinungswandel zu „Diversity-Quoten“ beschrieben. „Ich habe selbst erlebt, dass mir gesagt wurde, ich hätte ein Begabtenstipendium nur erhalten, weil ich eine dunkelhäutige Frau sei“, sagt Dada, deren Vater vor 30 Jahren aus Nigeria nach Deutschland kam. „Viele Menschen mit meinem Hintergrund kennen diese Vorurteile.“ Zunächst habe sie das dazu bewogen, strikt auf Leistung zu setzen. „Ich glaube auch bis heute, dass die Leistung im Vordergrund stehen sollte. Aber: Wenn wir weiter mit dem Maß messen, das sich über die vergangenen Jahrzehnte etabliert hat, messen wir das Jetzt und lassen außer Acht, wie viel Wachstum in dieser Person zukünftig noch stecken kann.“ Talent und Leistung müssten neu und inklusiver bewertet werden, „dazu sind Quoten hilfreich und nötig“. Das Thema bewegt sie. „Meine finale Meinung habe ich dazu noch nicht eindeutig geformt“, sagt Dada. Aber sowohl den Prozess wie das Ergebnis wird sie klar und engagiert erklären, so viel steht fest.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in unserem Magazin diskurs Nr. 35. Bestellen Sie ein kostenloses Exemplar bei Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de 

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