Dr. Ingmar Hoerr: Die RNA-Technologie – ein Paradigmenwechsel

Dr. Ingmar Hoerr: Die RNA-Technologie – ein Paradigmenwechsel


Dr. Ingmar Hoerr ist der Entwickler der mRNA-Technologie, die bei der Bekämpfung des Coronavirus bereits in verschiedenen Vakzinen zum Einsatz kommt. Im Interview spricht der Biologe über den Paradigmenwechsel in der Pharmaforschung.

Nominiert für den Nobelpreis: Dr. Ingmar Hoerr ist der Entwickler der mRNA-Technologie, die bei der Bekämpfung des Coronavirus bereits in verschiedenen Vakzinen zum Einsatz kommt. Im Interview spricht der Biologe über den Paradigmenwechsel in der Pharmaforschung.

Interview: Redaktion BBE, Foto: Matthias Baus

Herr Dr. Hoerr. Wie lange haben Sie an der mRNA Technologie gefeilt und wie kam es dazu, dass Sie diese Technologie entwickelt haben – Planung oder Zufall?

Es war gewissermaßen beides. Als ich promoviert habe, war die Gentherapie in aller Munde. Weil man bei Gentherapie aber nie hundertprozentig sicher sein kann, dass die extrem stabile DNA nicht letztlich auch mit den Chromosomen interagiert – was nicht wünschenswert wäre –, bekam ich Zweifel, dass die Gentherapie wirklich zu Medikamenten führen könnte. Deshalb hatte ich mich dann mit der „kleinen Schwester“ der DNA, der RNA, beschäftigt – zunächst nur im Rahmen einer Negativkontrolle bei einem Experiment. Während DNA das Erbgut speichert, übernimmt die RNA verschiedene Funktionen, zum Beispiel als Messenger-RNA (mRNA). Dies ist eine Nachrichten-RNA, ein Molekül, das einfach nur dazu da ist, Nachrichten zu übermitteln und dann auch schnell abgebaut wird. Wie ein Umschlag eines Briefs, den man wegwirft, nachdem man ihn geöffnet hat. Insofern hatte ich eigentlich erwartet, dass die Immunantwort in meinem Experiment bei RNA negativ ausfällt. Das Gegenteil war der Fall. Diese Entdeckung war tatsächlich Zufall. Alles Weitere war Planung.

Was macht die RNA genau im Körper?

Es ist ein natürliches Prinzip, dass man die RNA im Körper nur dann zur Verfügung hat, wenn man sie braucht. RNA wird in jeder Körperzelle aus den jeweiligen Chromosomen hergestellt und durch so genannte Ribosomen abgelesen, die wiederum daraus spezielle Proteine bilden. Dieses Prinzip nennt man Protein-Expression, also Eiweiß-Produktion in den Zellen. Insulin zum Beispiel soll schnell in die Zellen gelangen, dann jedoch auch schnell wieder abgebaut werden. RNA hat von Natur aus eine geringe Halbwertszeit, was diesen schnellen Abbau ermöglicht.

Wenn wir über COVID-19 sprechen, geht es auch seit einigen Tagen um Mutationen des Virus. Wie stellen Forscher fest, dass ein Virus mutiert?

Das ist relativ einfach. Man sequenziert das Virus und analysiert dessen Genom. An der Abfolge der DNA-Sequenzen kann man sehen, wo es eine Änderung, also Mutationen, gibt.

Worin besteht der Vorteil der mRNA-Technologie bei der Identifikation von Virusmutationen im Vergleich zu anderen Technologien?

Die eigentliche Mutation wird über andere Technologien festgestellt. Der Vorteil der RNA-Technologie ist aber dann, dass man auf diese Mutationen schnell reagieren kann. Mit RNA kann man den Impfstoff an Mutationen anpassen und dann relativ einfach und in großen Mengen produzieren. Bislang gibt es keinen anderen Wirkstoff, der so schnell in Pharmaproduktion gehen kann. Das ist ein großer Vorteil.

Es ist also eine bahnbrechende Entdeckung…

Es ist ein Paradigmenwechsel. Ein Stück weit ist die Technologie wie eine Software. Wir bringen dem Körper bei, seine eigenen Medikamente zu produzieren. Das gab es bislang noch nie.

Wie fühlen Sie sich in diesem Wissen um die Bedeutung dieser Technologie?

Ich freue mich ungemein, dass diese Technologie funktioniert, wobei es inzwischen auch andere gibt, die die Entdeckung für sich beanspruchen. Letztlich ist es immer Teamwork. Wir bei CureVac waren die ersten, die das Potenzial von RNA erkannt und nutzbar gemacht haben. CureVac hat den weltweit ersten Patienten mit RNA-Technologie behandelt. Später kamen Biontech und Moderna hinzu, die von diesen technologischen Errungenschaften profitiert haben. Aber nochmals: was zählt, ist, dass es funktioniert.

Warum sind die Impfdosen unterschiedlich?

Bei der Entwicklung eines Impfstoffes geht es immer auch um die Frage, was das Medikament am Ende können muss. Ich kann nicht für andere Firmen sprechen, aber bei CureVac war es wichtig – das ist auch durch die Zusammenarbeit mit der Bill und Melinda Gates Foundation geprägt – eine gute Stabilität und Lagerfähigkeit des Impfstoffes zu erreichen, damit man ihn auch ohne hochtechnischen Kühlaufwand in Entwicklungsländern einsetzen kann. Auch eine geringe Dosis des Impfstoffes war in dieser Hinsicht essentiell, da dies die Kosten massiv beeinflusst. Ein Impfstoff muss auch bezahlbar sein. Natürlich steht auch bei einer geringen Dosis die Wirksamkeit immer an oberster Stelle. Erst nachdem all dies Parameter in prä-klinischen Versuchen sichergestellt waren, ist CureVac in die klinischen Versuche gegangen.

Wie erklären Sie sich die allgemeine und die jetzige Angst vor dem Impfen und was könnte Ihrer Ansicht nach Politik leisten, um dagegen zu halten?

Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen. Ich kann verstehen, dass Manche gegenüber einer vollkommen neuen Technologie erstmal skeptisch sind. Daran ist zunächst nichts Schlechtes. Aber man muss massiv Aufklärungsarbeit leisten.

Was halten Sie von den Überlegungen, Privilegien für Geimpfte zu schaffen?

Ich weiß, das wird gerade sehr kontrovers diskutiert. Wenn erwiesen ist, dass Geimpfte das Virus nicht mehr weitergeben können, spricht nichts dagegen, sie von den Corona-Beschränkungen zu befreien. Ich denke, das würde auch die Impfmotivation erhöhen.

Aktuell sieht es ja so aus, dass bis in den Spätsommer hinein ein Impfangebot an jeden Bürger herausgegangen ist. Wie denken Sie darüber?

Ich sehe das etwas kritischer. Man sieht gerade, dass viele Hersteller Probleme haben, den Aufträgen nachzukommen. Die ganze Welt zu impfen ist ein wahnsinniger logistischer Aufwand, das gab es noch nie. Man muss jetzt zusammenhalten und das Beste draus machen. Meiner Meinung nach wird das noch das ganze Jahr über so gehen. Ich glaube nicht, dass wir im Sommer die Pandemie besiegt haben.

Was auch nicht vergessen werden darf: Wir sprechen immer nur von der westlichen Welt. Es muss aber weltweit immunisiert werden. Wenn wir nur die reichen Staaten betrachten und Länder wie Angola, Ghana oder Burundi „links liegen lassen“, kann das Virus dort in aller Ruhe mutieren und kommt mit Macht wieder in die westliche Welt zurück. Es ist ganz wichtig, dass wir uns hier unsere globale Verantwortung bewusst machen.

Planen Sie, die Technologie auch zur Bekämpfung anderer Krankheiten einzusetzen? Welche würden sich besonders eignen?

CureVac ist ja mit Krebs-Therapien gestartet. Das ist aber ein dickes Brett. Und es war rückblickend vielleicht nicht ganz richtig, dass wir zuerst Krebs im Fokus hatten, denn das Immunsystem von Krebspatienten funktioniert nicht so gut wie das von Gesunden. Von daher ist die Strategie, Gesunde zu immunisieren, wesentlich erfolgsversprechender. Trotzdem liegt auch eine Riesenchance im Krebsbereich. Und es gibt durchaus Parallelen zu Viruserkrankungen: Krebs mutiert unheimlich schnell und erfordert dadurch ebenfalls eine schnelle Wiederanpassung des Impfstoffs. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass mit RNA-Technologie irgendwann auch im Krebsbereich der Durchbruch zu erwarten ist.

Für alle Fragen rund um Ihr Vermögen steht Ihnen Roland Lis, Berater Privatkunden, Weberbank Actiengesellschaft, telefonisch und per E-Mail zur Verfügung: Tel.: (030) 897 98 – 403, E-Mail: roland.lis@weberbank.de

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