Stress lass nach: Das Berliner Unternehmen KENKOU hat einen Stress Guide entwickelt, der per Smartphone Vitaldaten erfasst und darauf basierend Empfehlungen zum Stressabbau gibt. Unterstützt wird das System von Künstlicher Intelligenz.

Text: Anke Bracht, Foto: KENKOU

„Die Stresszahlen sind seit 15 Jahren steigend“, sagt Matthias Puls, Geschäftsführer von KENKOU. Wie ist das zu erklären? Denn Stress ist genaugenommen eine evolutionär bedingte Reaktion auf gefährliche Situationen. Um der Gefahr zu entgehen, schüttet der Körper Stresshormone aus, die kurzfristig die körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen und die Aussicht auf einen erfolgreichen Kampf oder eine Flucht erhöhen. Doch in Zeiten, wo der Mensch nicht mehr vor Säbelzahntigern davon laufen muss, stellt sich die Frage: Was sind heute die Auslöser und was kann der Betroffene tun, um wieder in Balance zu kommen? Die drei häufigsten Faktoren für Stress, das belegt eine großangelegte Studie* aus 2018, sind das Berufsleben, zu hohe Ansprüche an sich selbst und private Probleme. „Normalerweise reflektiert das Herz auf das zentrale Nervensystem, bei Stress kann es nicht mehr reagieren“, sagt Matthias Puls, „und das ist gefährlich: Die Inbalance, die durch Stress entsteht, ist ein Einfallstor für alle chronischen Krankheiten.“ Belastungen durch die Umwelt und die persönliche genetische Disposition seien zusätzliche Risikofaktoren. Die Ergebnisse eines weiteren Gesundheitsreports** aus 2020 zeigen deutlich, dass zum ersten Mal stressbasierte Arbeitsausfall-Tage die Dienstausfälle aufgrund von Rückenbeschwerden überholt haben – 2,9 im Schritt pro Jahr je Arbeitnehmer.

Ein Algorithmus ermittelt den aktuellen Stresslevel

Bei KENKOU dreht sich bereits seit Ende 2014 um das Thema Stress und seine Reduzierung. Als Spin-off des Bochumer Grönemeyer-Instituts von Till Grönemeyer, Maximilian Grönemeyer, Holger Redtel und Alexander Gorny gegründet, hat das Unternehmen eine App entwickelt, die das Stresslevel des Nutzers misst und Übungen zum Entspannen anbietet. Geschäftsführer Puls, der zuvor zehn Jahre lang als Unternehmensberater aus Düsseldorf in ganz Europa gearbeitet hatte, stieß 2018 KENKOU. Zu dem Zeitpunkt war das damalige Start-up bereits nach Berlin umgezogen. Prof. Dr. Grönemeyer ist bis heute im medizinischen Beirat des Unternehmens aktiv. „Unsere App basiert u.a. auf dem Auslesen von Vitaldaten“, erklärt Matthias Puls die Technologie. „Der Nutzer legt für 60 Sekunden seinen Zeigefinger auf die Kamera des Smartphones und die App misst darüber die Variabilität des Herzschlags (HRV). Ein wissenschaftlich anerkannter Biomarker für Stress im Körper. Auf Basis dieser Vitaldaten und weiterer Nutzerdaten ermittelt der KENKOU-Algorithmus den aktuellen Stresslevel. Da Stress stets eine multidimensionale, individuelle Herausforderung ist, sind stets individuelle Interventionen nötig. Ohne Stressklassifizierung und -quantifizierung kein effektives Stressmanagement.“

Seit 2019 in der EU als Medizinprodukt zertifiziert

Im nächsten Stepp bietet die Künstliche Intelligenz Maßnahmen: individuelle Programme und Übungen, darunter geführte Achtsamkeitsmeditationen, Atemübungen und Entspannungsaufgaben. Der Nutzer kann den Fortschritt in seiner Stressbewältigung in der App verfolgen. Seit April 2019 ist der Stress Guide in der EU als Medizinprodukt zertifiziert; als Präventionsmaßnahme ist die Anwendung sowohl für Arbeitgeber als auch für Privatpersonen zeitnah sofort erstattbar. Im Zuge der Erstattungsfähigkeit durch Krankenkassen und Versicherungen ist Puls davon überzeugt, das Thema Stress ein großes Stück weiter aus dem Alltag verdrängen zu können.

*Quelle: Studie TK auf Statista 2018
** Quelle: TK Gesundheitsreport 2020

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