Nico Gramenz und Martin Eyerer: Der dritte Ort

Nico Gramenz und Martin Eyerer: Der dritte Ort


Nico Gramenz (links) und Martin Eyerer führen die Factory Berlin gemeinsam – aus völlig verschiedenen Perspektiven heraus. Das ist ihr größtes Plus: Ihre Vision, wie Arbeiten in Zukunft funktionieren kann, ist längst im Hier und Jetzt angekommen.

Nico Gramenz und Martin Eyerer führen die Factory Berlin gemeinsam – aus völlig verschiedenen Perspektiven heraus. Das ist ihr größtes Plus: Ihre Vision, wie Arbeiten in Zukunft funktionieren kann, ist längst im Hier und Jetzt angekommen.

Text: Redaktion BBE, Foto: Schirin Moaiyeri

Fotoshooting mit Nico Gramenz und Martin Eyerer in der Factory Berlin am Görlitzer Park. Ursprünglich sollte der Termin mit den beiden CEOs in der Rheinsberger Straße stattfinden, auf dem Gelände der ehemaligen „Oswald-Berliner-Weizenbier-Brauerei“. Denn dort, auf dem Campus in Mitte, befindet sich die Keimzelle dieses Ökosystems aus Unternehmen, Gründern und Visionären, das der Berliner Immobilienexperte Udo Schloemer 2014 an den Start brachte. Und die Fotografin? Muss sich sputen. Dabei ist die kurzfristige Entscheidung für eine andere Location keine Laune, sondern das Ergebnis des ständigen Ringens um das Bestmögliche. Denn um nicht weniger geht es Nico Gramenz und Martin Eyerer bei allem, was sie tun. In jedem Moment des Interviews ist spürbar, dass sie es sich nicht leicht machen, dass sie ihre ganze Persönlichkeit in das Thema „Factory Berlin“ einbringen. Kommunikation äußert sich eben nicht nur in Worten. Es sind die Blicke, die Gesten. Manchmal müssen die CEOs lachen, weil sie die Antwort des anderen kennen, bevor dieser etwas gesagt hat. Das Miteinanderreden, den Positionen des anderen zu folgen haben sie gelernt in den vergangenen Monaten. Und trotzdem: Zwei starke Persönlichkeiten, die gemeinsam an einem Strang ziehen und die Vision von Udo Schloemer fortführen sollen – wie kann das gehen?

Schloemer hat auf dem Campus in der Rheinsberger Straße – später am Görlitzer Park – ein Ökosystem geschaffen, das weltweit wohl einmalig ist. Der Grundidee von Andy Warhols legendärer Factory in New York folgend, die Menschen verschiedenster Couleur vernetzte und damit neue Synergien schuf, entstand ein kuratierter Raum, darauf ausgerichtet, Innovationen zu generieren und erfolgreich an den Markt zu bringen. Udo Schloemer hat sich längst aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und den Stab an seine beiden CEOs übergeben. Die zwei haben inzwischen ihre ganz eigene Vorstellung davon entwickelt, wie Arbeit in Zukunft aussehen wird – und wie die Factory Berlin dabei als Innovationstreiber agieren kann.

Nico Gramenz kommt als „Corporate“ zur Factory, als Mitarbeiter der Mobility-Sparte von Siemens. Ein kritischer Geist, hellwach, ständig auf der Suche nach neuen Impulsen. Als er zu Siemens geht, hat er eine Karriere als Berufssoldat hinter sich, war als Bundeswehroffizier im Ausland im Einsatz, auch in Afghanistan. Lernen, das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben: Vier Studiengänge hat Nico Gramenz erfolgreich abgeschlossen, darunter Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftsingenieurwesen; aktuell arbeitet er an seinem MA in Political Science and Economics. Er begreift sich als jemand, der Strukturen erkennt und optimiert, „Corporate eben“, sagt Gramenz und sieht seinen Co-CEO an. Der nickt. Dass er als Mitarbeiter von Siemens Zugang zur Factory bekommen habe, sei für ihn als Menschen spannend und als Manager essenziell gewesen: „Wir haben neue Technologien eingeführt, Unternehmen gekauft, unsere Prozesse digitalisiert“, sagt Nico Gramenz, „aber wir haben es nicht geschafft, eine Innovationskultur zu entwickeln.“ Die findet er auf dem Campus in der Rheinsberger Straße.

„Das war viel mehr, als einfach nur Unternehmen und Start-ups zusammenzubringen“, erinnert sich Gramenz, „da ging es um die Community, in die sich jeder Member einbringen muss.“ Er selbst tut das in den Folgemonaten so engagiert, hat so viele Verbesserungsvorschläge, dass Udo Schloemer irgendwann sagt: „Dann mach du es doch.“ Nico Gramenz nimmt den Ball auf: Seit Januar 2019 ist er CEO.

Neugierig, wissensdurstig, schnell – so tickt auch Martin Eyerer. Ansonsten ist der Vollblutkreative mit „Unternehmer-Gen“ der komplette Gegenentwurf zum Corporate Menschen Gramenz. Seit fast 35 Jahren ist er als DJ international gefragt, hat mehr als 200 Tonträger veröffentlicht. Sein erstes Unternehmen gründet er 1988 – viele weitere folgen. Das bekannteste dürften die Riverside-Studios in Friedrichshain sein, die er 2012 an den Start brachte. „Wir haben 27 Tonstudios und sind weltweit bekannt für eine Community – man könnte sagen, ein Ökosystem an Kreativen. Diese Community kuratieren wir – wir, das sind meine Partner und ich. Wir fragen uns, wer oder was macht Sinn zusammen? So haben wir eine gewisse Diversität in alles hineingebracht, von verschiedenen Musikrichtungen bis zur Technologie.“ Über Gramenz lernt er 2018 Udo Schloemer kennen. „Wir haben relativ schnell gemerkt, dass wir ganz viele Ähnlichkeiten in der Denkweise und in der Vision haben“, stellt Martin Eyerer fest, „und irgendwann hat Udo mich gefragt, ob ich hier mitmachen will.“ Und das wollte er. Zunächst als Strategic Advisor, dann als Chief Innovation Officer. Seit Mai 2020 teilt sich Eyerer die Position des CEO mit Sparringspartner Gramenz.

Ihre Rolle als Doppelspitze begreifen beide Manager als Formalie; dass sie von verschiedenen Standpunkten aus argumentieren, befeuere die Diskussion und sei ihr größtes Plus, sagen Gramenz und Eyerer unisono: Das Ergebnis zählt, nicht der Weg dorthin. Was sie verbindet, was sie antreibt, ist die gemeinsame Vision davon, wie Arbeiten in Zukunft funktionieren

kann. Diese Vision fuße auf der permanenten Bereitschaft zur Veränderung, sagt Martin Eyerer. „Die Welt – nicht nur die Arbeitswelt – ändert sich so schnell, dass wir nicht mehr die Zeit haben, uns darauf einzustellen. Wir müssen bereit sein zur disruptiven Veränderung, zu sagen: Okay, jetzt habe ich ein Jahr lang auf etwas hingearbeitet, aber nun ist alles anders, ich muss neu anfangen.“ Die Pandemie, setzt er nach, habe ihnen beiden genau dieses Learning abgefordert: „Bis vor einem halben Jahr haben wir noch mit Events Umsatz geplant – jetzt ist alles anders. Deshalb ist man bei uns in der Factory. Um das zu lernen.“ Das Unternehmensprinzip, den Zugang durch Kuration zu regeln und damit bestmögliche Voraussetzungen für die Vernetzung und die Projektarbeit der Mitglieder zu schaffen, habe sich ebenfalls als die richtige Strategie erwiesen. „Wir sind wohl weltweit die erfolgreichste Community in dem Bereich, mit derzeit 4000 Members und einem Invest in unsere Start-ups von einer Milliarde Euro in den vergangenen drei Jahren“, sagt Nico Gramenz, „19 Prozent aller Gründungen in Berlin finden bei uns statt. Es ist ein Megaantrieb für uns beide zu sehen, was wir bewegen können, dass wir an etwas bauen, was richtig großen Einfluss haben kann.“ Und damit ist nicht weniger gemeint als die Vision, das Prinzip Factory als landesweite Bildungs- und Innovationsform zu etablieren: „Jede Stadt braucht eine Factory“, sagt Martin Eyerer, „bei uns bekommst du ein Netzwerk, das Wichtigste, was du im Leben

haben kannst. Ein Netzwerk mit Leuten, die dir weiterhelfen können – und auch wollen!“ Mitgliedsanträge gebe es – trotz Pandemie – weiterhin viele, die Zahl der Members sei gestiegen: „Nach Covid wollen alle einen Ort haben, an dem wir uns wieder begegnen können. Wir glauben nicht an dauerhaftes Arbeiten zu Hause oder remote“, sagt Nico Gramenz, „wir glauben daran, dass Mitarbeiter eine inspirierende Umgebung brauchen. Nur virtuelle Kontakte – das funktioniert nicht. Die Factory wird immer ein physischer Ort sein. Wir haben derzeit eine Riesennachfrage seitens Politik und Immobilienwirtschaft, mit unserem Konzept in viele andere Städte zu gehen.“ Der Absender Berlin schwinge zwar an jedem neuen Standort mit, als Teil der DNA und der Bedeutung als Keimzelle des Ökosystems, die Eigenständigkeit jeder Factory sei jedoch gewollt und gegeben.

„Bei allem, was wir vorhaben, sind auch wir natürlich nicht von der Veränderung ausgenommen, die wir stets predigen, wir entwickeln uns mit der Factory ja immer weiter“, sagt Co-CEO Eyerer, „das große Thema ‚Wir vernetzen Corporates mit Start-ups‘ war gestern, das ist uns klar, denn Arbeit von morgen bedeutet: Arbeit ist Teil eines Gesamtsystems. Es gibt eine Arbeitsstelle – oder vielleicht auch nicht –, und es gibt ein Zuhause, und dann gibt es diesen dritten Ort, wo ich alles kriegen kann. Es geht um Kreativität, und es geht darum, sich inspirieren zu lassen, um Unternehmertum und lebenslanges Lernen, um Experimentieren, Risikobereitschaft und Vertrauen. Es ist eine Weiterentwicklung unseres Standorts, die wir auch selbst sehen wollen.“ Dazu werden die beiden CEOs noch häufig Gelegenheit haben. Wenn alles läuft wie geplant, öffnet am 1. Mai der Campus Hamburg seine Tore. Mittendrin: ein Tonstudio.

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