Fahrrad statt Ferrari

Fahrrad statt Ferrari


Vor 200 Jahren wurde das Fahrrad erfunden, seitdem ist es Teil des mobilen Lebens. Vor allem
 im urbanen Raum macht es bei steigendem Verkehrsaufkommen dem Auto heute Konkurrenz. Und es hat das Zeug zum Statussymbol.

Vor 200 Jahren wurde das Fahrrad erfunden, seitdem ist es Teil des mobilen Lebens. Vor allem
 im urbanen Raum macht es bei steigendem Verkehrsaufkommen dem Auto heute Konkurrenz. Und es hat das Zeug zum Statussymbol.

Text: Lutz Ehrlich, Foto: Bella Ciao

„Das Rad ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, von oben bis unten, überall. So ein Laden wie unserer wäre früher nicht möglich gewesen, aber speziell in Mitte passt das jetzt.“ Ulrich Gries ist der Inhaber von Prêt-à-Vélo, einem Concept Store, der eher an eine Boutique als an einen herkömmlichen Fahrradladen erinnert. In dem Souterraingeschäft hängen zeitlos elegante Jacken und Hosen. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, dass sie für den urbanen Radfahrer von heute designt sind, der morgens mit dem Rad flott ins Büro fährt, dort aber nicht verschwitzt ankommen will. Dafür sorgen spezielle Textilfasermischungen und Lüftungsschlitze unter den Armen der Jacketts. Edel sind auch die zum Verkauf stehenden Accessoires – wie die Weinflaschenhalterung aus einer französischen Manufaktur, die sich an die Fahrradstange knöpfen lässt. Doch, Fahrräder gibt es auch. Sie sind wie wertvolle Kunstobjekte ins rechte Licht gerückt.

Der Radweg als neuer Laufsteg

Zum Beispiel Modelle von der Fahrradmanufaktur Schindelhauer in Kreuzberg. Deren Philosophie lautet: Klasse statt Masse. Die Produkte tragen altmodische Vornamen wie Siegfried oder Ludwig und gehören mit Preisen bis 5000 Euro zur Premiumliga. Die Hochwertigkeit dieser Fahrräder wird bis in jedes Detail zelebriert: ein lackloser Aluminiumrahmen, Griffe und Sattel aus edlem Leder, silbrig polierte Aluteile wie Pedale, Felgen oder Lenker. Und anstelle der üblichen Fahrradkette besitzen sie einen Zahnriemen aus Carbon als Radantrieb – ihr Markenzeichen. „Es passiert häufig, dass ein Kunde sagt: Ich will ein Schindelhauer-Rad. Und der will dann auch nichts anderes“, weiß Ulrich Gries. „Die Menschen wollen sich heute mit ihrem Rad schmücken. Ein Schindelhauer-Rad ist ein Lifestyleprodukt, ein Statement.“ Der Radweg als der neue Laufsteg, sozusagen.

Ein Stück Kulturgut für die Stadt

Damit ist das Fahrrad heute wieder dort angekommen, wo es vor 200 Jahren losgefahren ist. Nach der Jungferntour des Freiherrn Karl von Drais am 12. Juni 1817 blieb seine Laufmaschine zunächst ein Spielzeug für reiche junge Männer, die sich ein solches Gefährt leisten konnten. Als sich das Rad 100 Jahre später als Massenverkehrsmittel durchsetzte, war es als Statussymbol vom Automobil längst überholt worden. Erst der Dauerstau in den Städten, das wachsende Umweltbewusstsein und ein gesunder Lifestyle sorgten nun für den erneuten Wertewandel. „Ein sehr einfaches Stück Kulturgut, trotzdem genial: zwei Räder, Rahmen, Sattel, Lenker – mit dieser simplen Technik kann man sich viel schneller fortbewegen als zu Fuß. Besonders in der Stadt. Da löst das Fahrrad jenes Freiheitsversprechen ein, welches das Auto nicht mehr bietet.“

© coboc/Modell Soho

Das Rad als Manufakturprodukt

Diese Erkenntnis brachte den früheren IT-Manager Matthias Maier auf seine Geschäftsidee: 2009 gründete er das Berliner Fahrradlabel Bella Ciao, dessen Räder eine Mischung aus klassischer italienischer Rahmengeometrie und traditioneller Handwerkskunst sind. Hergestellt werden die Rahmen in einer kleinen Manufaktur in der Nähe von Treviso in Venetien, in Sachsen-Anhalt dann lackiert und montiert. Matthias Maier nimmt Platz auf seinem Lieblingsmodell, dem Ingegnere. „Das ist mein Traumfahrrad. Es ist besonders leicht, wunderbar agil und angenehm im Handling. Im Grunde handelt es sich um das Prinzip ,form follows function‘, aber nicht so calvinistisch, sondern mit einer gewissen Alltagserotik.“ Die Preise für das Ingegnere beginnen bei 1500 Euro, inklusive des Mythos italienischer (Über)lebenskunst, wie ihn der Firmenname verspricht – „Bella Ciao“ ist der Titel einer Partisanenhymne.

Designobjekte aus dem Concept Store

Ebenfalls auf das Wesentliche reduziert, jedoch in außergewöhnlichen Farbtönen kommen die Räder der japanischen Marke tokyobike daher. Nach Deutschland holte sie vor einigen Jahren Holger Schwarz, der zu jener Zeit als Architekt in der britischen Hauptstadt arbeitete. „Ich habe die Räder zum ersten Mal auf der Design Week in London gesehen. Leider war es nicht möglich, das Ausstellungsstück zu kaufen.“ In Berlin unternahm er einen neuen Anlauf, und schon wenig später steuerte er mit einem Team den gesamten Deutschlandvertrieb von tokyobike. Die Händler, mit denen er zusammenarbeitet, sind keine herkömmlichen Fahrradverkäufer. Oft betreiben sie kleine Boutiquen, Concept Stores – oder einen Weinladen wie der Vertriebspartner in Kiel. Denn eines sind die Fahrräder von tokyobike ganz gewiss: Designobjekte auf zwei Rädern. Sie transportieren das Lebensgefühl moderner Großstädter, die funktionale Schönheit schätzen.

Räder mit Historie aus Friedrichshain

Storytelling braucht Mathias Henfling für seine Firma Vintage Vélo in Friedrichshain nicht, denn seine Räder haben ihre eigene Geschichte. Er hat sich mit seiner Ladenwerkstatt auf das Restaurieren alter Rennräder spezialisiert. Angefangen hat es vor sieben Jahren, eher aus Zufall. Als er einen neuen Reifen für sein Rennrad brauchte, das er in Frankreich auf einem Flohmarkt für kleines Geld erstanden hatte, klärte ihn sein Fahrradhändler auf, dass dieses Modell von Peugeot mindestens 1000 Euro wert sei. Danach machte sich Henfling schlau über Marken und Modelle – und auf die Suche nach weiteren Fundstücken in Frankreich. So wurde aus dem anfänglichen Hobby sein Beruf, heute arbeitet er professionell mit französischen Fahrradhändlern und -sammlern zusammen. Geblieben ist seine Leidenschaft für klassische, vor allem italienische Rennräder, die er in seiner Werkstatt komplett zerlegt, um sie bis ins kleinste Detail möglichst originalgetreu wieder zusammenzusetzen.

Das Fahrrad als Wertanlage

Henfling fasziniert die Ästhetik vergangener Jahrzehnte bei seinen Rädern, die oftmals Unikate sind. „Das ist ein ganz besonderes Gefühl, wenn man auf eine schöne Gravur am Lenker sieht. Und die hochwertigen Räder aus der Zeit sind technisch schon so gut, dass sie auch ein sehr angenehmes Fahrgefühl vermitteln.“ Zu seiner Kundschaft zählen Personen sämtlicher Altersschichten. „Es kommen viele Liebhaber, die mir sagen: Als ich in der Ausbildung war, da hing ein tolles Rennrad für 2000 Mark im Schaufenster meines Radladens. Das konnte ich mir damals nicht leisten. Heute habe ich das Geld.“ Mittlerweile gehören auch Sammler zu seinen Kunden, die auf der Suche nach einer Wertanlage sind. Die stürzen sich dann auf Traditionsmarken wie Colnago, Bianchi oder Masi. „Die italienischen Meister haben handwerkliche Kunstwerke hinterlassen, die heute sehr rar und gefragt sind.“ Mathias Henfling verkauft seine Räder weltweit. In Australien, den USA oder auch in England fahren Liebhaber auf seinen Sammlerstücken. Und einer seiner Kunden will sogar seine Automobil-Oldtimer-Sammlung gegen eine Fahrradsammlung tauschen – weil die weniger Platz benötigt.

Diesen Artikel empfehlen